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Benutzer:Andreas Werle/Schulmedizin

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Titel: Schulmedizin, Alternativmedizin und Wissenschaft

Dieser Artikel beschreibt die Schulmedizin als ein kritisches und erfahrungsgeleitetes Handwerk. Dies wird verdeutlicht am Beispiel der gesellschaftlichen Bedingungen medizinscher Praxis und der Methoden der Medizin. Auf die problematischen Bereiche wie Kritikmangel, Reformstarre und fragwürdige Zielsetzungen wird eingegangen. Aufgrund systematischer Überlegungen wird der Wissenschaftscharakter der Schulmedizin teilweise infrage gestellt. Der systematische Charakter, der Alternativmedizinen eigen ist, wird als im Falle der Schulmedizin ungeeignet beschrieben. Die Fragwürdigkeit einer theoretischen Fundierung der Medizin wird am Beispiel der Eugenik dargestellt.


Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Der politische und gesellschaftliche Auftrag der Medizin

Medizinische Praxis entwickelt sich in einem politischen und gesellschaftlichen Rahmen. Der gesellschaftliche Bezug der modernen naturwissenschaftlich geleiteten westlichen Medizin (WNM) ist die Sorge um den Körper des Bürgers, Schülers, Arbeitnehmers und Soldaten in den westlichen Industrienationen seit etwa 200 Jahren. In den westlichen Industrienationen hat sich ein Konsens herausgebildet, das gesunde Menschen eine zentrale Vorraussetzung für das Funktionieren eines so komplexen Gebildes wie eines Nationalstaates sind. Aus diesem Grund sehen Verfassungen, Gesetze, Verträge und moralische Übereinkünfte in allen westlichen Staaten vor, das die Gesundheit seiner Bürger zu schützen und gegebenfalls wiederherzustellen ist. Die Funktion der Medizin in diesen Nationen ist es, dass Frauen Kinder gebären, Arbeitnehmer arbeiten, Schüler lernen und Soldaten kämpfen können und daran nicht durch Krankheit oder Tod gehindert werden. Wohlfahrt und Glück der einzelnen Individuen ist dabei ein wünschenswertes Begleitprodukt.

Aufgrund dieser Überzeugung investieren die westlichen Gesellschaften enorme Summen in die Gesundheit ihrer Bürger. Dabei geht man üblicherweise davon aus, das Medizin nicht teuer ist, auch wenn sie wie in Deutschland 100 Mrd Euro plus x pro Jahr kostet. Sie dient in erster Linie der Erhaltung und Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit der Individuen. Sofern eine medizinische Behandlung dies leistet und sofern Arbeitskraft gefragt ist, lohnt sich jede Art von Medizin, die dieses Ziel bewerkstelligt. Dabei sind die Methoden mit denen das erreicht wird, ob Schulmedizin oder Alternativmedizin zweitrangig. Die Krankenkassen bezahlen demzufolge auch jede wirksame Heilmethode. Es ist unmittelbar evident, dass die Lage der Medizin prekär wird, wenn Arbeit nicht mehr gefragt wird.

Zum gesellschaftlichen Bezug gehört auch die Bedingtheit des medizinischen Versorgungssystems durch systemfremde Elemente. Diese sind der Betriebscharakter der Krankenhäuser, das Entgeldsystem für Ärzte und Therapeuten, das vorwiegend naturwissenschaftliche Bezugssystem der Medizin und natürlich die fachfremde Aufgabenstellung selbst. Bei Fragen der dauerhaften Arbeitsunfähigkeit heißt dies zum Beispiel: Rehabilitation geht vor Rente. Hierzu zählt auch die Tatsache, das Pharmaindustrie und Geräteindustrie die Schulmedizin beeinflussen. Im Selbstverständnis der Ärzte soll dabei Korruption durch Kontrolle und Öffentlichkeit verhindert werden. Deshalb gibt es Neutralitätsklauseln in wissenschaftlichen Publikationen, Ausschreibungen bei der Beschaffung von Geräten, Budgetierung von niedergelassenen Ärzten, Weiterbildungsverpflichtungen für Ärzte usw.

[Bearbeiten] Empirische Studien

Die Schulmedizin mache die Richtigkeit ihrer Behandlungsmethoden von empirischen Studien abhängig und gewinnt ihre Erkenntnisse aus den individuellen Einzelfall nicht berücksichtigenden Statistiken. Dies ist eines der Hauptelemente der modernen westlichen Medizin. Nur durch eine sorgfältige statistische Aufarbeitung von Krankheitsverläufen ohne Behandlung (das ist die sogenannte Naturgeschichte einer Krankheit) und den Folgen von medizinischen Eingriffen jedweder Art glaubt man Fehler erkennen und das Beste für den Patienten in Erfahrung bringen zu können. Die Naturgeschichte einer Krankheit ist am Beispiel des Mammacarcinoms ganz gut untersucht.

Weil Ärzte aufgrund von Studien ein enormes Wissen über Krankheiten akkumuliert haben, besteht die Gefahr einer Überversorgung der Patienten mit schädlichen Folgen. Deshalb ist die wichtigste Einzelfall-Entscheidung bei der Behandlung von Patienten immer die folgende: Was tue ich nicht und wie vermeide ich Schaden. Hierzu gehört auch der Grundsatz des sparsamen Einsatzes der diagnostischen Mittel. Untersuchungen egal welcher Art sollen nur dann gemacht werden, wenn die Patienten auch mit einem aus dem Untersuchungsergebnis folgenden Behandlungsvorschlag einverstanden wären: keine Koloskopie, ohne die grundsätzliche Bereitschaft, sich an einem Dickdarm-Ca operieren zu lassen.

Es gibt allerdings auch eine Einzelfall-Medizin. Diese ist aber beschränkt auf seltene Krankheiten. Hier gilt ein weiteres wichtiges Prinzip der Medizin: selten ist selten. Es gibt davon nur ganz wenige Ausnahmen.

Eng mit dem Prinzip der empirischen Studien in der Medizin ist das Prinzip der Erkentnisgewinnung an Ersatzorganismen verbunden. Die Logik dabei ist die Annahme der Verallgemeinerung aus dem Vorsatz der Verwandtschaft: Hunde sind Säugetiere, ihr Körper sollte also ähnlich aufgebaut sein, wie der von Menschen. Die früheste Praxis dieser Form ist die Vivisektion. Historisch gesehen wurde zunächst die Leichenschau bei Tieren und sodann ab der Renaissance in Europa auch zunehmend bei Menschen durchgeführt.

Während doppelblinde, randomisierte und prospektive klinische Studien der Goldstandard in der Gewinnung sicherer Handlungsanweisungen in der Medizin darstellen, ist der Tierversuch das Paradebeispiel eines vorläufigen medizinschen Probehandelns. Allerdings sind die auf Tierversuchen beruhenden Ergebnisse nicht ohne weiteres auf den Menschen übertragbar. Deshalb werden in der Medizin Therapieversuche an Menschen gemacht. Dies sind die o.g. sogenannten klinischen Studien. Ihr Versuchscharakter ist an strenge Regeln (Ethikkommission) und an das informierte Einverständnis der Betroffenen geknüpft.

Zur Diskussion um den Charakter von empirischen Studien gehört auch die Erfahrung von Gewaltanwendung an Patienten (Zwangssterilisation und Euthanasie im Dritten Reich und nach 1945), Durchführung von medizinischen Maßnahmen ohne Einverständnis der Betroffenen (Forschung bei Alzheimerpatienten, Therapie bei Ungeborenen, Hirntodfeststellung) und Verbrechen an Patienten (Menschversuche während des Dritten Reiches). In diesen Fällen fehlen die moralische Legitimation und das Einverständnis der Betroffenen genauso wie die Sicherheit des Erkenntnisgewinns. Die Benutzung von Ergebnissen aus solchen Studien ist deshalb nicht nur moralisch sondern auch methodisch in Frage zu stellen. Als Beispiel dient etwa die Luft- und Raumfahrtmedizin und die Unterdruckversuche nationalsozialistischer Mediziner.

[Bearbeiten] Das physikalische Paradigma der modernen Medizin

Das physikalische Paradigma der modernen Medizin ist identisch mit dem der Biologie und läßt sich in wenigen Sätzen zusammen fassen: Die Lehre vom Bau und der Kooperation großer Moleküle mit ihrer Fähigkeit, Energie und Information zu speichern, zu transformieren und zwischen Kompartimenten zu verteilen, chemische Reaktionen zu katalysieren, Substrat und Produkt vieler solcher Reaktionen in ein konkurrentes und stabiles Gleichgewicht zu bringen und sich so reproduktiv zu verhalten, also ein komplexes, selbstreplikatives System zu bilden und dieses zu optimieren, diese Molekültheorie der Organismen ist das Zentralparadigma der modernen Biologie. Ihr Ziel ist die vollständige Reduktion aller organischer Prozesse auf die Regeln der physikalischen Chemie, ihr Mittel das Auffinden und Anwenden von physikalischen Messverfahren, mit deren Hilfe sich der Start- und Endzustand aller Teilvorgänge eines solchen Systems bestimmen lassen. Die Materie-, Energie- und Informationsbilanz eines Organismus über den gesamten Zeitraum seiner Existenz darf nicht verschieden von Null sein, damit die Hauptbedingung für eine mechanistische Interpretation von Organismen erfüllt werden kann: es muss in allen Teilen seiner Struktur und Funktion synthetisch zu erzeugen sein. Das ist der Sinn einer Maschinentheorie des Lebens.

Das LaMettrie entlehnte Diktum vom Menschen als Maschine ist die zentrale Vorraussetzung für eine reduktionistische Wissenschaft vom Leben und damit auch der modernen Medizin. Sie wird nicht ohne Grund gelegentlich eine ohne Menschlichkeit bezeichnet. Objektiv gehört dies aber zu den großen Entwicklungen einer Entzauberung der Welt in der Neuzeit. Die Medizin ist damit in Gesellschaft aller Theorien, die dem Menschen einen ekzeptionellen Platz im Universum verweigern: Quellenorientierte Geschichtswissenschaft, Religionskritik, Evolutionstheorie, Psychoanalyse, Marxismus, moderne Kosmologie usw. Die moderne Medizin ist in diesem Sinne ein Projekt der Aufklärung.

Das physikalische Paradigma ist ubiquitär. Schulmediziner suchen die Ursachen von Krankheiten überall dort, wo die Physik als Leitwissenschaft eine Ursache zuläßt. Dies ist gut zu veranschaulichen am Beispiel der Sucht. Schulmediziner sind der Meinung, das die Ursache der Substanzenabhängigkeit in der süchtig machenden Substanz liegt. Die Ursache des Alkoholismus ist also der Alkohol und nicht die Willenschwäche oder die Gene des Alkoholikers. Hier wird auch deutlich, das die moderne Medizin nicht unbedingt Organzentriert ist. Dies hat natürlich nichts damit zu tun, das der Alkohol ein potentes Nervengift ist und die Organperspektive bei der Sucht eine große Rolle spielt.

Das physikalische Ursachenprinzip ist in der Wissenschaft vom Menschen und das heißt eben in den meisten Fällen in der Medizin, allerdings auch umstritten. Hier wird in erster Linie an das Problem reduktionistischer Erklärungsversuche von Bewußtseinsprozessen erinnert.

Historisch interessant sollte die Frage nach der Physikalisierung des Lebens sein, also die Frage, wie sich das physikalische Paradigma in der Biologie historisch entwickelt hat. Die zentrale Frage dabei ist sicher die Entwicklung einer Molekültheorie von Organismen, (Max Delbrück, Erwin Schrödinger und Linus Pauling), die Anwendung thermodynamischer Modelle auf organische Systeme (Ludwig von Bertalanffy) und die Entwicklung der Kybernetik und Informationstheorie und ihre Anwendung auf biologische Prozesse (Norbert Wiener, Alan Turing, John von Neumann).


[Bearbeiten] Blinde Flecken in einer universalistischen Praxis

In der westlichen, naturwissenschaftlich orientierten Medizin (WNM) gibt es eine Explosion des Wissens. Das führt zwangsläufig zu einer starken Spezialisierung der Fachgebiete und der einzelnen in der Medizin tätigen Ärzte. In der Schulmedizin verliert man so leicht den Überblick über das Gesamte und Ganzheitliche. Dieser Prozess ist unvermeidlich, trifft aber auf andere Wissenschaften wie die Chemie genauso zu und findet sich auch in der Alltagspraxis: Steuerpolitik, Umweltveränderungen, Unternehmensführung und das Verhältnis der Staaten zueinander sind heute genaus sprichwörtlich unübersichtlich und erforden Spezialisierung und Kooperation. Ärzte sind hierin vorbildlich. Wir haben exzellente Lehrbücher, das Konsiliarprinzip und das was man Kollegialität nennt: es ist üblich, sich gegenseitig zu helfen. Allerdings finden sich hier auch die Ursachen für Fehler in der medizinischen Versorgung: dann, wenn Kommunikation, Informationsbeschaffung und Kollegialität nicht funktionieren, wird das Krankenhaus für einen Patienten zu einem potentiell gefährlichen Ort. Die Organisation medizinischen Wissens und die Kooperation bei medizinschen Behandlungen werden eines der großen Themen für die Zukunft der Medizin sein. Wie das Human Genom Projekt gezeigt hat, hilft ein explosionsartig zunehmendes Wissen gar nichts, wenn es nicht oder falsch angewendet wird. Ein interessantes Beispiel: 1983 wurde der Bruchpunkt der Chromosomentranslokation 9;22 (des Philadelphia-Chromosoms) bei der chronisch myeloischen Leukämie erstmals physikalisch kartiert. Die Analyse der beteiligten Gene (bcr und Abel-Gen) führten zu einem spezifischen Therapiekonzept (Tyrosinkonase-Inhibitor). Die Anwendung des so konstruierten Stoffes scheiterte in der klinischen Erprobung, sodass diese Abgebrochen werden musste. Ähliches könnte man für die somatische Gentherapie oder den Einsatz embryonaler Stammzellen bei der Parkinsonkrankheit feststellen.

Das Verhältnis von seelischen und organischen Prozessen ist ein in der Medizin viel diskutiertes Problem. Es gibt keine befriedigende Antwort auf die Frage, wie Bewußtseinsprozesse und Körper interagieren. Wieso kann ich meine Hand willentlich bewegen? Die physikalische Ursache dieses Prozesses ist unklar. Das ist irritierend. Ebenso ist der Einfluss von Stimmungen und Erfahrungen auf die Krankheitsbereitschaft von Individuen als Erfahrungstatsache unbestritten, wems schlecht geht, der kriegt eher eine Grippe. Eine vernünftige Erklräung für das Phänomen gibt es aber nicht. Versuche, die Interaktionen von Immunsystem und Nervensystem, strukturelle Ähnlichkeiten zwischen beiden Organen und gegenseitige Abhängigkeiten zu erforschen (Psychoimmunologie) bleiben im Spekulativen. Diese Tasache ist eine Herausforderung für die moderne Medizin.

Auf einer ganz anderen Ebene aber hat die Zusammenführung von Organmedizin und Seelenmedizin gute Fortschritte gemacht. Eine der wichtigsten Forderungen der Psychiatriereform in Deutschland war die Forderung der Gleichstellung von seelisch Kranken mit körperlich Kranken. Daraus resultierte die Forderung der Einrichtung von psychiatrischen Abteilungen an Allgemeinkrankenhäusern und die Schließung der Landeskrankenhäuser oder zumindest eine Bettenreduktion in diesen Großkliniken. Dieser Prozess befindet sich seit den Empfehlungen zur Psychiatrieenquete in einer permanenten Weiterentwicklung.


[Bearbeiten] Die Kritiker der Medizin

Das Verhältnis der Schulmedizin zu ihren Kritikern ist ein zwiespältiges. Häufig hört man, das die Schulmedizin die Wirksamkeit alternativer Behandlungsmethoden nicht anerkennt. Wenn sich Schulmedizinier kritisch bis demütigend gegenüber alternativen Heilverfahren äußern, dann ist das nicht nur eine Frage mangelnder Höflichkeit. Die Ablehnung solcher Verfahren hat viele Ursachen. Es geht dabei um die Sicherung von Marktanteilen, ideologische Grabenkämpfe und Besitzstandswahrung. Im Prinzip könnte man den Markt entscheiden lassen. Denn ein wichtiger Grundsatz der Medizin sagt: Wer heilt hat recht. Das Problem für die alternativen Verfahren dabei ist, das die westliche naturwissenschaftliche Medizin ziemlich effizient ist. Die Zunahme des Durchschnittsalters der Bevölkerung, die Abnahme der Säuglingssterblichkeit und die Zunahme von alterspezifischen Erkrankungen sprechen hier eine eindeutige Sprache. Eine krankheitsbezogene Diskussion könnte man im Falle der bakteriellen Meningitis führen (mit jedem wirksamen Antibiotikum veränderte sich das Erregerspektrum der Erkrankung) oder bezüglich des Verhältnisses von Hygiene und Seuchen: Trinkwasser und Cholera. Als Gegenbeispiel könnte man die Diabetesbehandlung anführen. Die Anzahl der Diabetiker hat mit der Einführung des Insulins ja zugenommen. Da läuft etwas para, wie die Krankenhausärzte sagen.

Auch das Argument, die Schulmedizin unterdrücke neue Erkenntnisse über wirksame alternative Behandlungsmethoden sticht nicht wirklich. Der Markt an alternativen Heilmethoden ist riesig. Kaum ein niedergelassener Arzt verzichtet auf einen Zweig aus diesem Busch. An jeder Ecke gibt es Feldenkrais, Akkupunktur, Homöopathie usw. Das Internet spuckt jede nur erdenkliche Methode, Adresse und Kontakte aus. Es ist also gar nicht schwierig an alternative Verfaheren heran zukommen. Mein Eindruck ist eher, das es heute schwierig ist in der Fülle der Angebote kompetente Schulmediziner und Psychologen zu finden.

Wenn man ernsthaft die Frage stellt, ob bestimmte Heilverfahren wie die Homöopathie naturwissenschaftlich begründbar sind, dann hilft manchmal ein Blick in die Geschichte der entsprechenden Disziplinen. Die Homöopathie ist ein gutes Beispiel. Hahnemann hat uns Ärzte gelehrt, das es eines der obersten Prinzipien der Medizin sein muß, den Patienten nicht zu schaden. Sein Einfluß auf die westliche Medizin ist daher kaum zu überschätzen. Das Simileprinzip hat auch einige Zeit in der Biologie einen gewissen Respekt genossen. Bekannte Physiker und Chemiker haben die Homöopathie verteidigt. Zum Beispiel haben Watson und Crick vor der Veröffentlichung des korrekten antiparallen Doppelstrangs der DNA im März 953 versuchsweise eine homöopathische Doppelhelix gebaut. Das ist aber ein besonderes Phänomen in der Medizin und Biologie und auch hier gilt der Grundsatz: Selten ist selten.

[Bearbeiten] Cui bono, oder wem nutzt die moderne Medizin?

Dass die westliche, naturwissenschaftlich orientierte Medizin (WNM) wirksame Verfahren zur Behandlung und Vorbeugung von Krankheiten zur Verfügung stellt und diese einem großen Teil der Menschen kostenlos anbietet, ist unbestritten und ein kulturelles Verdienst. Dass hochwirksame Behandlungsverfahren viele unerwünschte Nebenwirkungen mit einschließen, gilt gemeinhin als ein notwendiges Übel. Zieht man in Rechnung, das viele herkömmliche medizinische Vorstellungen die Erfahrung von Schmerzen und körperlicher Beschädigung aktiv Betreiben (Aderlass, Ausbrennen von Wunden, rituelle Verstümmelung), kann die WNM als relativ human und nebenwirkungsarm gelten.

Das Prinzip: keine Wirkung ohne Nebenwirkung ist aber für die moderne Medizin fundamental. Erstens hängt es mit dem Grundprinzip der allopathischen Pharmazie zusammen, der linearen Dosis-Wirkungsbeziehung. Dabei ist dann das Finden der richtigen Dosis entscheidend für die Minimierung der unerwünschten Wirkungen. Das Besondere an der modernen Medizin ist aber, dass sie Erklärungen dafür anbietet, wie Wirkung und unerwünschte Wirkung zustande kommen. Als Beispiel kann man die Aktivierung oder Blockierung von Dopaminrezeptoren im Gehirn diskutieren.

Eng mit der Frage wem es nutzt, dem Patienten oder dem Arzt ist der Umgang mit der Krankheit und das Ziel der Behandlung. Die Schulmedizin unterdrücke allzu oft Symptome einer Krankheit, anstatt deren Ursache zu behandeln lautet eine zentrale Kritik. Hier kommt ein wichtiges Behandlungsprinzip zum Tragen, nämlich, dass man keine technischen Befunde behandelt, sondern klinisch relevante Symptome. Was das bedeutet, kann man an der Behandlung so verschiedener Erkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck und Epilepsie sehen. Während man bei Diabetes und Hypertonie technisch erhaltene Werte behandelt und korrigiert, wird im Falle der Epilepsie kein EEG-Befund behandelt, sondern die Anfallsfrequenz. Ziel ist einmal die Minimierung von Folgekrankheiten (Organdefekte aufgrund von Gefäßschäden bei Diabetes und Hochdruck) und damit die Verbesserung der Lebenserwartung, andererseits die Verbesserung der Lebensqualität (Ermöglichung eines normalen Alltags durch Anfallsfreiheit). Die Behandlung von Ursachen ist beim Typ I Diabetes nicht möglich, beim Typ II ist es meistens zu spät (Übergewicht durch Überernährung) und bei der Hypertonie hängt es davon ab, ob die Patienten den Rat des Arztes, Bewegungsmangel zu vermeiden wirklich folgen. Eine Beseitigung der Ursachen der Epilepsie ist sehr riskant und kommt nur bei Patienten infrage, die eine therapierefraktäre Epilepsie haben. (Durch keine Medikation zu beeinflussen). Diese Patienten werden in Spezialkliniken (Bonn und Bethel) daraufhin untersucht, ob sie für eine Epilepsiechirurgie in Frage kommen. Hier sollte klar sein, das es besser ist, zuerst Symptome zu unterdrücken, bevor man den Patienten zu risikoreichen Therapieformen rät.

Ob man seinen Patienten nutzen kann, wenn man seinen seelischen Zustand vernachlässigt, ist eine Frage, die man umstandslos bejahen kann. Schulmediziner sind der Meinung, das die seelische Verfassung eines Patienten keinen Einfluss auf die Verkalkungen seiner Herzkranzgefäße hat und geben deshalb Aspirin und Beloc zok, egal wie sich jemand fühlt. Das tut man mit dem guten Gefühl, dass die Statistik einen bestätigt. Unabhängig davon beobachtet man, das zuerst die Depression kommt und dann der Herzinfarkt. Die Behandlung von Erkrankungen, die gemeinsam auftreten (Komorbidität) ist deshalb obligatorisch. Der Infarktpatient bekommt dann im Zweifelsfall eben noch 15 mg Remergil zur Nacht.

Die Frage, ob man in der Summe durch die WNM mehr profitiert oder mehr Schaden hat, läßt sich statistisch sichern: Rückgang der Kindersterblichkeit und Verlängerung der Lebenserwartung sind eindeutige Parameter. Ich finde, man sollte diese Effekte nicht durch zynische Kommentare kleinreden. Dass geimpfte Kinder mehr Allergien bekommen und alte Menschen dement werden, ist nicht einer erfolgreichen medizinischen Versorgung anzulasten. Die Kinder die Allergien bekommen und die Alten, die dement werden, erleben den Eintritt dieser Erkankungen ja nur, weil es die WNM gibt, sie wären sonst tot.

[Bearbeiten] Die Schulmedizin ist keine wissenschaftliche Medizin

Die westliche, naturwissenschaftlich geprägte Medizin (WNM) beschäftigt sich mit einem Organismus (dem menschlichen Körper), dessen Funktionen, Fehlfunktionen und Interaktionen mit der Umwelt (Reaktion auf Umweltbedingungen, Krankheitserreger, Medikamente, andere Menschen etc.) Die WNM ist also letztlich eine biologische Disziplin. Im Gegensatz zur Biologie, deren Verhältnis zu ihren Hilfswissenschaften gut untersucht ist, hat die Medizin aber keine eigenständige theoretische Grundlage. In der Biologie ist es ja die Evolutionstheorie, die der ganzen Wissenschaft ein Bezugssystem liefert, in dem alles Wissen eingespannt wird. So etwas gibt es in der Medizin nicht. Der Wissenschaftsstatus der WNM ist deshalb fraglich.

Diese These hat viele Konsequenzen. Einmal steht zur Diskussion die Frage, wie eine Wissenschaft überhaupt definiert ist. Ich denke, dass zu einer Wissenschaft drei Dinge gehören: eine Theorie, eine Datensammlung und eine Forschungspraxis.

Man kann das am Beispiel der Astronomie erläutern. Astronomen untersuchen Himmelskörper durch systematische Beobachtung mit Instrumenten (Forschungspraxis) und Dokumentation der Ergebnisse (Datensammlung). Dann interpretieren sie die Daten etwa im Rahmen eines geozentrischen Weltbildes (Theorie). So hat man das klassische ptolemäische Konzept, das zudem ja in einem einfachen Fall empirisch richtig ist. Das geozentrische Weltbild der Antike stimmt im Falle des Mondes. In der weiteren Entwicklung der Astronomie haben wir im Rückblick betrachtet einen Zuwachs an Verständnis durch die Konzepte von Kopernikus (Heliozentrismus) und Kepler (elliptische Bahnen), die nunmehr die Bewegung des Mars gut erklären (die scheinbare Rückwärtsbewegung des Mars hatte ja die Theorie der Epizyklen begründet). Einsteins Relativitätstheorie schließlich verbessert das Verständnis der Himmelskörper in unserem Sonnensystem noch einmal, in dem die Periheldrehung des Merkur erklärt wird. Man sieht an diesem Beispiel deutlich, dass entscheidend nicht das Datensammeln und die Forschungspraxis sind. Darauf haben sich nach allem, was wir wissen, prähistorische, antike, arabische, mittelalterliche und frühneuzeitliche und Maya-Astronomen hervorragend verstanden. Kritisch ist die Interpretation der Daten im Rahmen einer Theorie.

Im Falle der Medizin gibt es keinen mit der Theorieentwicklung in der Astronomie vergleichbaren Prozess. Es gab zwar in der Vergangenheit zahlreiche Versuche solche Theorien einzuführen, sie sind aber alle gescheitert. Die erfolgreichste Medizin ist die, die keine Theorie hat, die WNM.

In der jüngsten Vergangenheit gab es einen zunächst sehr erfolgreichen, dann aber mit schrecklichen Konsequenzen gescheiterten Versuch, ein universales Bezugssystem für die Medizin zu schaffen. Ich meine damit Eugenik und Rassenbiologie. Die Eugeniker haben sich selbst als Pioniere einer modernen Medizin verstanden. Sie waren in Deutschland so sehr von der Nützlichkeit und dem Erfolg ihres Projektes überzeugt, dass sie auch die Teilnahme an Verbrechen nicht gescheut haben. Die Eugenik ist ein Beispiel wie man in der Medizin der Faszination systematischen und technokratischen Denkens und Handels erliegen kann.

[Bearbeiten] Abschluß

Die Medizin ist eine hypothesengeleitete Erfahrungswissenschaft, eine Art Kunsthandwerk. Krankheit und Gesundheit bei Menschen sind so kompliziert, dass sie in kein wie auch immer geartetes System des Wissens und der Erkenntnis hineinpassen. Die moderne Medizin ist Anti-Hegelianisch. Deshalb ist auch jede schulmedizinische Erkenntnis und Praxis grundsätzlich revidierbar. Dieser Pragmatismus und diese Flexibilität machen ein gut Teil des Erfolges der modernen Medizin aus. Die Schulmedizin ist pragmatisch und konsensorientiert. Dies kommt in dem Prinzip der Behandlungsvereinbarung zum Ausdruck. Arzt und Patient verabreden eine Zusammenarbeit. Ärzte haben zu allen Zeiten gewußt, dass es zur Kunst des Heilens gehört, solche Vereinbarungen sorgfältig zu treffen, sie zuverlässig einzuhalten und in allen Behandlungsphasen ehrlich zum Patienten zu sein. Diese Prinzipien sind einfach, können von jedem vernünftigen Menschen eingehalten werden und deshalb kann auch jeder durchschnittlich intelligente und einigermaßen kritikfähige Mensch Arzt und Patient sein.

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