Jüdisches Leben in Europa
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Das Jüdische Leben in Europa ist ein wesentlicher Teil der Geschichte Europas in Vergangenheit und Gegenwart. Denn das Judentum gehört neben dem Christentum und dem Erbe Griechenlands und Roms zu den Fundamenten europäischer Kultur.
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[Bearbeiten] Überblick
Die Jüdische Geschichte hat seit dem Ende der Eigenstaatlichkeit des antiken Israel ihren Schwerpunkt in die sogenannte Diaspora verlagert. Seit 135 n. Chr. bildeten sich jüdische Gemeinden in fast allen Ländern Europas. Über viele Jahrhunderte haben Menschen christlichen und jüdischen Glaubens in den Städten und auf dem Land neben- und miteinander gelebt. Juden haben einerseits eine ganz eigenständige Kultur ausgeprägt, waren andererseits aber mit ihrer sozialen und kulturellen Umwelt auf vielfältige Weise verwoben. Seit der Aufklärung haben sie die Entstehung der modernen europäischen Kultur wesentlich mit gestaltet und geprägt. Jüdische Geschichte ist transnational. Migration und Mobilität waren entscheidende Faktoren für die Rolle von Juden als Kulturvermittler in Europa.
Meist wird die Geschichte des europäischen Judentums nur vom vermeintlichen Ende her erinnert. Der reiche jüdische Anteil am kulturellen Erbe unseres Kontinents erfährt in dieser Sichtweise zumeist nur eine randständige Wahrnehmung. Jüdische Geschichte wird fokussiert auf Pogrome während der Kreuzzüge, der Pest oder verschiedener Aufstände. In dieser Perspektive erscheint jüdisches Leben reduziert auf eine Vorgeschichte des Holocaust. Auch in deutschen, polnischen und niederländischen Schulbüchern hat die Judenvernichtung bei der Behandlung des Themas Judentum eine erdrückende Dominanz.
[Bearbeiten] Jüdisches Leben in Deutschland
Jede Beschäftigung mit jüdischem Leben und jüdischer Geschichte steht in Deutschland nach 1945 unter diesem nicht wegzuleugnenden Zeichen: der versuchten Vernichtung des europäischen Judentums durch Nazideutschland, des Holokausts. Skandale, die Entdeckung neuer Themenaspekte, Vermeidungsversuche und die unterschiedlichsten medialen Annäherungsversuche begleiten über sechs Jahrzehnte hinweg den Versuch, aus der Shoah etwas zu "lernen".
[Bearbeiten] Jüdisches Leben in Österreich
Das jüdische Leben in Österreich konzentrierte sich von jeher auf die Bundeshauptstadt Wien. Diese Konzentration ist seit 1945 noch stärker, da nur noch wenige, kleine, jüdische Gemeinden außerhalb Wiens bestehen.
Siehe auch: Jüdisches Leben in Wien
[Bearbeiten] Jüdisches Leben in den Niederlanden
In den Niederlanden ist der Unterricht über das Judentum stark geprägt von der Bekanntheit von Anne Frank: Kinder lernen, dass Anne Frank jüdisch war und in einem Konzentrationslager gestorben ist. Sie ist häufig die erste, die jungen Menschen einfällt, wenn sie nach jüdischen Persönlichkeiten in der niederländischen Geschichte gefragt werden.
[Bearbeiten] Jüdisches Leben in Polen
In Polen kommt zu dem Umstand, dass die facettenreiche polnisch-jüdische Vergangenheit weitgehend auf die Erinnerung an den Holocaust reduziert wird, noch erschwerend hinzu, wie kompliziert eben diese Erinnerung hier ist: Polen erlitt relativ gesehen die größten Verluste unter den Kriegsteilnehmern des Zweiten Weltkriegs, die Nationalsozialisten ermordeten große Teile der nichtjüdischen polnischen Elite. Auschwitz wurde zum Symbol für polnisches Leid, es entstand gewissermaßen eine Konkurrenz der Opfer. In den letzten Jahren erinnert man auch in Polen zunehmend an den Holocaust, diskutiert werden auch polnische Beteiligungen an den Verbrechen. Doch eine darüber hinaus gehende Beschäftigung mit jüdischer Geschichte bleibt in Polen immer noch defizitär: Die wichtige Rolle von Juden in der multikulturellen und multiethnischen Vergangenheit Polens findet wenig Beachtung.
[Bearbeiten] Europäische Perspektive
Wenn es um Juden in Europa geht, ist die "Außenperspektive" der Mehrheitsgesellschaft auf eine vermeintlich homogene Judenheit vorherrschend – jüdische Blicke auf die Mehrheit, Selbstdefinitionen, Selbstverständnisse und innere Kontroversen werden kaum wahrgenommen. Um über die Geschichte des Zusammenlebens und der Interaktion stärker zu informieren, sollten die Leistungen von Juden für die Kultur, Wirtschaft, Wissenschaft in Europa unterstrichen werden. Eine wichtige Perspektiverweiterung stellt zudem der europäische Kontext der jüdischen Geschichte da. Dazu gehört die Information über jüdisches Leben in der Diaspora unter wechselnden Bedingungen, die besondere Mobilität von Juden in Europa, geschichtliche und aktuelle Wanderungsprozesse, Unterschiede jüdischer Kultur und Geschichte in den verschiedenen Regionen, die inneren Differenzierungen im Judentum sowie die vielfältigen Wege jüdischer Identitäten (religiöse Vielfalt, weltliche Selbstverständnisse, Zionismus….), soziale Differenzierungsprozesse und die Rolle von Bildung und Modernisierung für die jüdische Selbstbehauptung,die besondere Funktion der Juden für Aufklärung, Modernisierungs- und Demokratisierungsprozesse,die Unterschiede jüdischen Lebens in den Metropolen, auf dem Land und in Städten jenseits der Metropolen, die Rolle und Entwicklung jüdischer Gemeinden und die innere Pluralisierung von Juden in der europäischen Gegenwart.
Die schwierigste Frage bleibt offen: Was genau ist eigentlich Judentum? Wie sehen sich Juden selbst? Gibt es "die" Juden? Es gab vermutlich genau so viele deutsch-jüdische, polnisch-jüdische und niederländisch-jüdische Geschichten, wie es deutsch-jüdische, polnisch-jüdische und niederländisch-jüdische und eben europäische Identitäten gab.
[Bearbeiten] Siehe auch
- Jüdische Kulturtage im Rheinland (2002, 2007)