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Neurootologie

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Die Neurootologie ist das medizinische Spezialgebiet von der gesunden und der krankhaft gestörten Funktion der Kopfsinne, das im Jahr 1970 von Prof. Dr. Claus-Frenz Claussen an der Freien Universität Berlin begründet wurde.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Definition

Die moderne Neurootologie beinhaltet heute vier medizinische Teilgebiete:

  1. Gleichgewicht und Gleichgewichtsfunktionsprüfungen (Äquilibriometrie): Hierher gehören die Symptome Schwindel, Taumeligkeit, Altersschwindel, Fallneigung, Orientierungsstörungen, Bewegungskrankheit, einschl. Seekrankheit usw.
  2. Gehör und Gehörstörungen (Audiometrie): In dieses Gebiet fallen die folgenden Symptome: Taubheit, Hörverminderung, Lärmschaden, Ohrgeräusche (Tinnitus) usw.
  3. Geschmack und Geschmacksstörungen (Gustometrie): Die klinischen Störungen auf diesem Gebiet beinhalten Geschmacksblindheit, Geschmacksverzerrung, Geschmacksverwechslungen und Geschmacksillusionen usw.
  4. Geruch und Geruchsstörungen (Olfaktometrie): Hierzu zählen der blockierende Geruchsausfall durch Nasenverschwellung, die Sensorische Geruchsstörung, die Geruchsverwechslung und die Geruchhalluzination, z.B. bei Epilepsie.

[Bearbeiten] Aktuelle Situation

Die aktuelle Situation der Neurootologie zeichnet sich durch folgende Punkte aus:

  1. Weltweit erfolgt eine vermehrte Hinwendung der Neurootologie zu den während der vergangenen Jahre in ihrer Häufigkeit stark angestiegenen Kopfsinnesstörungen, welche die Lebensqualität und die Leistungsfähigkeit besonders bei Menschen ab der Lebensmitte stark beeinträchtigen - wie zum Beispiel Schwindel und Ohrgeräusche.
  2. Das Tempo der neuen diagnostischen Erkenntnisse und therapeutischen Innovationen sowie die dadurch bedingten notwendigen Investitionen zwingen zu einer verstärkten und erfolgreichen Verbindung der Neurootologie mit der Rehabilitationsmedizin.
  3. Bei Verkehrsunfallopfern entsteht posttraumatisch, vielfach schleichend das sogenannte cervico-encephale Syndrom mit einem schweren Abbau der Sinnesfunktionen unter Hirnleistungsfähigkeit zum Beispiel nach einem HWS-Schleudertrauma, bei dem die Neurootologie eine wichtige Klärung und Objektivierung der Beschwerden herbeiführen kann.

Ein großes Feld stellen in diesem Zusammenhang neuerdings auch die Sinnesstörungen im Alter dar, nämlich Presbyvertigo (Altersschwindel), Presbynausea (vegetative schwindelbegleitende Entgleisungen im Alter), Presbyataxie (Alterstaumeligkeit), Presbytinnitus (Altersohrgeräusche), Presbyakusis (Altersschwerhörigkeit), Presbyopie (Alterssehstörungen), Presbygeusie (Altersgeschmacksveränderungen) und Presbyosmie (Altersgeruchsveränderungen).

[Bearbeiten] Historische Entwicklung

Historisch hat sich die Neurootologie ausgehend von der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde an den Grenzen zwischen Ophthalmologie und Neurologie, sowie auch unter dem Einfluss der Inneren Medizin und der Orthopädie entwickelt.

Der Hals-Nasen-Ohrenarzt Róbert Bárány (1876-1936) erhielt 1914 für seine bahnbrechenden Untersuchungen zur Nystagmusanalyse und der vestibulären Gleichgewichtsfunktion den ersten Nobelpreis auf diesem Gebiet. Der Augenarzt Ohm erarbeitete am Ende des Ersten Weltkriegs die Grundlagen der Optokinetik, d.h. der durch die Augen ausgelösten Nystagmen. Die Wiener Neurologen Spiegel und Sommer gaben dem gesamten Gebiet an den Grenzen der oben genannten Fächer durch ihre richtungweisende Publikation „Ophthalmo- und Otoneurologie“ im Jahr 1931 den Namen, den dieses Gebiet heute weltweit trägt. In ihrem sehr umfangreichen, mehrbändigen „Handbuch der Neurologie des Ohres“ haben die Otologen G. Alexander und H. Brunner und der Neurologe O. Marburg zwischen 1924 und 1926 bereits in Wien im Vorwort folgendes ausgeführt:

„...hier hat das vorliegende Handbuch eine dringende Aufgabe zu erfüllen, deren geringster Teil darin besteht, daß der Arzt alles, was er früher mühevoll durch das Studium der otologischen, neurologischen und ophthalmologischen Literatur, ja aus den Publikationen der gesamten Sinnesphysiologie zusammensuchen mußte, nun von einem gemeinsamen Gesichtspunkte aus betrachtet, dargestellt findet. Für uns selbst bildeten die Fortschritte in der Labyrinthforschung das stärkste Motiv zur Herausgabe eines Handbuches der Neurologie des Ohres. Das für die Klinik Gesagte gilt schon längst für die anatomische und experimentelle Forschung auf unserem Gebiete. Es ist fast überflüssig, darauf zu verweisen, daß wissenschaftliche Untersuchungen auf dem Gebiete des Nervus octavus von jeher nur unter voller Berücksichtigung des neurologischen und des otologischen Standpunktes möglich gewesen sind. Jede pathologisch-anatomische Untersuchung des Gehörorganes ist unvollständig, wenn sie nicht die Gesamtheit des Organes vom peripheren Gehörorgan bis in das zentrale Kerngebiet des Nervus octavus umfaßt. Wir besitzen in Wien ein eigenes Institut für normale und pathologische Anatomie und Physiologie des Zentralnervensystems, und es wäre sehr zu begrüßen, wenn dieser Anstalt ein Institut für normale und pathologische Anatomie und Physiologie der Sinnesorgane an die Seite gestellt oder besser noch mit ihr verbunden wäre...“

Bei der Luftwaffe und der NASA in den USA erfuhr das Gebiet der „Neurootologie“ während und nach dem Zweiten Weltkrieg durch die bahnbrechenden Arbeiten von Ashton Graybiel, einem Internisten, einen starken luftfahrt- und weltraummedizinischen anwendungsbezogenen Aufschwung, der in viele andere theoretische und klinische Bereiche ausstrahlte.

Solche durch die Systematik besonderer Krankheiten gegebenen Entwicklungen an Fachgebietsgrenzflächen kennt die Berufs- und Weiterbildungsordnung für Ärzte in Deutschland auch für andere etablierte Fachgebiete, wie etwa die Innere Medizin.

In der neueren Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, die sich erst nach dem Ersten Weltkrieg durch die wissenschaftlichen Zusammenschlüsse der Otologen- (Ohrenärzte), Rhinologen- (Nasen-Gesichtsärzte) und Laryngologen- (Hals-Kehlkopfärzte) Verbände mit besonderer Betonung der invasiven Diagnose- und chirurgischen Therapieverfahren herausbildete, stellen die konservativen mehr neurophysiologisch und diagnostisch ausgerichteten Gebiete Sonderbereiche dar, die aber dennoch mit einem großen patientenbezogenen Aufgabengebiet verbunden sind. In der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde wurden zunächst fachlich weitgehend eigenständige Abteilungen für Stimmstörungen (Phoniatrie), Sprachstörungen (Logopädie) und kindliche Hörstörungen (Pädaudiologie) geschaffen. Diese sind wissenschaftlich durch spezielle Professuren, praktisch durch klinische Abteilungen und in der Weiterbildung für Ärzte durch eine Teilgebietsbezeichnung in der Weiterbildungsordnung gegliedert.

Danach folgten die ersten eigenständigen Habilitationen für Neurootologie an deutschen Universitäten ab 1970. Weltweit gibt es heute bereits erste Lehrstühle und spezielle Kliniken für das durch spezielle Krankheiten und deren systematische Erkennung und Behandlung definierte Gebiet Neurootologie in Europa, Amerika und Asien.

Das medizinische Spezialgebiet „Neurootologie“ wurde in Deutschland 1970 durch Prof. Dr. Claus-Frenz Claussen (* 1939) gegründet. Zwischen 1970 und 2004 hat er im Kopfklinikum der Universität Würzburg eine entsprechende Abteilung aufgebaut und drei Jahrzehnte geleitet. Nach seinem Eintritt in den Ruhestand im Jahr 2004 hat sein Schüler, der Privatdozent Dr. Schneider, die Leitung dieser Abteilung übernommen.

[Bearbeiten] Literatur

[Bearbeiten] Siehe auch

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