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Heinrich Ludwig Tschech

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Heinrich Ludwig Tschech (* 1789 in Klein Kniegnitz (Księginice Małe, heute Gemeinde von Sobótka), Niederschlesien; † 14. Dezember 1844 in Spandau hingerichtet) war ein ehemaliger Bürgermeister von Storkow (Brandenburg), der am 26. Juli 1844 ein Attentat auf König Friedrich Wilhelm IV. verübte.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Der Attentäter

Tschech war der Sohn eines Pfarrers, hatte nach einer guten Erziehung eine kaufmännische Ausbildung erhalten und war mehrere Jahre als Kaufmann tätig, trat dann in kommunale Dienste in Berlin und Storkow und wurde Bürgermeister von Storkow. Als Bürgermeister geriet er in Konflikt mit vorgesetzten Behörden und wurde er von diesen schließlich gezwungen, von seinem Amt zurückzutreten. Nachdem er zahlreiche Eingaben und Gesuche um Wiedereinstellung an preußische Behörden und zuletzt an den König selbst gerichtet hatte, damit aber erfolglos geblieben war, fasste er den Entschluss, den König öffentlich zu töten. Einer eigenen Erklärung zufolge leitete ihn dabei nicht Rache, sondern die Überzeugung, dass ihm kein anderer Ausweg blieb, um vor der Welt seine verletzte Ehre wiederherzustellen[1]:

da ich eine höhere menschliche Macht zur Erlangung meines Rechtes nicht in Anspruch nehmen konnte, so blieb mir nur noch das einzige Mittel, mein so tief verletztes Recht, meine mit Füssen getretene Ehre zu erreichen, vielleicht zu erhalten und wieder herzustellen. Denn nur auf diese Weise konnte meine Angelegenheit zur allgemeinen Weltsache werden.

Er kaufte sich eine doppelläufige Pistole und bereitete sich mit Schießübungen auf seine Tat vor. Am Tag vor der Tat ließ er noch eine Daguerreotypie von sich anfertigen, "damit die Welt nach seinem etwaigen Tode sehe, dass seine Physiognomie nicht die eines gemeinen Schurken sei"[2]. Dabei soll er die linke Hand auf die Brust gelegt, die rechte weit ausgestreckt und mit lauter Stimme "Kraft von oben!" gerufen haben.[2].

Am folgenden Morgen, dem 26. Juli 1844, begab er sich vor acht Uhr zum Portal des Berliner Schlosses und stellte sich an der Schloßtreppe nahe bei dem wartenden königlichen Reisewagen auf. Als der König und dessen Gemahlin, Elisabeth Ludovika, aus dem Schloß heraustraten, ließ Tschech die sich bietende Gelegenheit zunächst ungenutzt, nach eigener Aussage darum, weil er die Königin und die Personen im Gefolge der beiden nicht gefährden wollte. Erst nachdem das Königspaar sich im Wagen niedergelassen hatte, feuerte er schließlich beim Anfahren der Kutsche beide Läufe seiner Pistole auf den König ab.

Der König erlitt keine bedeutende Verletzung, anscheinend wurde nur sein Rock getroffen, bzw. dem Volkslied zufolge traf einer der beiden Schüsse "die Landesmutter / durch den Rock ins Unterfutter". Tschech wurde sofort überwältigt und verhaftet. Das geschichtlich erste Attentat auf einen preußischen König erregte beträchtliches Aufsehen; eine der Folgen war, dass die vorgesehenen Feierlichkeiten fuer die Einweihung des Zoologischen Gartens abgesagt wurden und dieser am 1. August ohne Beisein des Königs in aller Stille eröffnet wurden.[3].

In dem anschließenden Prozeß wurde Tschech zum Tode verurteilt und am 14. Dezember 1844 in Spandau hingerichtet. Bekundungen von Reue hatte er bis zuletzt ebenso verweigert wie ein Gnadengesuch an den König, obwohl sich unter anderem Bettina von Arnim beim König für seine Begnadigung eingesetzt hatte und in der Nacht vor der Hinrichtung eigens zwei Lokomotiven in Spandau unter Dampf gehalten wurden, um ein etwaiges Gnadengesuch noch rechtzeitig zum König nach Potsdam zu bringen, der es sehr wahrscheinlich positiv beantwortet hätte[4]. Nach Darstellung zeitgenössischer Zeitungsberichte soll der König seine Unterschrift nur nach langem Widerstreben unter das Todesurteil gesetzt und dabei geweint haben[5].

[Bearbeiten] Das Portrait des Attentäters

Dass Tschech am Vortag seines Attentats eigens eine Daguerreotypie von sich anfertigen ließ[2], ist ein in der Kulturgeschichte der Fotografie bemerkenswerter Vorgang, der auf die Bekennervideos heutiger Terroristen vorausweist. Erhalten scheint die fragliche Daguerreotypie nicht zu sein. Dafür existiert eine Beschreibung Tschechs aus der Feder des Prenzlauer Militärarztes und Gerichtsmediziners Sigismund Eduard Loewenhardt (1794-1875). Dieser scheint in das Gerichtsverfahren gegen Tschech nicht offiziell einbezogen gewesen sein, sondern beklagte vielmehr, dass das Todesurteil ohne ein vorheriges psychiatrisches Gutachten der Königlich wissenschaftlichen Deputation für das Medizinalwesen gefällt worden war[6]. Aber er besuchte den zum Tode Verurteilten am Vortag von dessen Hinrichtung im Spandauer Gefängnis und lieferte 1861 in einer seiner medizinischen Schriften eine ausführliche Beschreibung von dessen äußerer Erscheinung, in der ausdrücklichen Absicht, entegen der Selbsteinschätzung Tschechs das Verbrecherische von dessen Physiognomie deutlich zu machen, auch wenn er diesen nicht als prinzipiell von seinem "Wahn" unheilbar ansah[7]:

Tschech war ein Mensch von mittlerer Statur und ziemlich gedrungenem Körperbau. Reiches, schwarzes Haar bedeckte den nicht irgendwie auffallend geformten Schädel, und äusserst seltsam trug er eine Locke gerade auf die Stirn herabhängend, die dadurch kleiner erschien, als sie war. Das tief dunkle Auge unter den buschigen Brauen leuchtete widerwärtig wild, und gab ein sprechendes Bild der im Inneren tobenden Leidenschaften, zumal wenn er, was nur zu leicht war, im Gespräch sich aufregte, seine That zu beschönigen, sich als einen Märtyrer darzustellen versuchte. Dann rollte dieses Auge, seine Gesticulationen wurden lebendig, er focht mit den Armen umher, spreizte die Finger, rief den Himmel und die göttliche Gerechtigkeit an, seine voll und kräftig tönende Bassstimme erhob sich, seine beweglichen Züge wurden ängstlich lebendig, die sonst schmutzig gelbliche Gesichtsfarbe überzog sich mit einer flüchtigen dunklen Röte, und man hätte in dieser ganzen Art und Weise an einen südlichen Banditen (eher an einen Wahnsinnigen! Ref.) denken können, wenn nicht die gebildete Sprache und die höflichen Formen, die ihm eigen waren, den Unterschied zwischen ihm und einem Strassenraubmörder aus der Volkshefe sogleich in die Augen springend gemacht hätten. Aber das ganze Wesen dieses Verbrechers hatte etwas Beklemmendes, und er gab ein abschreckendes und warnendes Bild eines durch verwerfliche, nicht gezähmte Leidenschaft tief in seinem Innern aufgewühlten Menschen. Und diese Leidenschaft liess ihn bis zum letzten Augenblick nicht zur Ruhe, zur Betrachtung, zur Reue kommen.

[Bearbeiten] Die Tochter des Attentäters

Tschech hinterließ eine bereits erwachsene Tochter namens Elisabeth und soll noch auf dem Weg zur Richtstätte die Gewissheit geäußert haben, dass diese Tochter, die er in seiner Gesinnung erzogen habe, seinen Tod rächen werde[8]. Elisabeth Tschech galt fortan als gefährlich und stand unter Bewachung der Polizei, die im Juli 1847 und erneut im Frühjahr 1851 auch den belgischen Sicherheitsbehörden jeweils Warnungen zukommen ließ, dass Elisabeht nach Belgien zu kommen beabsichtigte[9].

Elisabeth hatte in den Jahren nach dem Attentat tatsächlich Kontakte zur Szene der deutschen Dissidenten und Emigranten in Brüssel. Sie stand in enger Beziehung zu Karl Heinzen, der am 12. August 1847 in der Deutschen Brüsseler Zeitung seine Absicht bekundete, nach Amerika gehen zu wollen, und zugleich zu Spenden für Elisabeth aufrief[10]. Im Frühjahr 1850 wurde die Situation für Elisabeth in Preußen unhaltbar. Sie floh zunächst nach Frankfurt am Main[11] und wandte sich von dort aus brieflich an Ferdinand Freiligrath, einen engen Freund Heinzens, um ihn um Unterstützung bei der Sammlung von Spenden zu bitten[12]. Als sie 1851 schließlich in Brüssel eintraf, wurden ihre Kontakte mit anderen Flüchtlingen von den belgischen Sicherheitsbehörden sorgfältig observiert, bis sie sich dann im April 1851 nach Amerika einschiffte.[9]

[Bearbeiten] Literarische und musikalische Folgen

Das Attentat gab den Anlass zur Entstehung eines den König respektlos verspottenden Bänkelliedes, das seither in das Liedgut der Arbeiterbewegung einging und von Friedrich Engels 1887/88 zu den "beiden besten Volkslieder(n) seit dem 16. Jahrhundert" gezählt wurde[13], während der patriotisch gesinnte Lieutnant Vogelsang in Theodor Fontanes Roman Jenny Treibel (1892) es angewidert als einen "erbärmliche(n) Gassenhauer" erinnert, "darin ganz der frivole Geist spukte, der die Lyrik jener Tage beherrschte"[14]. Es wurde gesungen nach der Melodie eines Festmarsches des in Berlin zu dieser Zeit sehr beliebten Kapellmeisters Joseph Gung’l (1809-1889)[15], die auch Victor von Scheffels Lied Als die Römer frech geworden zugrundeliegt.

Auch für einen König mit weniger übersteigerten Vorstellungen vom eigenen Gottesgnadentum hätte der Text dieses Liedes eine Majestätsbeleidigung dargestellt, in der aufgeregten Stimmung des Vormärz wurde es außerdem als Aufforderung zum Königsmord verstanden. Das Lied wurde verboten[16]erfreute sich nichtsdestoweniger aber schnell größter Beliebtheit und kursierte bald auch in unterschiedlichen Textversionen. Besondere Popularität erlangte die vierzeilige Schlußstrophe der ältesten Berliner Fassung:

Hatte je ein Mensch so'n Pech
wie der Bürgermeister Tschech,
dass er diesen dicken Mann
auf zwei Schritt' nicht treffen kann!

Der Autor des Liedtextes ist unbekannt; in seiner Biographie Max Stirners nennt John Henry Mackay als Verfasser des Liedes den Lübecker Journalisten Friedrich Sass, der in Berlin zu dem Kreis um Theodor Gottlieb Hippel d.J. gehörte[17], die Zuschreibung ist jedoch nicht gesichert.

In jüngerer Zeit adaptierten das Lied unter anderem der Düsseldorfer Liedermacher Dieter Süverkrüp und die Leizpiger Gruppe Folkländer Bierfiedler.

1846 begann der demokratisch gesinnte Königsberger Albert Dulk mit der Arbeit an einem Drama über Tschech, das jedoch Fragment blieb. Als Dulk, der im Zusammenhang mit den Leipziger Unruhen von 1845 aus Sachsen ausgewiesen worden war, die Tochter Tschechs besuchte, erregte er die Aufmerksamkeit der preußischen Polizei und geriet für sechs Wochen in Halle in Haft. Das Attentat regte jedoch nicht nur in revolutionär gesinnten Kreisen zu künstlerischer Verarbeitung an. Mendelssohn, der auf einer Reise nach Zweibrücken von dem Attentat erfahren hatte, komponierte nach der Rückkehr nach Worten des 91. Psalms seine achtstimmige Motette Denn er hat seinen Engeln befohlen über dir, die er dem König als "Glückwunsch" zu dessen Errettung übersandte[18] und zwei Jahre später dann auch in sein Oratorium Elias (1846) integrierte.

Lu Märten (1879-1970), eine Vorläuferin und Identifikationsfigur jüngerer Frauenforschung, veröffentlichte 1948 ihre Schrift Bürgermeister Tschech und seine Tochter - Erinnerungen an den Vormärz, die das Thema für jüngere Leserkreise halb dokumentarisch und halb fiktional aufbereitet und hierbei die Tochter Tschechs in den Mittelpunkt stellt[19]

[Bearbeiten] Literatur

  • Otto Büsch: Handbuch der preußischen Geschichte, Band II, de Gruyter, Berlin 1992, ISBN 3110083221
  • Sigismund Eberhard Loewenhardt: Kritische Beleuchtung der medicinisch-psychischen Grundsätze nebst den darauf basirten Ober-Gutachten der Königlich wissenschaftlichen Deputation für das Medicinal-Wesen in Preussen, Wilhelm Logier, Berlin 1861, S. 577-580

[Bearbeiten] Einzelnachweise

  1. S. E. Loewenhardt, Kritische Beleuchtung (1861), S. 578
  2. a b c S. E. Loewenhardt, Kritische Beleuchtung (1861), S. 577; Loewenhardt beruft sich bei dieser Darstellung auf einen Beitrag von Johann Ludwig Casper (1796-1864) in dessen Vierteljahresschrift für gerichtliche und öffentliche Medicin, ohne präzise Quellenangabe, vermutlich Jg. VI, Heft 1, S. 35
  3. Jutta Schneider: 1. August 1844: Eröffnung des Zoologischen Gartens, in: Berlinische Monatsschrift 8 (1999), S. 89-93, S. 89
  4. Handbuch der preußischen Geschichte, II (1992), S. 210 und Anm. 16
  5. S. E. Loewenhardt, Kritische Beleuchtung (1861), S. 580
  6. S. E. Loewenhardt, Kritische Beleuchtung (1861), S. 580
  7. S. E. Loewenhardt, Kritische Beleuchtung (1861), S. 579
  8. S. E. Loewenhardt, Kritische Beleuchtung (1861), S. 580
  9. a b Das belgischen Polizeidossier Elisabeth Tschechs befindet sich unter der Nummer 105.208 in den Akten des Amts für Öffentliche Sicherheit im belgischen Justizministerium, eine Zusammenfassung gibt Jurgen Casteleyn: Vreemdelingenbeleid en politieke migratie in België (1848-1851), Katholische Universität Löwen 2001/2002, Kap. IV.2.
  10. Brief Freiligraths an Heinzen, aus London 11. September 1847, Regestum im Ferdinand Freiligrath Briefrepertorium (FFB) (Nr. 2466)
  11. Brief Freiligraths an Hoffmann von Fallersleben von 1850, Regestum im FFB (Nr. 4959)
  12. Brief Freiligraths an seine Schwestern Karoline und Gisbertine, aus Köln 18. März 1850, Regestum im FFB (Nr. 2945)
  13. Friedrich Engels: Die Rolle der Gewalt in der Geschichte (1887/88); vgl. auch Karl Kautsky (Hrsg.): Aus der Frühzeit des Marxismus: Engels Briefwechsel mit Kautsky, Orbis Verlag, Prag 1935, S. 42
  14. Zur Wirkung auf Fontane siehe Helmuth Nürnberger: Theodor Fontane - ein Dichter in Preußen, in: Berliner LeseZeichen 05/01 (2001)
  15. Joseph Gung'l: Kriegers Lust: Fest-Marsch für Pianoforte in H-Dur, Op. 26. Bote & Bock, Berlin o.J., ca. 1842
  16. Im Dezember 1846 wurde eine Versammlung politisch umtriebiger Handwerker verhaftet, bei deren anschließendem monatelangem Prozeß von den ursprünglich schwerwiegenden Vorwürfen zuletzt im wesentlichen nur das Singen von Heinrich Heines Weberlied und des Tschech-Liedes übrig blieb und im Ergebnis dann zwei der Mitglieder vom Berliner Kriminalgericht "wegen wissentlichen Verbreitens verbotener Bücher" zu Geldstrafen verurteilt wurden, vgl. Wolfgang Büttner: Politik im Feuilleton der Deutschen-Brüsseler-Zeitung", in: Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung 40,2 (1998), S. 16-32, S. 31f.
  17. John Henry Mackay: Max Stirner - sein Leben und sein Werk. Dritte, als Privatausgabe in 325 Exemplaren gedruckte ... Auflage, Berlin 1914
  18. Norbert Bolin: Menschensohn und Gottesknecht: Der Prophet Elias, Anm. 10
  19. Chryssoula Kambas: Die Werkstatt als Utopie: Lu Märtens literarische Arbeit und Formästhetik seit 1900, Niemeyer Verlag, Tübingen 1988 (= Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur, Bd. 19)


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