Gleichnis
aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Ein Gleichnis ist eine bildhafte rhetorische Figur zur Veranschaulichung eines Sachverhalts mittels eines Vergleichs.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Literaturwissenschaftliche Gattung
Gleichnisse sind meist kürzere Texte, die mit didaktischem Anspruch einen komplexen oft theoretischen Sachverhalt in Form einer bildhaften und konkreten Darstellung abbilden. Man unterscheidet zwei Textebenen: die Ebene des Gesagten und die Ebene des Gemeinten. Diese beziehen sich aufeinander und berühren sich schließlich im Vergleichsmoment. Im Gegensatz zur Parabel (Sprache) muss im Gleichnis, das einen expliziten Vergleich darstellt („so wie“), die Sachebene nicht durch die Leserin, den Leser erschlossen werden, sie wird direkt im Text parallel zur Bildebene genannt.
Beispiele dafür sind die homerischen Gleichnisse und die Gleichnisse in der Bibel, von denen sich viele im Neuen Testament finden. Literaturwissenschaftlich gesehen handelt es sich jedoch oft um Parabeln, wie etwa beim „Gleichnis vom Verlorenen Sohn“ (siehe nächster Abschnitt).
Lessing unterscheidet Sachteil und Bildteil: Ein Sachverhalt, eine Abstraktion, ein Gedanke (=Sachteil) werde umgesetzt in einen anderen Lebensbereich, in ein konkretes Bild (=Bildteil); diese Umsetzung könne dabei mit oder ohne selbständige Handlung, mit oder ohne Deutung im Gleichnis erfolgen; der Zweck sei die Enthüllung, um das Verstehen zu fördern. Herder setzt dem entgegen, dass das Gleichnis mehr der Verhüllung einer Lehre als zu deren Enthüllung diene: "Parabel ist eine Gleichnisrede, eine Erzählung aus dem gemeinen Leben, mehr zur Einkleidung und Verhüllung einer Lehre als zu ihrer Enthüllung" (Über Bild, Dichtung und Fabel, S.43). Herders Auffassung trifft auf viele Gleichnisse im Neuen Testament zu, denn Jesus will nichts direkt preisgeben, sondern die Zuhörer sollen nachdenken und selbst die Wahrheit entdecken.
Oft wird der Unterschied zwischen Gleichnis und Parabel betont: das Gleichnis sei kurz, ohne selbständige Handlung, mit Deutung; die Parabel sei lang, mit selbständiger Handlung, ohne Deutung. Diese Unterscheidung lässt sich nicht konsequent durchführen und sollte aufgegeben werden, da die Übergänge fließend sind und in der Literatur der Begriff Gleichnis oft synonym für Parabel, Abbild, Bild, Beispielerzählung und sogar für Fabel und Metapher benutzt wird.
[Bearbeiten] Biblisches Gleichnis
In der historisch-kritischen Bibelexegese der letzten Jahrzehnten wurde der Gleichnisbegriff weiter differenziert und untergliedert. Die Theologen unterscheiden meist zwischen Gleichnis im eigentlichen Sinne, Parabel und Allegorie. Der Unterschied zwischen Gleichnis/Parabel und Allegorie ist am deutlichsten. Parabel wie Gleichnis haben nämlich nur einen Vergleichspunkt, das heißt, ein zentrales Bild, dem eine bestimmte Bedeutung entspricht. Bei einer Allegorie korreliert hingegen jedes einzelne Element derselben mit einem bestimmten Bedeutungsgehalt.
Das Gleichnis im eigentlichen Sinn und die Parabel unterscheiden sich nur durch Nuancen bei der Thematik. So stellt ein Gleichnis im eigentlichen Sinn eine Szene des alltäglichen Lebens dar, quasi ein ausgestalteter Vergleich. Eine Parabel hingegen beginnt mit einer scheinbar alltäglichen Szene, die aber dann durch eine überraschende Wendung zum Nachdenken anregen sollte.
[Bearbeiten] Siehe auch
- Höhlengleichnis
- Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg
- Gleichnis von den klugen und törichten Jungfrauen
- Guter Hirte
- Blinde Mann (Lukas 16-23)
[Bearbeiten] Literatur
- Joachim Jeremias: Die Gleichnisse Jesu. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 11. Aufl. 1998 ISBN 3-525-53514-7 (klassisch; Erstauflage Zürich 1947)
- Craig L. Blomberg: Die Gleichnisse Jesu, TGV, 1998, ISBN 3-417-29428-2
- Kurt Erlemann: Gleichnisauslegung. Ein Lehr- und Arbeitsbuch. UTB 2093. Francke, Tübingen/Basel 1999 ISBN 3-8252-2093-1
- Wolfgang Harnisch: Die Gleichniserzählungen Jesu. Eine hermeneutische Einführung. UTB 1343. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 4., grundlegend rev. Aufl. 2001 ISBN 3-8252-1343-9
- Luise Schottroff, Die Gleichnisse Jesu, Gütersloh 2005.
- Peter Müller, Die Gleichnisse Jesu: Ein Studien- und Arbeitsbuch für den Unterricht, Stuttgart 2002.
- Adolf Jülicher, Die Gleichnisreden Jesu. 2 Bände, 2. Auflage Tübingen 1910.
- Dan O. Via, Die Gleichnisse Jesu. Ihre literarische und existentiale Dimension, München 1970.
- Hans Weder, Die Gleichnisse Jesu als Metaphern. Traditions- und redaktionsgeschichtliche Analysen und Interpretationen, Göttingen 4. Auflage 1990.
- C. Kähler, Jesu Gleichnisse als Poesie und Therapie. Versuch eines integrativen Zugangs zum kommunikativen Aspekt von Gleichnissen Jesu, Tübingen 1995.
- Ulrich Mell (Hg.), Die Gleichnisreden Jesu 1899-1999. Beiträge zum Dialog mit Adolf Jülicher, Berlin/ New York 1999.