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Vossische Zeitung

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Titelseite vom 22. März 1848
Titelseite vom 22. März 1848
Titelseite vom 2. August 1914
Titelseite vom 2. August 1914
Titelseite vom 1. August 1932
Titelseite vom 1. August 1932

Die Vossische Zeitung war eine überregional angesehene Berliner Zeitung, deren Erscheinen 1934 eingestellt wurde. Sie vertrat die Positionen des liberalen Bürgertums. In der Berliner Presselandschaft nahm sie eine historisch begründete Sonderrolle ein: sie war – über ihre direkten Vorgänger – die älteste Zeitung der Stadt.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Anfänge des Zeitungswesens in Berlin

Als sich im 16. Jahrhundert regelmäßige Postverbindungen entwickelt hatten, wurden schriftliche oder mündliche Nachrichten aus entfernten Orten durch berittene Postboten übermittelt, sie trafen zunächst bei den Postmeistern ein; in Cölln bei Berlin war das der kurfürstlich-brandenburgische Post- und Botenmeister Christoff Frischmann. Er sammelte die bei ihm einlaufenden Neuigkeiten und gab sie in handschriftlichen Kopien von Fall zu Fall weiter – an den kurfürstlichen Hof, an interessierte Gelehrte und wohlhabende Bürger. Schließlich wurde die Nachrichtenbeschaffung systematisiert, Frischmann erhielt den Auftrag, im ganzen „Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation“ Kontakte zu pflegen und an allen wichtigen Orten Nachrichten zu sammeln. Seine ersten gedruckten Zeitungen kamen im Jahre 1617 heraus, das älteste erhaltene Exemplar trägt die Nummer 36 und liefert Nachrichten aus dem Zeitraum vom 16. August bis zum 5. September. Die Zeitungen erschienen in einem nicht immer regelmäßigen Wochenrhythmus, hatten jeweils acht Seiten im Format Kleinoktav (ein Buchformat, 18,5 cm hoch) und wurde nach der Lektüre meist an den nächsten Leser weitergegeben.

Christoff Frischmann und sein Bruder Veit nannten ihre Zeitungsausgaben zunächst „Avisen“, danach „Berliner Botenmeister Zeitung“. Die Exemplare von 1618 enthielten schon regelmäßig Korrespondenzen aus Amsterdam, Den Haag, Köln, Rom, Venedig, Prag und Wien. Häufig griffen Zensoren in die Berichterstattung ein, insbesondere wegen der pro-evangelischen Haltung während des Dreißigjährigen Krieges - der katholisch-kaiserliche Hof zu Wien veranlasste den brandenburgischen Kurfürsten, dagegen vorzugehen. Zeitweilig konnte das Blatt daher nicht erscheinen. Von der ständigen Sorge um die Existenz seiner Zeitung zermürbt, überließ Veit Frischmann die Konzession 1655 seinem Drucker Christoph Runge, der dem Blatt 1658 einen neuen Titel gab: “Berliner einkommende Ordinar- und Postzeitungen“. 1704 erwarb der Buchdrucker Johann Lorentz die Zeitung von Runges Witwe, sein Privileg wurde von König Friedrich I. umgehend bestätigt. Lorentz nannte die nach wie vor einzige Zeitung Berlins nun „Berlinische Ordinaire Zeitung“.

[Bearbeiten] Umstrittenes Monopol

Die komfortable Monopolstellung war wenig später bedroht. Der Ende 1704 aus Süddeutschland zugezogene Buchdrucker Johann Michael Rüdiger erhielt vom König die Genehmigung, ein „Wöchendliches Diarium“ herauszugeben. Lorentz erhob Einspruch und gewann den Rechtsstreit nach zwei Jahren – die neue Konzession wurde zurückgezogen. Nach 1713 veränderte sich die Lage abermals. Friedrich Wilhelm I. (der Soldatenkönig) hatte seine Regierungszeit begonnen, hergebrachte Privilegien wurden überprüft und Lorentz nur noch mit einer eingeschränkten, jederzeit widerrufbaren Genehmigung ausgestattet. Nun unternahm der Sohn des alten Konkurrenten, Johann Andreas Rüdiger, einen neuen Versuch. In einem Brief an den königlichen Hof wies er darauf hin, dass der Buchdrucker Lorentz sein Privileg „lange Jahre bisher umsonst genossen“ habe; durch erhebliche Geld- und Sachleistungen konnte er den König veranlassen, Lorentz´ Zeitungs-Konzession mit Wirkung vom 25. Februar 1721 zu annullieren und ihm selbst zu übertragen. Rüdiger gab die Zeitung, jetzt als „Berlinische Privilegirte Zeitung“, ohne Unterbrechung und ohne wesentliche Änderungen heraus, sodass für die Leser die Kontinuität gewahrt blieb.

Die verschiedenen Änderungen der Besitzverhältnisse haben zu Unklarheiten hinsichtlich des „Geburtsdatums“ der Vossischen Zeitung geführt. Manche Quellen nennen das Jahr 1721. Das Blatt selbst feierte sein 200-jähriges Jubiläum im Jahre 1904 und nannte das entsprechende Gründungsdatum zuletzt auch auf seiner Titelseite. Beide Anfangsdaten beziehen sich auf die Herausgeber-Familie Rüdiger. Meist wird der Altersangabe aber das (fast) ununterbrochene Bestehen der Zeitung seit 1617 zugrunde gelegt, als Christoff Frischmann sie erstmals herausgab.

Kronprinz Friedrich, der spätere König Friedrich II. (Friedrich der Große) empfand die Zeitung als langweilig. Weil sein Vater, König Friedrich Wilhelm I. verfügt hatte, dass keinerlei Meinungsäußerungen, schon gar keine kritischen gedruckt werden durften, enthielt das Blatt nur belanglose Meldungen, vorwiegend von Festen bei Hofe, von Empfängen, Kriminalfällen und Hinrichtungen. Auch gab keine Konkurrenz dazu Anlass, die journalistische Qualität zu verbessern. Schon am zweiten Tag nach seiner Thronbesteigung 1740 beauftragte Friedrich II. seinen Buchhändler Ambrosius Haude, in Berlin zwei neue Zeitungen herauszugeben, eine in deutscher, die zweite - die sich nur ein Jahr lang hielt - in französischer Sprache. So erschienen im Juni 1740 die „Berlinischen Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen“, die spätere Spenersche Zeitung. Während der Regierungszeit Friedrichs II. wurden dann, in den Jahren 1750 und 1783, noch zwei weitere Zeitungen zugelassen.

Zur Frage der Pressezensur hatte der König schon früh die Meinung geäußert, dass die „Gazetten, wenn sie interessant seyn sollen, nicht geniret werden müsten“. 1742 erfolgte die Aufhebung der Zensur. Die wurde zwar schon während der ersten Schlesischen Kriege wieder praktiziert und 1749 auch formal wieder eingeführt, allerdings mit dem königlichen Auftrag, die Eingriffe in die Pressefreiheit so gering zu halten, wie es unter Kriegsbedingungen möglich erschien. Die Berliner Blätter erfreuten sich zu dieser Zeit größerer Freiräume als die Zeitungen anderer deutschen Länder und konnten das Gedankengut der Aufklärung, dem sich auch Friedrich II. verpflichtet fühlte, nahezu ungehindert verbreiten.

[Bearbeiten] Von Voss bis Ullstein

Pamphlet gegen die Vossische Zeitung, 1848
Pamphlet gegen die Vossische Zeitung, 1848

Nachdem Johann Andreas Rüdiger 1751 ohne männlichen Erben gestorben war, übernahm sein Schwiegersohn, der Buchhändler Christian Friedrich Voss die Zeitung. Sie wurde jetzt dreimal wöchentlich herausgegeben, hatte jeweils vier Seiten, wurde in 150-200 Exemplaren gedruckt und nur in Buchhandlungen verkauft. Sehr bald hieß das Blatt bei den Berlinern nur noch „die Vossische“, im Volksmund auch die „Tante Voss“. Ihr wirklicher Titel war seit 1785 „Königlich Privilegirte Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen“, 1806 kam der Kopfvermerk „Im Verlage Vossischer Erben“ hinzu. Dies bezog sich ursprünglich auf Voss´ Tochter, die mit einem Bruder des Dichters Gotthold Ephraim Lessing verheiratet war. Sie hatte die Zeitung nach längerem Rechtsstreit 1801 übernommen und so in den Besitz der Familie Lessing gebracht, die das Unternehmen fortführte.

Um 1800 erschien die Zeitung mit 16 Seiten, seit 1802 mit einem Wirtschafts- und Anzeigenteil, der sehr positiv aufgenommen wurde – sie war also umfangreicher und vielseitiger geworden, blieb aber wegen der nun wieder strengen Zensur, die keine Kritik an den Grundsätzen von Religion, Staat und öffentlicher Ordnung erlaubte, journalistisch recht oberflächlich. Während der Napoleonischen Kriege flüchteten die Herausgeber der Zeitung - ebenso wie König Friedrich Wilhelm III. - nach Breslau in Schlesien. Dort erschien das Blatt vorübergehend als "Schlesische privilegirte Zeitung". Zwischen 1824 und 1875 - längst wieder in Berlin - wurde sie täglich herausgebracht, danach zweimal am Tag.

Das Blatt vertrat die Interessen des liberalen Bürgertums. Es setzte sich seit 1843 für die Abschaffung der Pressezensur ein und stand zur Zeit der bürgerlichen Revolution eindeutig auf Seiten der freiheitlichen Kräfte. An der Beerdigung der „Märzgefallenen“, der 183 zivilen Opfer vom 18. März 1848 in Berlin, nahm die gesamte Redaktion teil. Im Verlauf der konservativen Gegenrevolution allerdings, nachdem im November 1848 demokratische Zeitungen verboten und Druckereien geschlossen worden waren, relativierte die Vossische Zeitung ihre progressive Haltung und musste sich dafür auch Kritik und Spott gefallen lassen.

Noch um die Jahrhundertmitte war die Zeitung Markt- und Meinungsführerin in Berlin, verlor aber in den nächsten Jahrzehnten diese Position. Häufige Differenzen zwischen den Anteilseignern blockierten die technische und journalistische Entwicklung. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts behauptete die „Vossische“ zwar eine solide Stellung am Berliner Zeitungsmarkt, erreichte aber bei weitem nicht die Auflagen der neuen Massenblätter aus den Verlagshäusern Ullstein, Scherl und Mosse.

Die Besitzverhältnisse waren komplizierter geworden, die Firmenanteile gehörten nun verschiedenen Angehörigen der Familien Lessing und Müller und wurden später teilweise von den Zeitungsunternehmern Rudolf Mosse bzw. August Huck übernommen. Am 2. August 1914 kaufte der Ullstein-Verlag die gesamte Zeitung auf. Schon 1910 hatte man das Blatt in „Vossische Zeitung“ umbenannt, der bisherige Haupttitel blieb nur noch als Unterzeile erhalten. Nach dem Ende der Monarchie in Deutschland war der Hinweis auf das königliche Privileg gegenstandslos geworden, 1918 fiel er weg – die letzte der zahlreichen Titeländerungen. Die Blätter des Ullstein-Verlages sprachen sich jetzt für die Republik aus, in einem Leitartikel der Vossischen Zeitung wurde die schnelle Einberufung einer repräsentativen Nationalversammlung gefordert.

[Bearbeiten] Erzwungenes Ende

Am 31. März 1934 stellte der Ullstein-Verlag das Erscheinen der Zeitung ein. Sieben Tage zuvor hatte der Verlag in einer kurzen Notiz auf der Titelseite – „An die Leser der Vossischen Zeitung“ – erklärt: „Die Aufgabe eines Blattes vom Stil der Vossischen Zeitung ist nach unserer Ansicht beendet. So haben wir denn aus freien Stücken den schmerzlichen, aber folgerichtigen Entschluß gefasst, die Vossische Zeitung aufzugeben und sie nach dem Ende des Monats nicht mehr erscheinen zu lassen“. Diese zurückhaltende Formulierung lässt die Dramatik der damaligen Situation nicht erkennen. Tatsächlich hatten die Zensurbehörden des nationalsozialistischen Regimes die Arbeit der Zeitung schon seit längerem erheblich beeinträchtigt, zahlreiche missliebige Journalisten, unter ihnen viele Juden, waren aus ihren Stellungen vertrieben worden. Wenige Wochen später musste der Ullstein-Verlag, einschließlich der damals noch erscheinenden Zeitungen, verkauft werden.

[Bearbeiten] Hervorragende Mitarbeiter

Bedeutende Persönlichkeiten hatten als Autoren für die Vossische Zeitung gearbeitet. Von 1751 bis 1755 war Gotthold Ephraim Lessing als Rezensent tätig, Christian Friedrich Voss hatte ihm die Redaktion des „Gelehrten Artikels“ übertragen, zudem gab Lessing 1751 für ein Dreivierteljahr die Monatsbeilage „Neuestes aus dem Reiche des Witzes“ heraus. Der Schriftsteller und Romancier Willibald Alexis war vorübergehend Mitarbeiter des Blattes und unterstützte es im Vorfeld der bürgerlichen Revolution von 1848 in seinem Kampf für die Pressefreiheit. Zwischen 1870 und 1890 schrieb Theodor Fontane Theaterkritiken über die Aufführungen des Berliner Schauspielhauses für die „Vossische“, sein zeitweiliger Kollege und späterer Nachfolger war der Schriftsteller Paul Schlenther. In den 1920er Jahren leitete Richard Lewinsohn – unter dem Pseudonym Morus auch Mitarbeiter der „Weltbühne“ - die Wirtschaftsredaktion, Monty (Montague) Jacobs wurde bekannt als Feuilletonist und Theaterkritiker. Im Frühjahr 1924 ging Kurt Tucholsky als Korrespondent der Vossischen Zeitung und der „Weltbühne“ nach Paris. Paul Schlesinger schrieb unter dem Kürzel Sling zwischen 1921 und 1928 seine beispielhaften Gerichtsreportagen und begründete damit ein neues journalistisches Genre.

[Bearbeiten] Literatur

  • Klaus Bender: Die Vossische Zeitung, in: Fischer, H.-D. (Hg.): Deutsche Zeitungen des 17. bis 20. Jahrhunderts, Verlag Dokumentation, Pullach 1972, S. 25-40, ISBN 3-7940-3602-6
  • Peter de Mendelssohn: Zeitungsstadt Berlin, Berlin, überarbeitete und erweiterte Auflage 1982 ISBN 3-550-07496-4

[Bearbeiten] Weblinks

siehe auch: Zeitung, Pressegeschichte, Zeitungsmuseum, Zeitungsantiquariat

Andere Sprachen
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