Evangelienharmonie
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Eine Evangelienharmonie (lat. harmonia evangelica) versucht unter Berücksichtigung aller Daten über das Leben und Wirken Jesu, die in den vier kanonischen Evangelien genannt werden, eine einheitliche Lebens- und Wirkungsgeschichte Jesu zu erzählen.
[Bearbeiten] Diatessaron des Tatian
Die bekannteste Evangelienharmonie der Antike, das Diatessaron (griechisch „durch vier“, „aus vier“) verfasste um 170 Tatian. Sie war in syrischen Gemeinden als alleiniger Evangelientext gebräuchlich. Noch um die Mitte des 4. Jahrhunderts in Edessa hat man sie beim Gottesdienst benutzt. Später wurde sie als ketzerisch verdammt, so dass der Bischof Theodoret um 400 in seinem Sprengel alle Exemplare konfiszieren und vernichten ließ. So ging das "Diatessaron" verloren. Wir kennen seinen Inhalt allerdings zum überwiegenden Teil auf Syrisch aus einem vom Hl. Ephräm dazu verfassten Kommentar. Es hält sich an die Chronologie des Johannesevangeliums und beginnt mit dessen Anfangsworten. Das Diatessaron scheint mit dem Text der Evangelien relativ frei umgegangen zu sein, ist aber keine Paraphrase. Mit Ausnahme der beiden kaum harmonisierbaren Stammbäume Jesu scheint es sämtliche Passagen der vier Evangelien verarbeitet zu haben.
Die Ursprungssprache des Diatessarons ist unklar. Zumeist wird angenommen, dass Tatian es nach der Heimkehr aus Rom nach Syrien dort und in Syrisch abgefasst hat. Ein Fragment aus Dura Europos ist in griechischer Sprache erhalten, grammatikalische Abweichungen zum griechischen NT-Text lassen jedoch eine Rückübersetzung vermuten. Eine syrische Textausgabe existiert nur in einem neuzeitlichen Rekonstruktionsversuch auf der Grundlage von Ephräms Diatessaronkommentar.
Dieses Diatessaron wurde mehrfach übersetzt, z. B. erschien es 544 in lateinischer, aber stark veränderter Ausgabe von Viktor von Capua. Diese wurde ihrerseits im 9. Jahrhundert im Kloster Fulda ins Althochdeutsche übersetzt („Althochdeutscher Tatian“) – das war die älteste deutsche Evangelienharmonie. Bedeutend sind auch eine arabische Übersetzung aus dem 9./10. Jahrhundert und eine mittelalterliche persische Übersetzung.
[Bearbeiten] Weitere Evangelienharmonien
Ein zweites Diatessaron bearbeitete Ammonius von Alexandria im 3. Jahrhundert, indem er das Evangelium nach Matthäus zu Grunde legte und auf die anderen Evangelien durch Randbemerkungen verwies. Ammonius' Werk war in griechischer Sprache abgefasst.
Selbständige harmonistische Arbeiten in deutscher Sprache sind das Evangelienbuch (Liber Evangeliorum) des Mönchs Otfrid von Weißenburg und der altsächsische Heliand, beide aus dem 9. Jahrhundert. Augustinus gab für derartige Bemühungen eine wissenschaftliche Direktive in seinem Werk De consensu evangelistarum.
Bestimmtere Grundsätze strebte man seit der Reformation an (u. a. Johannes Calvin, Martin Chemnitz, Andreas Osiander). Damals wurde auch zuerst die Bezeichnung „Evangelienharmonie“ gebraucht, und zwar für die von Martin Chemnitz begonnene und von Johann Gerhard vollendete Bearbeitung der vier Evangelien.
Eine Zusammenstellung des griechischen Textes der vier Evangelien zu wissenschaftlichen Zwecken wird von neueren Theologen Synopsis genannt.
[Bearbeiten] Literatur
- Dietrich Wünsch: Evangelienharmonie. In: Theologische Realenzyklopädie 10 (1982), S. 626-636
- Theodor Zahn: Forschungen zur Geschichte des neutestamentlichen Kanons und der altkirchlichen Literatur. Teil 1. Tatian's Diatessaron. Deichert, Erlangen 1881
- William L. Petersen: Tatian's diatessaron. Its creation, dissemination, significance and history in scholarship. Brill, Leiden u.a. 1994, ISBN 90-04-09469-5
- Ulrich B. Schmid: Unum ex quattuor. Eine Geschichte der lateinischen Tatianüberlieferung. Herder, Freiburg im Breisgau u. a. 2005, ISBN 3-451-21955-7