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9. Sinfonie (Bruckner)

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Anton Bruckner
Anton Bruckner

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Entstehungsgeschichte

Die Arbeit an seiner Sinfonie Nr. 9 d-Moll (WAB 109) nahm Anton Bruckner kurz nach Fertigstellung der Erstfassung seiner achten Sinfonie im Sommer 1887 auf. Erste Skizzen datieren vom 12. September (Quellen in der Jagiellonska-Universität Krakau). Die Entstehung ging selbst für den eher langsam schaffenden Bruckner nur sehr schleppend vorwärts, was sich teilweise durch seine ausführliche Beschäftigung mit älteren Werken zwecks deren Umarbeitung erklären lässt. So nahm der Komponist zwischen 1887 und Frühjahr 1891, als er mit der Partiturreinschrift der Neunten begann, gleich Neufassungen dreier Sinfonien, der achten, der dritten und der ersten, vor. Außerdem erhielt er Kompositionsaufträge für zwei große Chorwerke mit Orchester, den 150. Psalm und Helgoland, deren Ausführung in die Jahre 1892 bzw. 1893 fällt, was einen zusätzlichen Aufschub der Arbeit an der Sinfonie verlangte. Um die endgültige Fassung der Sätze wurde anschließend hart gerungen: Das Trio des Scherzo-Satzes in seiner überlieferten Form benötigte drei Anläufe, bis seine endgültige Gestalt ausgearbeitet war - ursprünglich war ein ruhiger Satz mit Viola-Solo vorgesehen. Am 30. November 1894 schloss Bruckner dann das Adagio ab, den letzten sinfonischen Satz, den er vollenden sollte. Die folgenden fast 2 Jahre bis zu seinem Tod am 11. Oktober 1896 arbeitete der Komponist am Finale. Die Komposition wurde immer häufiger durch den sich nun immer stärker verschlechternden Gesundheitszustand Bruckners behindert. Krankheitsbedingt von seiner Lehrtätigkeit am Konservatorium sowie bereits seit 1892 vom Posten des Hoforganisten pensioniert, konnte er sich jetzt vollkommen der Vollendung der Sinfonie widmen, deren Abschluss ihm aber nicht mehr vergönnt wurde. Die neunte Sinfonie soll Bruckner „dem lieben Gott“ gewidmet haben, was nicht schriftlich verbürgt ist, aber aufgrund der tiefen Frömmigkeit des Komponisten durchaus glaubwürdig erscheint (Entsprechende Äußerungen Bruckners sind noch zu Lebzeiten des Komponisten in Artikeln verschiedener österreichischer Zeitungen veröffentlicht worden.)

[Bearbeiten] Bedeutung

Die neunte Sinfonie nimmt im Schaffen Bruckners eine Sonderstellung ein. Nicht nur, dass sie sein letztes, Fragment gebliebenes, Werk darstellt. Sie stellt als solches, nach der das Brucknersche Sinfonieschaffen zusammenfassenden Achten, quasi einen Ausblick in die Zukunft der Musikgeschichte dar: Die Harmonik, besonders die des Adagio-Satzes, ist, wie auch die Instrumentation, deutlich schroffer als die der anderen Sinfonien und stößt das Tor ins 20. Jahrhundert, das Bruckner selbst nicht mehr miterlebte, weit auf. Ähnliche harmonische Kühnheiten wurden erst wieder um 1910 von Gustav Mahler in dessen neunter und zehnter Sinfonie oder Arnold Schönberg, der sich bezeichnenderweise kurz darauf an die Entdeckung atonaler Kompositionsmöglichkeiten wagte, in dessen erster Kammersinfonie geschrieben. Der Klangteppich gegen Schluss des Adagio weist auf Jean Sibelius voraus, während das Scherzo an den Frühstil Igor Stravinskys gemahnt. Es ist darum auch nicht verwunderlich, dass in Bruckner von zahlreichen bedeutenden Musikerpersönlichkeiten eine „Antenne ins zwanzigste Jahrhundert“ (Nikolaus Harnoncourt) gesehen wird.

[Bearbeiten] Wichtige Probleme

[Bearbeiten] Die verschollenen Skizzen

Anekdotenhaft ist überliefert, dass Bruckner noch am letzten Tag seines Lebens am Finalsatz seiner neunten Sinfonie gearbeitet haben soll. Überhaupt lag der Satz zum Zeitpunkt seines Todes bereits zu mindestens einem Drittel fertig vor, der restliche Teil soll bereits vollständig skizziert gewesen sein. Einer der Ärzte des Komponisten berichtet, dass dieser ihm kurz vor seinem Ableben den Abschluss des Satzes vorgespielt habe. Von einem solchen fehlt allerdings bis heute jede Spur. Es wird vermutet, dass die entsprechenden Skizzen kurze Zeit nach Bruckners Tod verloren gingen: Das Sterbezimmer wurde nicht rechtzeitig versiegelt und somit, als die Nachricht publik wurde, ein Ziel für Andenkenjäger, die sich an den herumliegenden Skizzenblättern bereicherten. Bruckners Nachlassverwalter, der Rechtsanwalt Theodor Reisch, und Bruckners Testamentszeugen Ferdinand Löwe und Joseph Schalk sichteten laut Protokoll vom 18. Oktober 1896 den Nachlass; Joseph Schalk wurde mit der Erforschung des Zusammenhangs der Finale-Fragmente beauftragt. Nach seinem Tod (1900) gelangte das bei ihm befindliche Material in den Besitz seines Bruders Franz; weiteres Material erhielt Ferdinand Löwe. Obwohl seit den 90er Jahren wieder einige Skizzen aufgetaucht sind, scheint der Großteil von ihnen, wenn nicht gar ganz verloren, so doch weit verstreut und in seine Einzelteile zersplittert worden zu sein. Die Bruckner-Gesamtausgabe hat sämtliche erhaltenen Manuskripte 1994 in einer von John Phillips herausgegebenen Faksimile-Ausgabe publiziert.

[Bearbeiten] Die Löwe-Bearbeitung

Ferdinand Löwe oblag es, die unvollendete Sinfonie uraufzuführen. Löwe war wie sein Lehrmeister ein großer Bewunderer Richard Wagners und hatte bereits mehrere Bearbeitungen von Bruckner-Sinfonien angefertigt, in denen er die Instrumentation im Stile Wagners veränderte und die Spieldauer der Werke zusammenstrich. Von der großen Originalität des Werkes abgeschreckt, erstellte Löwe nun für seine Aufführung der Neunten eine Bearbeitung der Komposition, in der er ihre Schroffheiten abmilderte: Die Instrumentation wurde nach Löwes eigenen, von Wagner'schen Klangfarben beeinflussten, Vorstellungen abgeändert, die Harmonik vereinfacht, Dissonanzen abgeschwächt. Er glaubte dadurch dem Werk beim Publikum eine größere Beliebtheit zu verschaffen. Die Uraufführung am 11. Februar 1903 durch das Wiener Concertvereinsorchester (die späteren Wiener Symphoniker) wurde zu einem großen Erfolg. 1906 veröffentlichte Löwe das Werk – kommentarlos ­– in seiner Bearbeitung als Originalfassung des Komponisten. Erst 29 Jahre nach der Uraufführung, am 2. April 1932, fand unter Siegmund von Hausegger die erste Aufführung der echten Originalfassung statt. Hausegger hatte Bruckners Komposition Löwes Bearbeitung vorangestellt. Das Votum des Publikums und der Musikwissenschaft entschied eindeutig gegen letztere. 1934 gab Alfred Orel schließlich die Neunte in ihrer richtigen Gestalt im Rahmen der Bruckner-Gesamtausgabe heraus und teilte im Sonderband „Entwürfe und Skizzen“ die damals bekannten Entwürfe auch zum vierten Satz mit.

[Bearbeiten] Das Te Deum – ein Ersatz-Finale?

Das 1884 komponierte Te Deum galt Bruckner als sein Lieblingswerk. Anekdoten berichten davon, dass der schwerkranke Komponist für den Fall, das Finale nicht mehr fertigstellen zu können, vorgeschlagen habe, man solle stattdessen das Te Deum an das Adagio anfügen, damit die Sinfonie ein Finale erhalte. Da angeblich diesbezüglich schriftliche Zeugnisse von Bruckners eigener Hand fehlen, ist umstritten, ob selbige Entscheidung wirklich getätigt worden ist. Bruckner hat, wie die Faksimile-Ausgabe beweist, allerdings in der Partitur des Finales (Choralthema der Exposition, Bogen 12) eine Überleitung zum Te Deum selbst skizziert, wenn auch nicht weiter ausgeführt. Dem widerspricht die Tatsache, dass der Komponist überhaupt an einem Finale arbeitete, was die Verwendung des Te Deums als vierten Satz erübrigt hätte. Auch steht die Tonart des Te Deums (C-Dur) konträr zur Tonart der Sinfonie (d-Moll), ebenso der Stil des Bruckners der Neunten zum Stil des Bruckners des Te Deum. Würde das Te Deum als Finale verwendet, wäre also ein stilistischer wie tonartlicher Bruch hörbar, denn obgleich Bruckner zur musikalischen Avantgarde seiner Zeit gehörte, hätte er nie (das lehren die früheren Sinfonien, die allesamt auf dem Grundton enden) eine d-Moll-Sinfonie in C-Dur abgeschlossen. Solche „progressive Tonalität“ lag dann doch erst in den Händen späterer Generationen. Dessen ungeachtet handelt es sich um eine Verfügung Bruckners, die ebenfalls noch zu seinen Lebzeiten mehrfach in Zeitungsartikeln kolportiert wurde und sicher ernst zu nehmen ist (Es spricht jedenfalls nichts gegen eine Aufführung des Te Deum nach den ersten drei Sätzen und einer angemessenen Konzertpause). Ferdinand Löwe übrigens leistete dem angeblichen Vorschlag Bruckners bei der Uraufführung 1903 zwar Folge und verwendete das Te Deum als Finale, er nahm es aber nicht in seine Ausgabe der Sinfonie auf. Auf ihn zurückzuführen ist auch die Meinung, Bruckners neunte Sinfonie bedürfe gar keines Finalsatzes, da das Adagio, ähnlich dem Andante aus Franz Schuberts unvollendeter h-Moll-Sinfonie, bereits alle Voraussetzungen eines solchen erfülle. Dies wurde zu einer Art Doktrin für die meisten nachfolgenden Dirigenten und führte dazu, dass seitdem die Neunte, auch nach zahlreichen Rekonstruktionsversuchen ihres Finalsatzes, vorrangig als dreisätziges Werk aufgeführt wird. Allerdings spielt hier sicherlich auch das Misstrauen einiger Interpreten gegenüber von fremder Hand angefertigten Vervollständigungen fragmentarischer Werke eine Rolle.

[Bearbeiten] Besetzung

3 Flöten, 3 Oboen, 3 Klarinetten in A und B, 3 Fagotte, 8 Hörner, 4 Wagnertuben, 3 Trompeten, 3 Posaunen, Kontrabasstuba, Pauken, Streicher (Notabene: Die Wagnertuben werden vom 5. bis 8. Horn übernommen)

[Bearbeiten] Erster Satz: Feierlich, misterioso

Der erste Satz (d-Moll, 2/2-Takt) ist ein frei gestalteter Sonatensatz, der, wie bei Bruckner üblich, auf drei Themenkomplexen aufbaut. Mit einer Spieldauer von etwa 22 bis 28 Minuten ist er der zeitlich längste Kopfsatz einer Bruckner'schen Sinfonie.

Der Hauptthemenkomplex unterscheidet sich bedeutend von denen aller früheren Sinfonien des Komponisten. Besonders auffällig ist hier nämlich, dass es kein einzelnes Hauptthema gibt. Vielmehr setzt sich der erste Themenkomplex aus mehreren unterschiedlichen Elementen zusammen und entwickelt sich erst allmählich. Die Sinfonie beginnt mit einem Streichertremolo auf dem Grundton d. Anschließend spielen die Hörner ein auf dem d-Moll-Dreiklang basierendes, durch scharfe Punktierungen geprägtes Motiv. Durch Spaltung des grundierenden d in seine nächstliegenden Töne des und es (Takt 19), die die Musik aus ihrer Ruhe herausreißt, wird die Grundlage für die Fortführung des Entwicklungsprozesses geschaffen. Das punktierte Motiv reckt sich nun energisch empor und gelangt durch eine wiederum aus Dreiklängen gebildete Überleitung zu einem weiteren Abschnitt, der von einem neuen, synkopierten Motiv beherrscht wird. Eine erneute Überleitung bringt eine Abwandlung desselben, nun in taktgebundener Viertelbewegung. Harmonisch weicht die Musik bis ins ferne Des-Dur aus. Es folgt eine erneute Steigerung, die auf jener Abwandlung basiert, diese verdichtet und schließlich ein erstes vollgültiges Thema von acht Takten gebiert (Takt 63), das sich als Zusammenfassung der vorhergehenden Elemente versteht und somit auch im fortissimo des vollen Orchesters vorgetragen wird. Markante Merkmale sind der punktierte Oktavsprung nach unten zu Beginn, die triolische Fortsetzung, die Überbindung vom fünften zum sechsten Takt, sowie das wiederum punktierte Schlussmotiv. Nach dem durch dieses Thema erreichten Höhepunkt folgt noch ein kadenzierender Schluss, der den ersten Themenkomplex abschließt. Eine kurze Überleitung mit Fragmenten der ersten Steigerungsepisode in den Bläsern, begleitet vom Streicherpizzicato führt zum zweiten Themenkomplex (ab Takt 97).

Dieser, in Tempo („Langsamer“), Tonart (A-Dur) und Takt (4/4) vom ersten abgehoben, ist jenem gegenüber eher in konventioneller Bruckner'scher Manier gestaltet: Hier dominiert eindeutig ein einzelnes Gesangsthema, das sich aus zwei, in kunstvoller Kontrapunktik übereinandergeschichteten Einzelthemen zusammensetzt. Warmer Streicherklang und chromatisch angereicherte Harmonik und polyphone Stimmführung dominieren diesen Abschnitt. Ein kurzer Mittelteil ist eingeschoben, der in seiner Gestalt an den Höhepunkt des ersten Themenkomplexes erinnert, stimmungsmäßig jedoch völlig dem Gesangsthema assimiliert ist. Der dritte Themenkomplex („Moderato“, ab Takt 167), mit dem die Exposition abschließt, knüpft in Takt- und Tonart wieder an den ersten an. Beherrscht wird er von einem fahlen, auf dem Moll-Dreiklang aufbauenden Thema, das sich in der vorangegangenen Überleitung vom zweiten Themenkomplex schon angekündigt hatte. Auch hier ist ein, etwas gesanglicherer, Mittelteil eingeschoben. Nach einem kurzen Höhepunkt im Orchestertutti leiten Hornrufe zur Durchführung über.

Diese ist deutlich in zwei große Teile gegliedert, von denen der erste Elemente aller Themenkomplexe verarbeitet, der zweite nur auf dem Hauptthema, vorrangig auf seinem Höhepunkt, aufbaut. Der erste Durchführungsteil beginnt in Takt 227 mit dem Anfang der Sinfonie, nun jedoch in f-Moll. Das Ausgangsmotiv wird kanonisch, vor allem in den Bläsern geführt, worauf die erst Steigerungspartie einsetzt, vorerst aber dem Ausgangsmotiv, nun von einer Begleitfigur des Gesangsthemas untermalt, noch weicht, was erneut die Steigerung herbeiführt, die nun aber in Dur auftritt. Es folgt der Mittelteil des dritten Themas in den Holzbläsern, begleitet von den Pizzicati der Streicher, welcher sich ebenfalls kurz steigert, aber wieder abklingt und in eine vom Gesangsthema und dem Synkopenmotiv des Hauptthemas geprägte Episode mündet. Die anschließende letzte Steigerung des ersten Teils führt schließlich zum Hauptthemenhöhepunkt in f-Moll, der im Blech fortissimo vorgetragen, sequenziert und von den Streichern in wilden Dreiklangsbrechungen umspielt wird.

Der zweite Teil (ab Takt 355), der nach dem plötzlichen Abschluss des ersten leise einsetzt, wird durch eine kontrapunktische Passage von Marschcharakter eingeleitet, die nur entfernt an die Elemente des Hauptthemenkomplexes erinnert. Anschließend führt das Triolenmotiv des Hauptthemenhöhepunktes wieder eine Steigerungspassage herbei, die rasch abklingt, dann aber umso stärker wieder wieder aufgenommen wird. Das dramatische Geschehen findet seinen Abschluss mit dem punktierten Oktavsturz des Höhepunktthemas, der, innerhalb weniger Takte vom fortissimo zum pianissimo absinkend, die Durchführung gleichsam in sich zusammenbrechen lässt. Die folgende Überleitung lässt schließlich das Triolenmotiv nur noch als Schatten seiner selbst auftreten.

Die Reprise setzt mit dem Gesangsthema in D-Dur ein (Takt 421). Auf eine Wiederholung des Hauptthemenkomplexes wird sinnfälliger Weise verzichtet, da dieser, als fortschreitender Entwicklungsvorgang, sich, anders als die fest geformten Nebenthemen, als nicht wiederholbar erweist. Die Überleitung zum dritten Themenkomplex ist verkürzt. Dieser selbst (ab Takt 459) beginnt in h-Moll, der Parallele zu D-Dur, und moduliert am Ende nach d-Moll. Die Coda (ab Takt 519) basiert auf Teilen des Hauptthemenkomplexes. Das erste Steigerungsmotiv und das Triolenmotiv des Höhepunktes leiten sie ein. Dominierend wird nun der Abschluss des Hauptthemas, der in der Durchführung nicht verwendet worden ist und nun, sich choralhaft in den Blechbläsern immer weiter steigernd, zum Schluss des Satzes führt, welcher das punktierte erste Steigerungsmotiv sich in die kleine Sekunde d-es festrammen lässt, bevor der Satz in einer leeren Quinte d-a, weder in Dur noch in Moll, abschließt.

[Bearbeiten] Zweiter Satz: Scherzo. Bewegt, lebhaft - Trio. Schnell

Das Scherzo (d-Moll, ¾-Takt) findet erst über Umwege zur Haupttonart und ähnelt darin dem Anfang des Kopfsatzes. Dissonante Bläserakkorde, die im Wesentlichen um den Ton cis (Leitton zu d-Moll) kreisen, dienen als Begleitung einer vorrangig aus Dreiklangsbrechungen bestehenden Pizzicatomelodie der Violinen, die von den Celli und Bässen beantwortet wird. Das Wechselspiel zwischen hohen und tiefen Streichern mündet im 42. Takt schließlich in das d-Moll-Hauptthema des Satzes. Es ist melodisch und rhythmisch ausgesprochen einfach gestaltet: Der Grundton wird stampfend im ¾-Takt repetiert, worauf sich die Dreiklangsbrechungen der Einleitung anschließen. Im Folgenden werden die Bestandteile des Themas weiterentwickelt und führen zum Mittelteil des Scherzos (Takt 115-160), der durchführungsartig das Thema variiert. Anschließend erscheint wieder der erste Teil des Scherzos (ohne Einleitung) und findet in einer rhythmisch straffen Coda seinen Abschluss.

Das Trio (Fis-Dur, 3/8-Takt) unterscheidet sich sehr von den früheren Triosätzen Bruckners. Es bildet mit seiner hektischen Achtelbewegung keinen wirklichen Kontrast zum Scherzo, auch finden sich keinerlei Anklänge an oberösterreichische Ländlermelodien, wie sie der Komponist sonst an dieser Stelle gerne verwendet. Viel mehr scheint es, als wollte Bruckner mit dem Trio die unruhige Stimmung des Scherzos noch verstärken. Wie letzteres ist auch das Trio dreiteilig. Das rasche Achtelthema wechselt im ersten Teil mehrfach mit einem gesanglichen. Verdeckt begegnen Motive aus dem Scherzo. Der Mittelteil (Takt 113-152) verwendet das gesangliche Thema des Hauptteils, das aber bald von dessen erstem Thema wieder verdrängt wird (Hauptteil da capo).

Das Scherzo wird im Anschluss notengetreu wiederholt. Der gesamte Satz dauert ca. 10 Minuten.

[Bearbeiten] Dritter Satz: Adagio. Langsam, feierlich

Das Adagio (E-Dur, 4/4-Takt) der neunten Sinfonie ist, wie fast alle Adagio-Sätze Bruckners, dreigeteilt und zeigt Züge einer Sonatenhauptsatzform, die allerdings noch freier behandelt ist als im Kopfsatz, dessen Länge in etwa der des Adagios entspricht. Ab hier werden im Instrumentarium mit den übrigen Blechbläsern auch Wagnertuben verwendet.

Das Hauptthema des Satzes setzt, als einziges unter den Bruckner'schen Adagio-Themen, unbegleitet ein, nämlich in den ersten Violinen. Erst in der zweiten Hälfte des zweiten Taktes treten harmonisch unterstützend die übrigen Streicher, sowie die Tuben hinzu. Allerdings wird die vorgezeichnete Haupttonart konsequent umgangen. Auch das Thema selbst entzieht sich einer harmonischen Festlegung: Der Nonenanstieg h-c´ im ersten und der Oktavsturz auf ais im zweiten Takt lassen nicht direkt auf E-Dur als Tonart schließen. Im Übrigen berührt das Thema auch alle weiteren Töne der chromatischen Tonleiter, sodass man mit einiger Vorsicht hier von einer Art früher „Zwölftonmusik“ sprechen kann. Zum Hauptthema hinzu treten als wichtige thematische Elemente noch ein fanfarenartiges Thema (Takt 17), sowie ein Choralthema der Blechbläser von gedämpfter Feierlichkeit (Takt 29). Der zweite Themenkomplex (ab Takt 45) besteht aus einem dreigeteilten Gesangsthema, das seine Verwandtschaft zum entsprechenden Thema des Kopfsatzes nicht leugnen kann. Auch hier fügen sich wieder zwei verschiedene Themen zu einem zusammen.

Der zweite Satzteil (ab Takt 77), der Sonatendurchführung entsprechend, basiert größtenteils auf den Bestandteilen des Hauptthemenkomplexes. Zu Beginn wird das Hauptthema fast unverändert vorgetragen, seine beiden Anhänge, die Fanfare und der Choral, zunächst ausgespart. Nach kurzer Überleitung erscheint das Thema plötzlich in Umkehrung in den Blechbläsern und nimmt grimmige Züge an. Diese Episode ist jedoch nur von kurzer Dauer: Die Musik beruhigt sich bald wieder und führt zum erneuten festlichen Auftreten der Fanfare. Es folgt die kurze Verarbeitung des Gesangsthemas. Eine erneute Steigerung mittels des Hauptthemas setzt ein, doch auch diese mündet in eine entspanntere Episode mit dem Choral in den Violinen. Als Überleitung wird anschließend das Hauptthema verwendet.

Die nun folgende dritte Abteilung des Satzes (ab Takt 173) lässt sich mit einer Sonatensatzreprise vergleichen, trägt jedoch viel deutlicher Züge einer Durchführung und setzt den zweiten Teil eher fort, als dass sie mit ihm kontrastiert. Sie beginnt mit dem Gesangsthema, das immer stärker von ostinaten Begleitfiguren umwoben wird. Allmählich bildet sich ein dichter Klangteppich, in dem Bruckner seine für ihn typische Technik des Gegensatzes aus sich überlagernden Zweier- und Dreierrhythmen auf die Spitze treibt. Die Begleitfiguren lösen sich bald vom Gesangsthema und treiben die letzte große Steigerungsepisode des Satzes voran. Auf dem Höhepunkt erscheint der Kopf des Hauptthemas fortissimo, jetzt allerdings nach Art der im zweiten Satzteil aufgetretenen Variante ins Grimmige verzerrt. Die harmonischen Spannungen dieser Episode sind so groß, dass eine Auflösung in eine Konsonanz unmöglich erscheint. Stattdessen setzt der Komponist als Schlusspunkt einen Dissonanzakkord im vollen Orchester, der gleich sieben Töne übereinander türmt. Was nun noch folgt ist zunehmende Auflösung des thematischen Materials. Noch einmal wird eine Steigerung mit Motiven des Hauptthemas versucht, aber diese klingt schnell ab. Die Chromatik lichtet sich, das erste Mal wird jetzt, am Satzende, die Tonart E-Dur eindeutig als Haupttonart bestätigt. In pendelartigen Bewegungen der Streicher und Dreiklangsbrechungen der Bläser beruhigt sich die Musik immer mehr. Zum Schluss spielen die Hörner ein lang ausgehaltenes h, grundiert von leisen E-Dur-Pizzicato-Akkorden der Streicher.

[Bearbeiten] Vierter Satz: Finale. (alla breve / Keine Tempoangabe Bruckners)

Der Finalsatz (d-Moll, 2/2-Takt) konnte von Bruckner nicht mehr vollendet werden. Es sind innerhalb der letzten Jahrzehnte zahlreiche Versuche unternommen worden, den Satz zu rekonstruieren. Als am meisten an Bruckners Skizzen orientierte Rekonstruktion gilt diejenige von Nicola Samale, Giuseppe Mazzuca, John A. Phillips und Benjamin Gunnar Cohrs, deren erste Fassung in den Jahren zwischen 1983 und 1985 entstand und die seitdem immer wieder anhand neuer Skizzenfunde aktualisiert wurde. Phillips konnte insbesondere nachweisen, dass es sich bei dem erhaltenen Material um eine von Bruckner sorgsam durchnummerierte „Autograph-Partitur im Entstehen“ handelt. Den Forschungen zufolge war im Mai 1896 der Satz in der Primärstufe der Partitur (Streicher eingetragen; Skizzen für Bläserstimmen) fertig komponiert. Die Exposition war gänzlich fertiggestellt. Allerdings sind von der Partitur heute gut die Hälfte der endgültigen Bogen verlorengegangen. Der Ablauf der Lücken lässt sich jedoch zu einem großen Teil aus ausgeschiedenen, gleichwohl wenig veränderten früheren Versionen einzelner Bogen und umfangreichen Particellskizzen wiederherstellen. Die heute erhaltenen Reste der Partitur brechen kurz vor Eintritt der Coda mit dem 32. Bogen ab; die Skizzen enthalten jedoch das Verlaufsgerüst der Coda bis in die letzte Kadenz hinein. Die entsprechende Skizze für den 36. Bogen enthält noch die ersten acht Takte des zweifellos finalen Tonika-Orgelpunktes.

Der erste Themenkomplex beginnt mit einem Paukenwirbel, dem sich punktierte Motive anschließen. Diese verdichten sich im Anschluss zu einem Thema, das dem am Ende des Kopfsatzhauptthemenkomplexes entwickelten sehr ähnelt, sich von diesem aber durch den durchgängig punktierten Rhythmus unterscheidet. Das Gesangsthema ist auffallend verhalten und mehr eine Variation des Hauptgedankens als ein eigenständiges Thema. Somit fällt die Rolle des kontrastierenden Elementes dem dritten Thema zu, einem feierlichen Blechbläserchoral, der eigentlich nichts weiter ist, als die gestärkte Wiederauferstehung des Choralthemas aus dem Adagio, welches nun von leidenschaftlichen Streicherfiguren begleitet wird. Beim Übergang in die Durchführung wird der Choral von knirschenden Nonen in den Trompeten unterbrochen. Nun erklingt in der Flöte das Quart-Quint-Motiv aus Bruckners Te Deum, das als Reduzierung des Choralthemas zu verstehen ist und auch schon Themen der vorhergehenden Sätze durchzogen hat (am auffallendsten das dritte Thema des ersten Satzes). Die Durchführung benutzt vorrangig die Begleitung des Chorals, auch Motive der ersten beiden Themenkomplexe und mündet in eine Fuge über das Hauptthema, an deren Ende das Triolenmotiv aus dem ersten Satz wieder auftaucht. Die Reprise spart den gesamten Hauptthemenkomplex wie im ersten Satz aus und beginnt mit dem Gesangsthema. Das Choralthema wird hier nun vom Te-Deum-Motiv begleitet. Laut Berichten von Zeitzeugen wie dem Mitautor der ersten Bruckner-Biografie Max Auer soll Bruckner für die Coda eine Kopplung der Hauptthemen aller vier Sätze vorgesehen haben.

[Bearbeiten] Literatur

  • Renate Ulm (Hrsg.): Die Symphonien Bruckners. Entstehung, Deutung, Wirkung (Taschenbuch), Bärenreiter, ISBN 3761815905
  • Musik-Konzepte Heft 120/121/122. Bruckners Neunte im Fegefeuer der Rezeption. Hrsg. von Heinz-Klaus Metzger und Rainer Riehn; konzipiert und zusammengestellt von Benjamin-Gunnar Cohrs, Edition Text & Kritik, München 2003, ISBN 3-88377-738-2
  • Bruckner Symposium Linz 1996: »Fassungen – Bearbeitungen – Vollendungen«, Linz-Wien 1998.
  • Doebel, Wolfgang: Bruckners Symphonien in Bearbeitungen. Die Konzepte der Bruckner-Schüler und ihre Rezeption bis zu Robert Haas, Tutzing 2001
  • Grandjean, Wolfgang: Metrik und Form bei Bruckner. Zahlen in den Symphonien von Anton Bruckner, Tutzing 2001.
  • Gülke, Peter: Brahms-Bruckner. Zwei Studien, Kassel/Basel 1989.
  • Harrandt, Andrea (Hrsg.): Anton Bruckner, Briefe 1852–1886, Wien 1998, BrGA Bd. XXIV/1
  • Harrandt, Andrea (Hrsg.): Anton Bruckner, Briefe 1887–1896, Wien 2002. BrGA Bd. XXIV/2
  • Maier, Elisabeth (Hrsg.): Verborgene Persönlichkeit. Anton Bruckner in seinen privaten Aufzeichnungen (2 Bd.), Anton Bruckner, Dokumente und Studien 11, Wien 2001.
  • Phillips, John A.: Neue Erkenntnisse zum Finale der Neunten Symphonie Anton Bruckners, in: Bruckner-Jahrbuch 1989/90, Linz 1992, S. 115–204.
  • Scheder, Franz: Anton Bruckner Chronologie, (Registerband / Textband), Tutzing 1996.
  • Van der Waal, Aart: The unfinished Finale. (ausführlicher Web-Artikel in Englisch), (Februar 2006)

[Bearbeiten] Noten-Ausgaben

  • Cohrs, Benjamin-Gunnar (Hrsg.): Anton Bruckner, IX. Symphonie d-moll (1. Satz – Scherzo & Trio – Adagio), kritische Neuausgabe unter Berücksichtigung der Arbeiten von Alfred Orel und Leopold Nowak, Partitur und Stimmen, Wien 2000.
  • Cohrs, Benjamin-Gunnar (Hrsg.): Anton Bruckner, IX. Symphonie d-moll (1.Satz – Scherzo & Trio – Adagio), kritischer Bericht zur Neuausgabe, Wien 2001.
  • Cohrs, Benjamin-Gunnar (Hrsg.): Anton Bruckner, IX. Symphonie d-moll, Scherzo & Trio, Studienband zum 2. Satz, Wien 1998.
  • Cohrs, Benjamin-Gunnar (Hrsg.): Anton Bruckner, 2 nachgelassene Trios zur IX. Symphonie d-moll, Aufführungsfassung, Partitur incl. kritischer Kommentar und Stimmen, Wien 1998.
  • Phillips, John A. (Hrsg.): Anton Bruckner, IX. Symphonie d-moll, Finale (unvollendet), Rekonstruktion der Autograph-Partitur nach den erhaltenen Quellen, Studienpartitur, Wien 1994/99.
  • Phillips, John A. (Hrsg.): Anton Bruckner, IX. Symphonie d-moll, Finale (unvollendet), Rekonstruktion der Autograph-Partitur nach den erhaltenen Quellen, Dokumentation des Fragments, Partitur einschl. Kommentar & Stimmen, Wien 1999/2001.
  • Phillips, John A. (Hrsg.): Anton Bruckner, IX. Symphonie d-moll, Finale (unvollendet), Faksimile-Ausgabe sämtlicher autographen Notenseiten, Wien 1996.
  • Samale, Nicola & Cohrs, Bejamin-Gunnar (Hrsg.): Anton Bruckner: IX. Symphonie d-moll, Finale. Vervollständigte Aufführungsfassung Samale-Phillips-Cohrs-Mazzuca. Neuausgabe mit kritischem Kommentar (dt/engl) von Benjamin-Gunnar Cohrs, München 2005, Repertoire Explorer Study Score 444

[Bearbeiten] Diskografie (Auswahl)

Sätze 1-3:

Mit Fragmenten des Finales:

Fragmente des Finales, ohne die Sätze 1-3:

Mit Rekonstruktion des Finales:

Fassung von Ferdinand Löwe:

Andere Sprachen
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