Wikipedia:Humorarchiv/Nüngverdrizler
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"nüngverdrizler" (immer klein geschrieben, unbestimmtes Geschlecht): ein wortspielerisches, oft scherzhaftes Kurzgedicht aus vier Zeilen der Länge neun, vier, drei und zwei Silben. Ähnlich dem japanischen Haiku, dem angelsächsischen Limerick oder dem Elfchen kommt es auch beim nüngverdrizler darauf an, in einem eng vorgegebenen Rahmen eine Geschichte zu erzählen. Charakteristisch für nüngverdrizler ist außerdem die wortspielerische Komponente, da dasselbe Reimwort zweimal verwendet wird, aber nicht mit identischem Sinn.
Folgende Regeln kennzeichnen ein nüngverdrizler-Gedicht:
1. das Gedicht beginnt und endet unbetont in Zeile eins sowie in Zeile zwei bis vier, der Versfuß ist ein Jambus;
2. das Reimwort der ersten Zeile kehrt in Zeile drei und vier wieder, und zwar so zerlegt, dass sich eine möglichst überraschende Sinnveränderung ergibt, z.B.: "unterjochen - unter Jochen";
3. jede Zeile soll etwas Wesentliches hinzufügen;
4. je mehrdeutiger und überraschender, umso besser;
5. die Überschrift sollte dem Gedicht ebenfalls etwas Neues, Überraschendes oder Sinnveränderndes hinzufügen;
6. es gibt im nüngverdrizler nur Kleinschreibung und keine Satzzeichen;
7. außer von der Vierzeiligkeit darf von jeder dieser Regeln eine Ausnahme gemacht werden, wenn das Gedicht dadurch gewinnt.
nüngverdrizler sind in dieser Form eine neue, noch weitgehend unbekannte Gedichtart. Es gibt zahlreiche ähnliche Ansätze sowohl in der Volksdichtung (z.B. "Eifersucht ist eine Leidenschaft, die mit Eifer sucht, was Leiden schafft") als auch bei namhaften Dichtern. Für nüngverdrizler charakteristisch ist aber deren formale Strenge durch die Festlegung auf Silben- und Zeilenzahl sowie ein einheitliches Versmaß.
Die Tätigkeit des nüngverdrizler-Schreibens wird "nüngverdrizeln" genannt. Sie ist vergleichsweise leicht zu erlernen und fördert einen spielerisch offenen Umgang mit Sprache. So kann sie gleichermaßen als Unterrichtseinheit für den Deutschunterricht, als kreativer Zeitvertreib oder als ernsthafte Dichtung begriffen und betrieben werden.
Andere Formen des Wortspiels/ wortspielerischer Dichtung: Anagramm, Figurengedicht, Palindrom, Schüttelreim.
Beispiele:
liebkosten
so manchen kommt ein abenteuer
wenn es ihm kommt
am abend
teuer
trill
seit marvin hansi will versorgen
macht mami der
kadaver
sorgen
fall für sich
ein depp fand stehend nie gefallen
er ging als held
im kriege
fallen
beerbigung
die zukunft wär mir wohlgestalter
wenn du schon mal
da lägest
alter
(Gedichte entnommen aus Egerbufl, Saladin: Verschwitzte Gesichte. Siehe Literaturangaben)
Literatur:
Grebe, Ulf: Verschmutzte Geduchte. nüngverdrizler oder die kunst entsprechend zu gleisen ohnehin zu fallen. Unveröffentlichtes Manuskript, Köln, 2005.
Egerbufl, Saladin: Verschwitzte Gesichte. nüngverdrizler oder andere kleine sauereien. Unveröffentlichtes Manuskript, Köln, 2005.
Dencker, Klaus. P.: Poetische Sprachspiele. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Reclam Verlag 2002
Dencker, Klaus. P.: Deutsche Unsinnspoesie, Reclam Verlag