Ein stolzes Schiff
aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Johann Albert Gottlieb Methfessel komponierte 1828 in Hamburg das Lied „Die Liebe schlang das heiligste der Bande“, welches heute unter dem Namen „Ein stolzes Schiff“ bekannt ist.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Entstehung des Liedes im 19. Jahrhunderts
Methfessel, ein Liedkomponist, der am 6. Oktober in Stadtilm geboren wurde († 23. März 1869 in Heckenbeck bei Braunschweig) und in Dresden eine Gesangsausbildung erhielt, wurde 1810 Hofsänger und 1811 Kammersänger in Rudolstadt. Politisch schloss er sich dem Kampf gegen Napoleon an und beteiligte sich am Ersten Deutschen Musikfest in Frankenhausen. Hier machte er durch seine ersten vaterländischen Lieder auf sich aufmerksam. Neben der bekannten Liedersammlung „Allgemeines Commers- und Liederbuch mit Melodien“ mit Burschenliedern, Trinkliedern, Vaterlandsgesängen sowie Kriegs- und Turnlieder, welches er 1818 herausgab, komponierte er auch die Melodie für die Nationalhymne der Stadt Hamburg mit dem Titel: „Heil über dir Hammonia“. Hintergrund des Liedes „Die Liebe schlang das heiligste der Bande“ war die Befreiung von der Franzosenherrschaft unter reger Mitwirkung des Hamburger Bürgermilitärs gewidmet. Dies ist besser nachvollziehbar, wenn man weiß, dass es mit der zweiten Belagerung der Franzosen im Mai 1813 einen Befehl gab, der alle Hamburger, die nicht genügend Lebensmittel für die Besatzer für mindestens ein halbes Jahr nachweisen konnten, die Stadt verlassen mussten. Viele nahmen das zum Anlass für eine Auswanderung nach Amerika oder auch Australien. Als das Bürgermilitär 1869 aufgelöst wurde verblieb es in der Form eines Hamburger Nationalliedes nur noch eine Weile im Repertoire der Volkssänger und Drehorgelspieler, bevor es dann endgültig vergessen wurde.
[Bearbeiten] Lied in der Zeit der 1848er Revolution
In die politischen Ereignisse ab 1848 passt der Text, des nun gewandelten Liedes mit dem neuen Titel „Ein stolzes Schiff“. Die Worte „Elend, Armuth und Kummer“, welche in späteren Fassungen des Liedes nie wieder vorkommen werden, sind hier besonders betont. In der letzten Strophe wird die Frage gestellt: „O altes Deutschland, kannst du ohne Grau'n die Flucht der armen Landeskinder schau'n?“, eine politische Frage, an die veränderungswürdigen Zustände im Deutschen Vormärz.
Hier der Text des gesamten Liedes:
- „Ein stolzes Schiff streicht einsam durch die Wellen,
- Es führt uns uns're deutschen Brüder fort!
- Die Flagge weht, die weißen Segel schwellen,
- Amerika ist der Bestimmungsort.
- Auf dem Verdecke stehen,
- noch einmal anzusehen,
- das Vaterland, das heimatliche Grün,
- Mann, Weib und Kind, eh' sie von dannen ziehen.
- Dort zieh'n sie hin, wer wagt es, noch zu fragen
- Warum verlassen sie ihr Vaterland?
- O, altes Deutschland, kannst du es ertragen,
- daß deine Völker werden so verbannt?
- Schaut her. Ihr Volksbeglücker,
- schaut her, Ihr Unterdrücker,
- seht eure besten Arbeitskräfte flieh'n,
- seht, wie sie über's große Weltmeer zieh'n.
- Wir stehen hier am heimatlichen Strande
- und blicken unsern deutschen Brüdern nach.
- Nicht Hochmuth treibt sie aus dem Vaterlande,
- Nein, Nahrungslosigkeit und Noth und Schmach.
- Was hier nicht war zu finden,
- wollen sie sich dort begründen;
- Sie segeln von dem deutschen Boden ab
- und suchen in Amerika ein Grab.
- Dort zieh'n sie hin auf wilden Meereswogen,
- arm kommen sie im fernen Welttheil an,
- und unter'm fremden, weiten Himmelsbogen
- erwartet sie ein neues Schicksal dann:
- Elend, Armuth und Kummer
- wiegt sie gar oft in Schlummer.
- O altes Deutschland, kannst du ohne Grau'n
- die Flucht der armen Landeskinder schau'n?“
(Aus: Helmut Glagla, Hamburg im plattdeutschen Drehorgellied des 19. Jahrhundets, Hamburg 1974, DVA: V1 4812.)
[Bearbeiten] Lied in der Weimarer Republik
Die Version des Liedes die uns von 1925 vorliegt, wird Kolonialisierung in Verbindung mit der Verbannung der Söhne des Landes, auf der Suche nach Arbeitsplätzen dorthin angesprochen. Als Motivation dient jetzt außerdem der Betrug in der Heimat. Hier der Text:
- „Ein stolzes Schiff streicht langsam durch die Wellen
- Und führet unsre deutschen Brüder fort;
- Der Ostwind weht, die weißen Segel schwellen
- Amerika ist ihr Bestimmungsort.
- So auf dem Verdeck zu stehen,
- Nach der Heimat hinzusehen:
- Amerika, zu fernen Kolonien
- Seht ihr sie übers große Weltmeer ziehn?
- Da ziehn sie hin! Wer wagt's danach zu fragen,
- Warum verlassen sie ihr Heimatland?
- Du armes Deutschland, kannst du es ertragen,
- Wie deine Söhne man so hart verbannt?
- Schauet her, ihr Volksbeglücker,
- Schauet her, ihr Unterdrücker,
- Seht eure besten Arbeitskräfte fliehn!
- Seht ihr sie übers große Weltmeer ziehn?
- Da ziehn sie hin auf blaue Meereswogen
- Was schauen wehmutsvoll sie noch zurück?
- Sind in der Heimat sie so arg betrogen?
- Daß sie im fremden Land nun suchen jetzt ihr Glück?
- Was sie hier nicht konnten finden,
- Suchen sie sich dort zu gründen,
- Sie segeln hier vom deutschen Boden ab
- Und finden in der Fremde dann ihr Grab.“
(Aus: Louis Mosberg, Frohes Lied. Handwerker- Wander- u. Volkslieder. Bielefeld 1925.)
[Bearbeiten] Lied in der heutigen Zeit
[Bearbeiten] In den 70er Jahren
Seit Anfang der 70er Jahre waren die Liedermacher Erich Schmeckenbecher und Thomas Friz unter dem Namen „Zupfgeigenhansel“ darum bemüht, alte deutsche Volkslieder für die heutige Zeit aufzugreifen und mit ihren Instrumenten „Lieder von Demokraten, aufsässigen Bauern und lüsternen Pfaffen, denen Volkes Mund nur gar zu gern mal eins aufs geheiligte Haupt gab [...] Musikantenstadln, Bierzelten und Vereinsmeiereien“ entgegenzusetzen (Musikwoche). Sie griffen u.a. auch den nicht vollständigen Text eines von ihnen im DVA Deutsches Volksliedarchiv aufgefundenen Flugblattes „Ein stolzes Schiff“ (ohne Melodie) bei ihren Recherchen auf, zu dem Erich Schmeckenbecher eine neue Melodie schrieb. Die dort fehlenden Textzeilen wurden von ihnen sinngemäß ergänzt. Das "neue" Lied wurde mit „Zupfgeigenhansel“ über die Jahre sehr populär. In dieser neuen Version brachte es die Thematik "48er Auswanderung" Mitte der 70er ( Zupfgeigenhansel: Volkslieder III) wieder ins Bewusstsein der Menschen und wurde später von vielen Kollegen (Liederjan, Paul Bartsch, Grenzgänger u.a.) thematisch aufgegriffen, verändert und entsprechend weiterverbreitet.
Der Text des Flugblattes (DVA) mit Ergänzung von Zupfgeigenhansel: Ein stolzes Schiff:
- „ein stolzes schiff streicht einsam durch die wellen und führt uns uns're deutschen brüder fort.
- die fahne weht, die weißen segel schwellen, amerika ist der bestimmungsort.
- seht, auf dem verdeck sie stehen, sich noch einmal umzudrehen, ins vaterland, ins heimatliche grün.
- seht, wie sie übers große weltmeer zieh'n.
- sie zieh'n dahin auf blauen meereswogen. warum verlassen sie ihr heimatland?
- man hat sie um ihr leben schwer betrogen; die armut trieb sie aus dem vaterland.
- schauet auf, ihr unterdrücker, schauet auf, ihr volksbetrüger! seht, eure besten arbeitskräfte flieh'n.
- seh't, wie sie übers große weltmeer zieh'n.
- sie zieh'n dahin, wer wagt sie noch zu fragen? warum verlassen sie ihr heimatland?
- o, armes deutschland, wie kannst du es ertragen, daß deine brüder werden so verbannt:
- was sie hofften, hier zu gründen, suchen sie dort drüben zu finden. drum ziehen sie von deutschem boden ab
- und finden in amerika ihr grab.“
[Bearbeiten] In der Nachwendezeit
Pauls Bartsch, ein Liedermacher aus den neuen Bundesländern, der das Lied von Zupfgeigenhansel aufgriff, vergleicht die Auswanderungswelle des 19. Jahrhunderts, welche in diesem Lied beschrieben wird, mit der gegenwärtigen Auswanderungswelle von jungen Menschen in Ostdeutschland. Das hat er in einer vierten Strophe, ergänzend zu den Zupfgeigenhanseln zum Ausdruck gebracht:
- „Das Schiff bleibt hinterm Horizont verschwunden,
- das Aug' läuft über und das Herz ist schwer.
- Der Schmerz der hundert Jahre alten Wunden
- flammt wieder auf bei dieser Wiederkehr:
- Wieder zieht's die Jungen in die Ferne,
- wieder leuchten drüben hell die Sterne
- und wieder merken wir's erst, wenn's zu spät,
- dass uns am End' die Heimat untergeht.“