Projektive Geometrie
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Die projektive Geometrie ist ein Teilgebiet der Geometrie. Sie ist aus der perspektivischen Darstellung dreidimensionaler Gegenstände in der zweidimensionalen Ebene hervorgegangen. Im Gegensatz zur "gewöhnlichen", euklidischen Geometrie, gibt es in der projektiven Geometrie keine Parallelen.
Auch die mathematischen Strukturen, die in der projektiven Geometrie untersucht werden, heißen projektive Geometrien, siehe auch: Axiomatischer Zugang weiter unten.
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[Bearbeiten] Projektive Geometrie als Erweiterung der euklidischen Geometrie
In der projektiven Geometrie der Ebene wird die bekannte euklidische Ebene um zusätzliche Punkte ergänzt: Zu jeder Klasse paralleler Geraden wird ein so genannter unendlich ferner Punkt definiert, der die Richtung dieser Geraden angibt. Alle diese unendlich fernen Punkte bilden die unendlich ferne Gerade. Im Gegensatz zur Euklidischen Geometrie schneiden sich in der projektiven Geometrie zwei Geraden stets in einem Punkt. Zwei nicht parallele Geraden schneiden sich in ihrem aus der euklidischen Geometrie bekannten Schnittpunkt, zwei parallele Geraden schneiden sich in ihrem gemeinsamen Fernpunkt, und eine gewöhnliche Gerade und die Ferngerade schneiden sich im Fernpunkt der Geraden.
Eine entsprechende Konstruktion ist auch für den Raum möglich. In diesem Fall gibt es zu jeder Klasse paralleler Ebenen eine Ferngerade, und alle Ferngeraden zusammen liegen in der Fernebene des Raumes. Analog zum zweidimensionalen Fall haben je zwei Ebenen eine gemeinsame Gerade.
Die Bezeichnung „projektive“ Geometrie leitet sich davon ab, dass Zentralprojektionen ein wichtiges Hilfsmittel und Studienobjekt der projektiven Geometrie sind. Eine Zentralprojektion von einem Punkt P auf eine Gerade g, die P nicht enthält, kann in der projektiven Ebene oder im projektiven Raum auf jeden Punkt mit Ausnahme von P angewendet werden. Im euklidischen Fall müsste man die Parallele zu g durch P ausschließen.
Ein wichtiger Begriff in diesem Zusammenhang ist das Doppelverhältnis von vier Punkten A,B,C,D, die auf einer Geraden liegen. Es ändert sich bei Zentralprojektion nicht.
[Bearbeiten] Axiomatischer Zugang
Beim axiomatischen Zugang werden abstrakte Mengen von so genannten Punkten und Geraden zusammen mit einer Inzidenzrelation betrachtet, die angibt, welche "Punkte" auf welchen "Geraden" liegen. An diese Daten werden gewisse Anforderungen (Axiome) gestellt.
Das einfachste Beispiel für eine projektive Geometrie ist die Fano-Ebene, die aus sieben Punkten und sieben Geraden besteht; im nebenstehenden Bild sind die "Punkte" die dick markierten Punkte, die "Geraden" sind die Strecken sowie der Kreis.
Ein mögliches Axiomsystem der projektiven Geometrie lautet:
- 1. Geradenaxiom: Sind P und Q zwei verschiedene Punkte, so gibt es genau eine Gerade, die mit P und Q inzidiert.
- 2. Veblen-Young-Axiom: Sind A,B,C,D vier Punkte, so dass AB und CD mit einem gemeinsamen Punkt inzidieren, so inzidieren auch AC und BD mit einem gemeinsamen Punkt.
- 3. Axiom 3: Jede Gerade inzidiert mit mindestens drei Punkten.
- 4. Axiom 4: Es gibt mindestens zwei verschiedene Geraden.
Ein projektiver Raum ist eine Geometrie, die die Axiome 1-3 erfüllt. Wird zusätzlich das Axiom 4 erfüllt, spricht man von einem nichtausgearteten projektiven Raum.
Axiom 2 sagt, dass sich zwei Geraden schneiden können. Benutzt man an seiner Stelle das stärkere Axiom 2', spricht man von einer projektiven Ebene.
Axiom 2': Je zwei verschiedene Geraden haben einen gemeinsamen Punkt.
Jede affine Ebene lässt sich zu einer projektiven Ebene erweitern, indem man neue Punkte (Fernpunkte) hinzufügt. Zu jeder Klasse paralleler Geraden gehört genau ein solcher Fernpunkt oder "unendlich ferner Punkt". (Er kann mit der Richtung dieser Geraden oder auch mit der Geradenmenge selbst identifiziert werden.) Der unendlich ferne Punkt wird als Schnittpunkt von je zwei parallelen Geraden dieser Richtung festgelegt.
Die Gesamtheit aller unendlich fernen Punkte einer Ebene, also alle in ihr enthaltenen Geradenrichtungen, bildet die unendlich ferne Gerade der Ebene.
Die neu hinzugefügten Elemente werden zuweilen als die uneigentlichen Elemente (die uneigentlichen Punkte, die uneigentliche Gerade) der affinen Ebene bezeichnet.
Umgekehrt lässt sich aus jeder projektiven Ebene eine affine Ebene herstellen, indem eine beliebige Gerade zur "unendlich fernen Geraden" erklärt und, samt den darauf liegenden Punkten, aus der Geometrie entfernt wird. Geraden, die sich davor in Punkten der "unendlich fernen Geraden" geschnitten haben, haben nun keine Schnittpunkte mehr und werden somit zu Parallelen.
Bei dreidimensionalen projektiven Geometrien sind außer Fernpunkten auch Ferngeraden (als die Richtung von parallelen Ebenen) und eine unendlich ferne Ebene einzuführen. Bei höheren Dimensionen gibt es entsprechend "Fernebenen" usf.
Anschaulich lässt sich unter einem Fernpunkt im dreidimensionalen Raum die Richtung einer Geraden vorstellen. Dann haben zwei in einer Ebene liegende Geraden immer einen gemeinsamen Punkt: Entweder ihren im Endlichen liegenden gewöhnlichen Schnittpunkt oder, wenn sie parallel sind, ihre gemeinsame Richtung, ihren Fernpunkt. Bei perspektivischer Darstellung laufen sie in der Zeichenebene tatsächlich in diesem Punkt zusammen.
Die geläufige Redeweise, dass Parallelen sich im Unendlichen schneiden erhält damit - neben ihrer praktischen Erklärung beim perspektivischen Zeichnen - auch einen präzisen mathematischen Sinn.
Entsprechend ist eine Ferngerade die Richtung einer Ebene im Raum. Zwei Ebenen haben also immer eine Gerade gemeinsam: Entweder ihre im Endlichen liegende Schnittgerade oder, wenn sie parallel sind, ihre gemeinsame Richtung (Ferngerade).
Durch die Inzidenzbeziehungen der Grundelemente Punkt, Gerade und Ebene des projektiven Raumes entstehen die Grundgebilde. Ihre durch die Operationen Projizieren und Schneiden entstehenden Beziehungen werden in der koordinatenfreien synthetischen projektiven Geometrie (Geometrie der Lage) untersucht.
[Bearbeiten] Homogene Koordinaten
Hauptartikel: Homogene Koordinaten
Um auch die Fernelemente einer projektiven Ebene in einem Koordinatensystem darzustellen, machen wir folgende Überlegung: Jeder Punkt in der euklidischen Ebene lässt sich durch ein Paar von Koordinaten (x,y) im kartesischen Koordinatensystem darstellen. Verschieben wir jetzt einen Punkt entlang einer Ursprungsgerade immer weiter vom Ursprung weg, so bleibt das Verhältnis x : y stets konstant. Um diese Verschiebung ins Unendliche formal zu beschreiben, führen wir eine zusätzliche Koordinate z ein, gehen also in den 3-dimensionalen Raum über, und definieren eine Abbildung:
.
Je kleiner |z| bei festem x und y ist, desto weiter ist der beschriebene Punkt vom Nullpunkt entfernt. Für z = 0 ist die Abbildung nicht definiert, es existiert also kein im Endlichen liegender Bildpunkt in der Euklidischen Ebene. Der Punkt (x, y, 0) repräsentiert in unserer Darstellung genau denjenigen Fernpunkt, der in Richtung der durch (x, y) definierten Ursprungsgeraden im Unendlichen liegt. Beachte nun, dass (x, y, z) und (tx, ty, tz) (t eine von Null verschiedene reelle Zahl) durch den selben Punkt der euklidischen Ebene repräsentiert werden. Das Zahlentripel (x, y, z) nennt man die homogenen Koordinaten eines Punktes der projektiven Ebene.
Die Einführung der homogenen Koordinaten kann man sich auch anschaulich vorstellen.
Schneidet man ein Geradenbündel mit einer projektiven Ebene, die nicht durch den Trägerpunkt des Bündels geht, so kann man jedem Punkt der Ebene die durch ihn gehende Gerade des Bündels zuordnen und umgekehrt.
Wählt man den Ursprung eines dreidimensionalen kartesischen Koordinatensystems als Träger des Bündels und in der Ebene ε mit der Gleichung z = 1 ein zur x-Achse und y-Achse paralleles Koordinatensystem (x'/y') , so kann man die Punkte der Ebene ε durch die Richtungsvektoren der Ursprungsgeraden darstellen: . Da alle Vektoren
mit
dieselbe Geradenrichtung darstellen, definieren sie auch denselben Punkt der Ebene ε . Alle Bündelgeraden, die parallel zu der Ebene ε verlaufen, haben Richtungsvektoren mit z = 0, sie definieren die Fernpunkte der Ebene ε. Für alle anderen Punkte ist
, sie liegen im Endlichen, man erhält ihre gewöhnlichen Koordinaten im (x'/y') System durch
. Denn die Normierung der Richtungsvektoren
zu
ergibt genau den Ortsvektor des zugehörigen Punktes in der Ebene ε.
[Bearbeiten] Geradengleichung in homogenen Koordinaten
Ist der Normalenvektor einer durch den Ursprung gehenden Ebene und
der Ortsvektor eines in dieser Ebene liegenden Punktes X, so lautet die Ebenengleichung:
oder
![]()
Eine solche Ebene schneidet die Ebene ε in einer Geraden. Daher ist dies auch eine Geradengleichung in homogenen Koordinaten. Jedes von (0, 0, 0) verschiedene Zahlentripel stellt also sowohl einen Punkt als auch eine Gerade der Ebene ε dar.
Ist , so sind die beiden Ebenen parallel und die Gleichung
ist die Gleichung der Ferngerade der Ebene ε.
Hält man in der Gleichung den Normalenvektor
fest und variiert
, so erhält man die Gleichung einer Punktreihe. Hält man
fest und variiert man den Normalenvektor
, so erhält man die Gleichungen aller Geraden, die durch den festen Punkt X gehen, also ein Geradenbüschel.
Projektive Räume höherer Dimensionen lassen sich analog konstruieren.
[Bearbeiten] Literatur
- Albrecht Beutelspacher, Ute Rosenbaum: Projektive Geometrie. 2. Auflage. Vieweg, Wiesbaden 2004, ISBN 3-528-17241-X
- Derrick Norman Lehmer: An Elementary Course in Synthetic Projective Geometry. Gutenberg eText