Billigkeitserlass
aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Der Billigkeitserlass ist eine Ausprägung des Prinzips der Billigkeit im Steuerrecht. Es handelt sich um einen Steuererlass, bei dem die Finanzbehörden nach § 227 AO auf die Durchsetzung einer festgesetzten Steuerschuld verzichten können und zusätzlich die Steuern erlassen dürfen, wenn deren Einziehung unbillig wäre. Dadurch entstand auch im Steuerrecht eine ausufernde Kasuistik zu dem Begriff der Unbilligkeit. Der Versuch einer subsumierbaren Definition was "unbillig" ist nicht zuletzt deswegen bisher noch nicht gelungen (siehe Topischer Begriff). Vom Grundsatz her besteht aber Einigkeit darüber, dass die Billigkeit dem Ziel verpflichtet sein muss, eine die Grundprinzipien der Steuergerechtigkeit missachtende Behandlung des Einzelfalles abzuwehren. Bei der Entscheidung, ob die sich im Einzelfall bei strikter Anwendung der abstrakten Regelung eines Gesetzes ergebende Rechtsfolge Bestand haben soll, obwohl sie als unangemessen empfunden wird, muss eine Abwägung stattfinden. Es ist eine Gesamtbetrachtung aller für das Ergebnis im konkreten Fall maßgeblichen steuergesetzlichen Vorschriften, der allgemeinen Rechtsgrundsätze sowie der einschlägigen verfassungsrechtlichen Wertungen vorzunehmen. Bei der konkreten Prüfung ob eine Steuerschuld aus Billigkeitsgründen erlassen werden soll wird zwischen sachlichen und persönlichen Billigkeitsgründen unterschieden.
[Bearbeiten] Sachliche Unbilligkeit
Eine sachliche Unbilligkeit liegt vor, wenn im konkreten Fall das Ergebnis der nach den klassischen und anerkannten Auslegungsmethoden vorgenommenen Auslegung des Gesetzes in einem offenbaren Wertungswiderspruch zu dem in der gesamten Steuerrechtsordnung zum Ausdruck gekommenen Wertentscheidung steht. D. h. mit anderen Worten, dass die Besteuerung nach dem Gesetz zu einem vom Gesetzgeber offensichtlich so nicht gewollten Ergebnis führt. Die ins Auge gefasste Billigkeitsmaßnahme sollte im Idealfall zielgenau das Ergebnis treffen, welches der Gesetzgeber, hätte er die zu entscheidende Frage gesetzlich geregelt, angeordnet hätte. Ist anzunehmen, dass der Gesetzgeber eine den Bürger belastende Regelung auch für den konkreten Einzelfall hat zur Anwendung kommen lassen wollen, so geht es nicht an, diese Entscheidung unter dem Blickwinkel von nach Ansicht des Rechtsanwenders übergeordneten Wertentscheidungen im Wege einer Billigkeitsmaßnahme abzuändern (Beispiel: Keine Billigkeitsmaßnahme, wenn die Rechtsbehelfsfrist des § 355 AO versäumt wurde und kein Wiedereinsetzungsgrund i.S.d. § 110 AO gegeben ist).
[Bearbeiten] Persönliche Unbilligkeit
Die persönliche Unbilligkeit ist dadurch gekennzeichnet, dass einem Steuerpflichtigen aufgrund seiner geminderten finanziellen Leistungsfähigkeit die volle steuerliche Belastung nicht (mehr) zugemutet werden kann. Hierbei kommt es auf die Erlassbedürftigkeit und auf die Erlasswürdigkeit für die Regelung eines vollständigen oder teilweisen Verzichts auf eine Einziehung der Steuerforderung an. Erlassbedürftigkeit ist zu bejahen, wenn durch die Steuer die wirtschaftliche Existenz, d.h. der notwendige Lebensunterhalt gefährdet wird, nicht zu erwarten ist, dass sich diese Situation etwa infolge eines Vermögenszuwachses in absehbarer Zeit auch ohne eine Billigkeitsmaßnahme ändert und eine evtl. Billigkeitsmaßnahme dem Steuerpflichtigen selbst wirtschaftlich zugute kommt, und nicht nur Dritten, z.B. anderen Gläubigern. Die Frage der Erlasswürdigkeit wird aus einer Gesamtschau der Situation und des Verhaltens des Steuerpflichtigen vor und nach Entstehung der Steuerschuld heraus beantwortet. Sie ist zu bejahen, wenn sich daraus die Wertung ableiten lässt, dass der Steuerpflichtige die Bedürftigkeit nicht selbst schuldhaft herbeigeführt und nicht grob gegen die Interessen der Allgemeinheit verstoßen hat. Eine schematische Sicht ist dabei unangebracht. Verzichtet die Finanzbehörde beim Billigkeitserlass nach § 227 AO auf die Durchsetzung eines durch Verwaltungsakt festgesetzten Steueranspruchs, so kann sie auch von vornherein davon Abstand nehmen, die Steuer in der gesetzlichen Höhe festzusetzen, indem sie gem. §163 AO eine abweichende Steuerfestsetzung vornimmt. Im rechtstechnischen Verhältnis zu dem Steuerbescheid handelt es sich bei der Entscheidung über eine abweichende Steuerfestsetzung um einen selbstständigen Verwaltungsakt. Mit § 163 und § 227 AO hält die Abgabenordnung die strikte Trennung zwischen der Steuerfestsetzung und der Steuererhebung auch bei den Regeln zur Korrektur der steuerlichen Belastung aus Billigkeitsgründen durch. Die Voraussetzungen beider Normen sind deckungsgleich. Betrifft der Anwendungsbereich des § 163 AO in der Praxis auch in erster Linie den sachlichen Aspekt der Unbilligkeit, so ist dennoch nicht ausgeschlossen, bereits in diesem Verfahrensabschnitt den Gesichtspunkt der persönlichen Unbilligkeit heranzuziehen.
Neben den oben aufgeführten Erlassgründen gibt es in einigen Einzelsteuergesetzen spezielle Billigkeitsnormen, z.B. § 34c Abs. 5 EStG, §§ 32f. GrStG. Soweit ihr Regelungsbereich greift, gehen diese Vorschriften nach der Regel lex specialis derogat legi generali den §§ 163, 227 AO vor.
![]() |
Bitte beachten Sie den Hinweis zu Rechtsthemen! |