Intelligenzblatt
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Ein Intelligenzblatt (v. engl.: intelligence, Nachricht) war im 18. Jahrhundert ein amtliches Nachrichtenblatt nach englischem Vorbild mit amtlichen Bekanntmachungen wie Gerichtstermine, Ausschreibungen, Konkurse, Zwangsversteigerungen, Listen der in den Hotels abgestiegenen Fremden u.a. sowie geschäftlichen und privaten (Klein)Anzeigen, u.a. Vermietungs-, Verkaufs- und Familienanzeigen (Geburts-, Hochzeits- und Sterbe-Anzeigen.
Das "Intelligenzblatt" war die erste Form eines Anzeigenblattes. Allerdings stellte es nicht etwa besondere Anforderungen an die Intelligenz, sondern es wendete sich an jeden, der sich informieren beziehungsweise „Einsicht“ nehmen wollte (intellegere). Die ursprüngliche Bedeutung von "Intelligenz" gleich Nachricht und Information ist noch heute in dem Namen der US-amerikanischen staatlichen Spionagebehörde "Central Intelligence Agency (CIA)" erhalten.
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[Bearbeiten] Erscheinungsformen
Sie entstanden zunächst als selbständige Publikationen, da die eigentlichen "Zeitungen" nur politische, literarische u.a. Artikel veröffentlichten, aber keine Anzeigen. Bald erkannten aber auch die "Zeitungen" die große Einnahmequelle, die Bekanntmachungen und Anzeigen darstellen. Spätestens mit Beginn des 19. Jahrhunderts legten sich nicht nur die politischen Tages- und Wochenzeitungen, sondern auch die meisten literarischen und wissenschaftlichen Fachzeitschriften vom redaktionellen Teil nur noch formal getrennte Anzeigen-Beilagen zu. Diese trugen die verschiedensten Namen wie "Intelligenzblatt zum Morgenblatt", "Mindenscher Öffentlicher Anzeiger, Beilage zum 26sten Stück des Sonntagsblatts vom ... " o.ä.
[Bearbeiten] Geschichte
Ihre Geschichte begann in Frankreich. 1612 eröffnete der Pariser Arzt Théophraste Renaudot (1586-1653) ein Annoncenbüro („bureau d'adresses“). Eigentlich sollte es eine gemeinnützige Jobbörse für Vagabunden werden, etablierte sich aber als Infobörse für alle Art von Käufen, Verkäufen, offenen Stellen oder Reiseangelegenheiten. Die Nachfrage war so groß, dass die Angebote ab 1631 als „Feuille du bureau d'adresses“ („Blatt des Adressenbüros“) periodisch publiziert werden durfte und auch kostenlos verteilt wurde.
In England erschien ab 1637 der Public Advertiser, und das erste Intelligenzblatt in deutschsprachigen Gebieten am 1. Januar 1722 in Frankfurt a.M. Bis circa 1840 war das Anzeigenmonopol häufig den Intelligenzblättern staatlich zugeordnet. Dass in der Regel nur Anzeigen publiziert werden durften, hatte auch Vorteile: Intelligenzblätter blieben z.B. von der napoleonischen Zeitungs-Verbotswelle des Jahres 1810 verschont.
Die seit 1727 in Preußen und anderen deutschen Staaten erschienenen Intelligenzblätter unterlagen dem sogenannten Insertionszwang, einem Anzeigenmonopol für das jeweilige Verbreitungsgebiet. Alle Staatsangestellten waren zum Abonnement (Abonnementszwang) verpflichtet.
Zusammen wurden beide Maßnahmen als Intelligenzzwang bezeichnet. Damit waren die Intelligenzblätter eine lukrative Geldquelle für den Staat. In Preußen wurden die Intelligenzblätter bereits 1811 im Zuge der Reformen abgeschafft. Die letzten verschwanden durch die Einführung der Gewerbefreiheit 1848.
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Der Name „Intelligenzblatt“ war bis etwa 1930 gebräuchlich. Der Historiker Friedrich Huneke verzeichnet 188 Gründungen an 166 Orten. Sein Kollege, der Bremer Presseforscher Professor Holger Böning, schätzt ihre Zahl auf mindestens 220 allein im 18. Jahrhundert (deutschsprachiger Raum). Die ZDB (www.Zeitschriftendatenbank.de) weist rund 560 aus. Heute gibt es in Deutschland nur noch eine Anzeigenzeitung, die sich so nennt – in Dorfen (Bayern).
Zeitungen und Zeitschriften mit hohem Anspruch an die Leser, wie FAZ, Süddeutsche Zeitung und Der Spiegel, werden auch heute noch halb scherzhaft als „Intelligenzblätter“ bezeichnet.
[Bearbeiten] Goethe und die „Blättchen“
Schon 1774 entwarf Johann Wolfgang von Goethe im "URFAUST" die noch heute im "Faust" enthaltene Szene, in der Mephisto für Faust die Bekannschaft mit Margarethe über deren Nachbarin Frau Marthe Schwertlein vermittelt. Mephisto gibt sich als Bote von dem seit Jahren als Söldner ("Malta") verschollenen Ehemann Schwertlein aus: "Ihr Mann ist tot und läßt Sie grüßen!° Frau Schwertlein verlangt eine Todesbescheinung o.ä. mit der Begründung: "...möcht' ihn doch gerne tot im Blättchen lesen."
"Blättchen" kann sich 1774 nur auf Intelligenzblatt beziehen. Frau Schwertleins Äußerung bedeutet, dass sie großen Wert auf die Veröffentlichung einer Todesmeldung oder Todesanzeige in ihrem örtlichen Intelligenzblatt legt. Goethe charakterisiert damit Frau Schwertlein dahin, dass sie als Frau nicht nur lesen kann, also für ihre Zeit überdurchschnittlich gebildet ist, sondern als Frau sogar schon 1774 eifrige Leserin eines Intelligenzblattes ist.Gleichzeitig zeigt Goethe, dass sie so klug und intelligent ist, auf die plumpe Behauptung Mephistos nicht hereinzufallen, sondern einen schriftlichen amtlichen Beweis verlangt. Allgemein läßt Goethe so schon für 1774 eine beträchtliche Verbreitung der Intelligenzblätter erkennen, sowie, dass Todesanzeigen bereits ein bedeutendes gesellschaftliches Statussymbol waren.
Es ist allerdings nicht ausgeschlossen, dass die Szene lediglich satirisch gemeint ist, dass Goethe in Frau Schwertlein antifeministisch und höhnisch emanzipierte bürgerliche Frauen karikieren wollte, die lesen und schreiben können und sogar die "Blättchen" lesen.
[Bearbeiten] Intelligenzblätter als Geschichtsquelle
Während die Literatur- und Politikwissenschaften traditionell geringschätzig über die Intelligenzblätter wegen des Fehlens von hochgeistigen politischen, literarischen o.a. Artikeln in ihnen urteilen, hat die Presse- und Kommunikationsgeschichtsschreibung sich immer mit den Intelligenzblättern befasst. Insbesondere hat die Geschichte der Anzeige und des Inseratenwesens wissensschaftliche und unterhaltend- kulturgeschichtliche Darstellungen erfahren.
Inzwischen hat die moderne Sozial- und Wirtschaftsgeschichte die Intelligenzblätter als bedeutende und reiche Geschichtsquelle entdeckt. Die darin veröffentlichten Bekanntmachungen und Anzeigen gewähren tiefe Einblicke in jeden nur denkbaren Aspekt des öffentlichen wie privaten gesellschaftlichen und kulturellen Lebens, der Theatervorstellungen, der Bücherausleihen, der medizinischen Versorgung, des Warenangebots und der Konsumgewohnheiten, der Moden, der Firmen- und Unternehmensgeschichte, der Biographie und Familiengeschichte. Allgemein bestätigen sie den von Goethe in der "Faust"-Szene - gewollt oder ungewollt - erweckten Eindruck, dass das Bürgertum sich im 18. und im 19. Jahrhundert über die Intelligenzblätter eine immer mehr wachsende Öffentlichkeit und Medienpräsenz und damit Bedeutung am öffentlichen Leben verschaffte.
[Bearbeiten] Literatur
- Curt Riess, Ehrliches Pferd gesucht. Geschichte des Inserats. Hamburg, Hoffmann und Campe Verlag, 1971, 207 S.
- Gerold Schmidt, Kirchenbuchveröffentlichungen in Intelligenzblättern des 18. und in Pfarrgemeindeblättern des 19. Jahrhunderts als biographisch-genealogische Quelle, in: Archiv für Sippenforschung, Limburg a. d. Lahn, 54.Jg., H. 111/Oktober 1988, S. 557-559