Monte Verità
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Der Monte Verità ist ein Hügel über Ascona, im Kanton Tessin, Schweiz und war in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts der Sitz einer lebensreformerischen vegetarischen Künstlerkolonie, die heute als Wiege der Alternativbewegung gilt. In ihr sammelte sich der Widerstand gegen die patriarchale militaristische Kultur und Gesellschaft der Zeit. Monte Verità wurde ein Zentrum neuer Bewegungen: Lebensreform, Pazifismus, Anarchismus, Theosophie, Anthroposophie, OTO, Psychoanalyse, östliche Weisheit, Ausdruckstanz. Zugleich war der Monte Verità eine Zitadelle des politischen Widerstands gegen die autoritären und chauvinistischen Regime des 20. Jahrhunderts. Vor und während des Ersten Weltkriegs sammelten sich dort die Pazifisten, Verweigerer, Emigranten und Flüchtlinge aus den kriegführenden Staaten: so Hans Arp, Hugo Ball, Ernst Bloch, Hermann Hesse, Ernst Toller und viele andere. Durch die Dichtungen von Hermann Hesse, Gerhart Hauptmann, Bruno Goetz und anderen, vor allem aber durch Person und Werk Gusto Gräsers, wurde der Berg zu einem Mythos.
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[Bearbeiten] 1900-1920
Gründer dieser Kolonie waren die Brüder Karl (1875-1920) und Gustav Arthur Gräser (1879-1958) zusammen mit Henri Oedenkoven (1875-1935) und Ida Hofmann (1864-1926). Man war von der Überzeugung beseelt, eine Veränderung der Welt durch die Änderung des eigenen Lebens bewirken zu können. Während die Brüder Gräser eine Liebeskommune anstrebten, eine Freistatt für Aussteiger, setzten Oedenkoven und Hofmann auf eine wirtschaftlich rentierende Naturheilanstalt.1920 wurde die Naturheilanstalt wegen mangelnder Wirtschaftlichkeit aufgegeben. Die Impulse vom "Berg der Wahrheit" wirken jedoch weiter in den Umwelt-, Friedens- und Frauenbewegungen der Gegenwart. Nicht zuletzt im Ausdruckstanz oder German dance, der sich vom Monte Verità aus die Welt erobert hat.
Aus der Pionierzeit existieren noch einige Häuser und Zeugnisse, die besucht werden können. Drei Gebäude machen den heutigen Museumsrundgang aus: Casa Anatta, Casa Selma, Holzpavillon Chiaro mondo dei beati.
- Casa Anatta: Wohnhaus der Gründer der Naturistenkolonie, gebaut 1902. Es galt schon 1930 als "originellstes Schweizerhaus in Holz" mit Flachdach, doppelten Wänden und Rolltüren sowie in allen Räumen hölzerne Tonnengewölbe. Heute beherbergt es eine permanente Ausstellung über die Geschichte des Monte Verità und seiner Kolonie.
- Casa Selma: eine typische "Licht-Luft-Hütte", die von der Kolonie und der Vegetariergenossenschaft in den ersten Jahren nach der Besiedlung des Monte Verità übernommen wurde.
- Der Holzpavillion "Chiaro mondo dei beati" wurde auf dem Fundament des damaligen Solariums erbaut. Darin befindet sich das gleichnamige Riesengemälde von Elisar von Kupffer (1923).
[Bearbeiten] 1926-1940
1926 erwarb der Bankier Eduard von der Heydt den Berg für 160.000 Franken, arrondierte das Gelände, ließ durch den Architekten Emil Fahrenkamp ein Hotel errichten und stattete das Hotel mit einem Teil seiner ostasiatischen Sammlung aus. Der Berg lebte mit dem Hotel erneut auf als ein internationaler Anziehungspunkt. Der Zweite Weltkrieg beendete diese Blütezeit. Als 1946 die Schweizer Staatsanwaltschaft ein Verfahren gegen ihn eröffnete wegen nachrichtendienstlicher Tätigkeit für das "Dritte Reich", vermachte er im selben Jahr seine Ostasiatika dem Rietberg-Museum in Zürich. Das Verfahren endete ergebnislos mit seinem Freispruch. Der Berg ging 1964 aufgrund einer testamentarischen Verfügung Von der Heydts in den Besitz des Kantons Tessin über.
[Bearbeiten] 1978 bis heute
Der Monte Verità wurde durch die Ausstellung "Mammelle delle verità" von Harald Szeemann 1978 wiederentdeckt. Die Ausstellung wurde danach in Zürich, Berlin, München und Wien gezeigt und war ein grosser Erfolg, da sie dem Bedürfnis nach Alternativen in den 1970er Jahren eine historische Grundlage gab. Szeemann hatte den Monte Verità wieder zu einem Gesamtkunstwerk gemacht. In Deutschland bewahrt das Deutsche Monte Verità Archiv Freudenstein die größte Sammlung über die Geschichte des Berges. 1990 übernahm das Centro Stefano Franscini den Monte Verità. Er wurde nun zu einem Kongresszentrum, in dem auch kulturelle Veranstaltungen stattfinden.
Ende der 80er wurde unter dem Monte Verità ein 1,1 km langer Straßentunnel gebaut. Zuvor mussten die Autos immer mitten durch die Asconeser Innenstadt, wodurch es dort besonders in der Ferienzeit ständig zu langen Staus kam. Heute fahren die Autos durch den Tunnel an Ascona vorbei; die alte Uferstraße dient heute als Spazierweg und dem Anliegerverkehr.
Im Frühjahr 2006 wurde auf dem Monte Verità ein Teepark eröffnet. Die Teepflanzen (Camellia sinensis) können hier auch erworben werden. Ein Zen-Garten und ein Tee-Haus (im Loreley-Haus), in dem Tee-Zeremonien und Seminare zum Thema "Grüner Tee" abgehalten werden, ergänzen diesen Park.
[Bearbeiten] Berühmte Besucher
Der Monte Verità in Ascona lockte eine beachtliche Zahl von Künstlern, Politikern, Anarchisten und Prominenz nach Ascona, so u.a. Hermann Hesse, Gerhart Hauptmann, Max Weber, Erich Maria Remarque, Hugo Ball, Else Lasker-Schüler, Stefan George, Isadora Duncan, Rudolf von Laban, Carl Eugen Keel, Paul Klee, Mary Wigman, Max Picard, Ernst Toller, Henry van de Velde, Theodor Reuß, Fanny Gräfin zu Reventlow, Frieda und Else von Richthofen, Otto Gross, Erich Mühsam, Gustav Stresemann, Richard Seewald, Carlo Mense, Martin Buber, Hans Arp, Sophie Taeuber-Arp, Klabund, Carl Gustav Jung, Heinz Rühmann, Oskar Maria Graf, Georg Schrimpf und viele andere.
[Bearbeiten] Literatur
- Green, Martin: Mountain of Truth. The Counterculture begins, Ascona, 1900-1920. University Press of New England, Hanover and London, 1986. ISBN 0-87451-365-0
- Müller, Hermann: Gusto Gräser. Aus Leben und Werk. Bruchstücke einer Biographie. Vaihingen an der Enz 1987. ISBN 3-924275-16-5
- Barone, Elisabetta; Riedl, Matthias; Tischel, Alexandra (2004): Pioniere, Poeten, Professoren. Eranos und der Monte Veritá in der Zivilisationsgeschichte des 20. Jahrhunderts. Würzburg: Königshausen und Neumann, 272 S. ISBN 3-8260-2252-1
- Schwab, Andreas: Monte Verità - Sanatorium der Sehnsucht. Zürich: Orell Füssli 2003. 286 S., 19 s/w Fotos, zahlr. Abb. ISBN 3-280-06013-3
- Schwab, Andreas und Lafranchi, Claudia: Sinnsuche und Sonnenbad. Experimente in Kunst und Leben auf dem Monte Verità. Zürich: Limmat 2001. 288 S., ca. 50 Fotos und Abb. ISBN 3-85791-369-X
- Fehlemann, Sabine und Stamm, Rainer: Die Von der Heydts. Bankiers, Christen und Mäzene. Wuppertal: Müller + Busmann 2001. 184 S. ISBN 3-928766-49-X
- Fehlemann ist Direktorin des Von der Heydt-Museum - Landmann, Robert [= Werner Ackermann]: Ascona - Monte Verità. Auf der Suche nach dem Paradies. Frauenfeld: Huber, 304 S., ca. 24 Abb. ISBN 3-7193-1219-4
- Rezension - Petzold, Ernst R. und Pöldinger, Walter (1998): Beziehungsmedizin auf dem Monte Verità. 30 Jahre Psychosomatik in Ascona. Wien, New York: Springer, IX, 77 S. ISBN 3-211-83200-9
- zur Arbeit von Balint-Gruppen - Robert Landmann: Ascona - Monte Verità. Die Geschichte eines Berges, Ascona Pancaldi Verlag 1930; (Roman von Werner Ackermann, der für kurze Zeit Mitbesitzer am Monte Verità gewesen war)
- Borsano, Gabriella: Monte Verità - Berg der Wahrheit. (Austellungskatalog 24.Okt. - 21.Dez.1980, Museum Villa Stuck, München); Electa Editrice 1978. - sehr umfangreiche, historisch und kulturgeschichtliche Einordnungen des Begegnungsortes in die Avangardebewegungen der Moderne.
- Samir Girgis, Jakob und der Berg der Weisheit - Historischer Roman über die Geschichte Asconas und des Monte Verità Schardt Verlag, Oldenburg 2005: ISBN 389841180X
[Bearbeiten] Weblinks
- Der Monte Verità in Ascona
- Der „Heilige Berg“ Monte Verità
- Das internationale Tagungszentrum „Centro Stefano Franscini“ auf dem Monte Verità
- Darstellung der Besucher
- Über Gustav Arthur Gräser.
Koordinaten: 46° 9' 31" N, 8° 45' 49" O