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Begriffsbildung - Wikipedia

Begriffsbildung

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Unter Begriffsbildung versteht man das Nachvollziehen und Erzeugen von Begriffen, denen immer der Prozess des Abstrahierens vorausgeht.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Einleitung

Die Begriffsbildung gilt als ein wesentlicher Bestandteil des wissenschaftlichen Arbeitens. Sie wird vornehmlich in der pädagogischen Psychologie untersucht. In der Didaktik werden Modelle aufgestellt, wie Begriffe zu vermitteln seien.

Neben der großen Bedeutsamkeit der Begriffsbildung für das Lernen, spielen Begriffe in der Wissenschaftssoziologie und der Alltagssoziologie eine wichtige Rolle. Begriffe, ihre Wirkung und die Methoden ihrer Herstellung sind zudem zentrale Aspekte der Philosophien. Ein Begriff wie der der Begriffsbildung verlangt also eine interdisziplinäre Herangehensweise.

[Bearbeiten] Aeblis Theorie der Begriffsbildung

[Bearbeiten] Psychische Funktionen des Begriffs

„Der Begriff ist das Werkzeug, mit dem wir die Wirklichkeit deuten.“, heißt es bei Aebli (1994, 83) lapidar.

Leistungen des begrifflichen Denkens seien (Aebli 1994, 84):

  • Distanzierung von der Situation
  • Isolierung der in ihr enthaltenen Elemente und Beziehungen
  • reine, durchsichtige Fassung der Struktur („Ordnung“)
  • Abgrenzung derselben aus dem Kontext, bei gleichzeitiger Klärung der Beziehungen zu diesem

Neben diesen Leistungen haben Begriffe, laut Aebli, aber noch weitere Funktionen: Sie haben, im Gegensatz zum Handeln, keinen unmittelbaren Nutzen, und sollen statt dessen „dem erkennenden Geist ein Stück Wirklichkeit fassbar machen“. „Das Anliegen ist dasjenige der Transparenz und der Konsistenz der Darstellung.“ (Aebli, 1994, 84) Begriffe sind „Reinigungen“, Abstraktionen von der konkreten Realität. Sie bilden eine Struktur ab, deren wesentliches Merkmal es ist, unzeitlich, zeitlos oder überzeitlich zu sein. Selbst aus Vorgängen werden, bilden sie sich in Begriffen ab, „quasi-dingliche Gegebenheiten“. (Aebli 1994, 84f.)

[Bearbeiten] Begriffsbildung

Aebli definiert die (Aufgabe der) Begriffsbildung folgendermaßen: „... ein Gefüge von Beziehungen innerhalb von Handlungen, von sachlichen Gegebenheiten oder irgendwelcher anderer Aspekte der Wirklichkeit zu objektivieren, d.h. in eine quasi-gegenständliche Form zu überführen.“ (Aebli 1993, 23)

Weiter zeigt Aebli, dass sich ein Begriff aus einzelnen Elementen zusammensetzt, die er als Rollen oder Aktanten bezeichnet (Aebli, 1993, 111ff.). Diese werden im Zuge der Begriffsbildung aus bereits erkannten Elementen zusammengezogen und in ein neues Schema gebracht.

Dies lässt sich recht einfach nachvollziehen: Habe ich die Vorstellung von verschiedenen Blumen, einer Schnur, einem Geschenk, usw., kann ich daraus einen Begriff „Schenken eines Blumenstraußes“ zusammenziehen. Abstrahiert wird von biologischen und wirtschaftlichen Aspekten, die zwar beim Überbringen des Blumenstraußes durchaus eine Rolle spielen mögen, aber nicht zum Begriff selber gehören. Begriffe koordinieren so z.B. Handlungen im Voraus und haben deshalb einen engen Bezug zur Planungsfähigkeit und zur Problemlösung. Sie lassen sich aber auch rasch situativ übertragen, je nachdem, ob der Strauß der Chefin, der Freundin oder der Mutter geschenkt werden soll und zu welchem Anlass dies geschieht. Diese Konkretisierung der Begriffsbildung aus einem abstrakteren Begriff führt dann z.B. zu dem neuen Begriff „der Chefin einen Blumenstraußes schenken anlässlich des Versterbens ihres Mannes“.

Wesentliche Aspekte der Begriffsbildung sind also:

  • Auswählen der relevanten Elemente
  • Abstrahieren der Elemente von anderen Wirklichkeitsbezügen (es ist z.B. gleich, ob der verstorbene Mann der Chefin einem gefiel oder nicht)
  • Koordinieren der Elemente

Dieser letzte Punkt nennt sich auch Rollenzuweisung.

[Bearbeiten] Rollenzuweisung

Zentral legt Aebli auf diese Rollenzuweisung Wert. Sie prägt die Handlungsmöglichkeiten, die mit einem Begriff möglich sind, vor.

Nehmen wir noch einmal unser oben gegebenes Beispiel, so ist die Frage nach dem Handelnden nur implizit im Begriff festgelegt, in dem Fall aber, dass es mich persönlich betrifft, bin ich der Handelnde und weise mir diese Rolle zu. Dies zeigt, dass der Begriff zunächst noch abstrakt gefasst ist, aber implizit schon diese Rolle enthält, die man dann konkretisieren kann. Zudem enthält der Begriff weitere Rollen (wem? der Chefin; weshalb? anlässlich des Versterbens ihres Mannes; was? einen Blumenstrauß).

Begriffsbildung ist deshalb Rollenklärung.

Rolle bezeichnet dabei keine soziologische Komponente, sondern eine psychologische Komponente, eine Art semantischen Bestandteil im Denken. Mit Rolle ist aber auch nicht gemeint, dass diese nur in einem Satz vorkommen (dies wären Kasusrollen). Bestandteile einer Spiegelreflexkamera in ihrer Wirkung zueinander können nicht in einem Satz ausgedrückt werden, bilden aber zusammen den entsprechenden Begriff. Es muss, im Zuge der Begriffsbildung geklärt werden, welche Rolle die Teile füreinander „spielen“ (Koordination). Darstellbar ist dies in einem semantischen Netz anhand semantischer Rollen.

[Bearbeiten] Kritik

Aeblis Vorgehen bereitet einige gravierende methodische Schwierigkeiten, die hier kurz angesprochen werden sollen:

  1. Obwohl Aebli Begriffe als Objektivierungen schildert, bleiben seine dargestellten Begriffe offizielle Versionen von Gegenständen, Handlungen und Vorgängen. Genau dies aber führt dazu, dass Aebli diese als Bestandteile eines Lexikons identifiziert, das eine gewisse Wissenschaftlichkeit mit sich bringt. Zunehmend verliert Aebli dabei den Halt in einer Verwissenschaftlichung, die das eigentlich Spannende nicht mehr nachzuvollziehen und darzustellen weiß, wie sich Begriffe alltäglich bilden.
  2. Daraus resultiert ein weiteres Problem: wenn sich Begriffe psychisch bilden, kann man ihnen dann eine allgemeine Version unterstellen, oder muss man sie, im Sinne einer Subjektorientierung und Lebensweltorientierung nicht in eine Subjektivität fassen, die sich gerade nicht zeitlos gültig darstellen lässt?
  3. Wahrscheinlich resultiert aber das ganze Problem der Begriffsbildung aus einem weiteren Aspekt: dem der Beobachtbarkeit. Wenn Begriffe kognitive Phänomene sind (zumindest in der Psychologie), wie lassen sie sich beobachten oder nachkonstruieren?
  4. Daran schließt sich gleich ein weiteres Problem an: Wann entstehen die ersten Begriffe? Sind sie erst dann vorhanden, wenn ein Kind mehr als Einwortsätze äußern kann, also auch für den Beobachter Beziehungen sprachlich ausdrücken kann oder ist ein Kind, dass Mehl, Eier und Milch in einer Schüssel zusammen kippt, aber nur die Elemente einzeln und Kuchen als Ergebnis benennen kann, schon in der Lage, einen Begriff von „Kuchen backen“ zu haben?
  5. Schließlich greift Aebli sehr häufig, ohne es durchzuziehen, auf die Sprachlichkeit, bzw. symbolische Fassbarkeit von Begriffen zurück. Sind Begriffe aber tatsächlich symbolisch fassbar? In diesem Falle ließen sie sich tatsächlich in einem Lexikon objektivieren. Oder haben Begriffe und damit auch die Begriffsbildung einen starken, aber oft nicht erkannten außersprachlichen Kern?
  6. Dass Begriffsbildungen sich alltäglich vollziehen und eng mit sozialen Rollen, emotionalen Färbungen und Orientierung in der Lebenswelt zusammenhängen, kann man an dem oben gegebenen Beispiel mit dem Blumenstrauß sehen. Neben der Ausprägung dessen, was als Begriff gelten soll, beachtet Aebli zunehmend weniger, dass Begriffe wahrscheinlich als ganzheitliche Ordnungsleistungen gedacht werden müssen. Die Rolle der Emotionalität wird nicht erfasst, ebenso wenig aber die Funktionalität unscharfer Begriffe.
  7. Daran ist die Frage der Flüchtigkeit anzukoppeln: wenn Begriffe konkretisiert werden, bilden sie vielleicht, aber eben nur vielleicht, neue Begriffe. Wann, unter welchen Bedingungen der Stabilität von Wissen, gehen Konkretisierungen oder Abstrahierungen in neue Begriffe über?
  8. Sind Begriffe wirklich lediglich „Identifikationen eines bestimmten Phänomens“ (Aebli 1994, 88)? Schon hier verwischt sich Aebli massiv selbst, da er zugleich sagt, Begriffe dienten nur der Identifikation eines Phänomens (sind aber diese Identifikation nicht selbst). Zwischen der Disposition, ein Phänomen wahrnehmen zu können, (Kompetenz) und der Wahrnehmung eines Phänomens (Performanz) sollte allerdings ein Unterschied gemacht werden.


Alles in allem zeigen sich also drei wesentliche Probleme bei Aebli: erstens die Frage nach der ontogenetischen und alltäglichen Grenze und damit nach der Beobachtbarkeit von Begriffen, zweitens nach der internen Funktion von Begriffen und damit den symbolischen und außersymbolischen internen Bedingungen ihrer Funktionalität, drittens nach der Lebensweltlichkeit, Situativität und Sozialität von Begriffen und damit ihren externen Bedingungen ihrer Funktionalität.

Aebli hat, so scheint es, sich hierbei zu sehr von wissenschaftlichen Methoden der Objektivierung und Darstellung leiten lassen, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, dass dies nur ein sehr kleiner Aspekt der Ordnung psychischen (und sozialen) Wissens ist. Gleichwohl liefert er gerade dadurch viele Anregungen, wie Begriffsbildungen in Schule und Studium geleistet, operationalisiert und objektiviert werden können.

[Bearbeiten] Ausblick

Um psychische Begriffsbildungen genauer fassen zu können, sollte man von einigen Hypothesen ausgehen, die zum einen einen möglichen Theorieentwurf betreffen, zum anderen mögliche Forschungsprojekte:

  • Begriffe sind nicht rein symbolisch. Sie umfassen auch andere wenig flüchtige kognitive Elemente.
  • Begriffe sind Ordnungsleistungen im Denken, die emotional und situativ sehr unterschiedlich gefasst und angewendet werden.
  • Begriffe sind ordnende Projektionen, die die wahrnehmbare Wirklichkeit auf das Maß vereinfachen, dass Handlungsfähigkeit gegeben ist.
  • Schärfe ist kein Gütesiegel des Begriffs, es sei denn in der Wissenschaft. Demnach sind Klärungen, Abstraktionen und Reinigungen auch nicht die wesentlichen Operationen der Begriffsbildung und – denkt man diese weiter - auch nicht die wesentlichen Ziele eines begriffsbildenden Unterrichts.

[Bearbeiten] Literaturverzeichnis

  • Aebli, Hans: Denken: Das Ordnen des Tuns I, Stuttgart 1993.
  • Aebli, Hans: Denken: Das Ordnen des Tuns II, Stuttgart 1994.

[Bearbeiten] Adorno: Demontagen

[Bearbeiten] Zweifel am Begriff

„Die begrifflichen Gehäuse, in denen, nach philosophischer Sitte, das Ganze sollte untergebracht werden können, gleichen angesichts der unermesslich expandierten Gesellschaft und der Fortschritte positiver Naturerkenntnis Überbleibseln der einfachen Warenwirtschaft inmitten des industriellen Spätkapitalismus.“ (Negative Dialektik [ND], S. 15)

Identität. – Adorno denunziert den Begriff als scheinhaft. Dieses Scheinhafte ist durch seine angebliche Identität mit der Sache selbst gegeben. Dabei ist aber diese Identität keine Verfehlung, sondern dem Denken immanent: „Denken heißt identifizieren.“ (ND, S. 17). Die begriffliche Ordnung überformt und verdrängt die begreifbare Welt und stellt damit das Denken still (ND, S. 16f).

Zwangscharakter. – Begriffe sollen nach der Norm der adaequatio den Satz vom ausgeschlossenen Dritten verwirklichen (ND, S. 17). Dieses Prinzip schiebt alles Nicht-Identische beiseite und wendet sich damit auch gegen das „objektive“ Denken selbst: „Was an dem zu Begreifenden vor der Identität des Begriffs zurückweicht, nötigt diesen zur outrierenden Veranstaltung, dass nur ja an der unangreifbaren Lückenlosigkeit, Geschlossenheit und Akribie des Denkprodukts kein Zweifel sich rege.“ (ND, S. 33)

Widerspruch. – Was der Begriff ausschließt, taucht trotzdem wieder auf, diesmal aber als Widerspruch (ND, S. 17): „Er ist Index der Unwahrheit von Identität, des Aufgehens des Begriffenen im Begriff.“ (ND, S. 16)

Versöhnung. – Um dieser Unwahrheit zu entkommen und nicht selber dem Zwangscharakter der Identität zu verfallen, soll die Versöhnung angestrebt werden: „Diese gäbe das Nichtidentische frei, entledigte es noch des vergeistigten Zwanges, eröffnete erst die Vielheit des Verschiedenen, über die Dialektik keine Macht mehr hätte. Versöhnung wäre das Eingedenken des nicht länger feindseligen Vielen, wie es subjektiver Vernunft anathema ist.“ (ND, S. 18)

Dialektik. – An dieser Stelle greift dann eine Paradoxie, die Adorno in der Negativen Dialektik zu entfalten versucht. Die Dialektik folgt auf der einen Seite dem Zwangscharakter der Logik, aber auf der anderen Seite demontiert sie gerade diesen Zwangscharakter noch, indem sie 1.) der Entfaltung der Differenz von Allgemeinem und Besonderen folgt, und 2.) diese Entfaltung selbst noch als Allgemeines sieht und dies mit dem Besonderen vermittelt. Die Dialektik wendet sich so gegen sich selbst und zerstört sich, indem sie sich rigoros ausübt. (ND, S. 18) „Die Arbeit philosophischer Selbstreflexion besteht darin, jene Paradoxie auseinanderzulegen.“ (ND, S. 21)

[Bearbeiten] Nicht Begriffsbildung, sondern Begriffsdemontage

Umdrehen. – Die Begriffe entstehen aus dem Nichtbegrifflichen (ND, S. 23). Diese Bewegung muss in der Dialektik nun umgedreht werden: „Philosophische Reflexion versichert sich des Nichtbegrifflichen im Begriff.“ (ND, S. 23) und: „Die Utopie der Erkenntnis wäre, das Begriffslose mit Begriffen aufzutun, ohne es ihnen gleichzumachen. ... Diese Richtung der Begrifflichkeit zu ändern, sie dem Nichtidentischen zuzukehren, ist das Scharnier negativer Dialektik.“ (ND, S. 21f)

Blick auf die Sachen. – Wie nun sieht ein solches Umdrehen aus? Adorno gibt darauf keine einfache Antwort, aber Leitlinien. Zunächst gilt der Blick den Sachen selbst und der Gedanke habe vor diese keine befriedenden Begriffe zu schieben, sondern sich zu entäußern, mit spekulativer Kraft noch das Unauflösliche der Identität des Gegenstands mit seinem Begriff zu sprengen (ND, S. 38).

Pole. – Die beiden Pole, zwischen den Adorno hin- und herchangieren will, sind Einsicht in Wirkliches und das Spiel (ND, S. 26). Damit will er zum einen verbindlich bleiben, zum anderen aber dem Zwangscharakter entgehen. „An [der Philosophie] ist die Anstrengung, über den Begriff durch den Begriff hinauszugelangen“ (ND, S. 27). Dabei zieht Adorno Parallelen zu dem Pragmatismus und der Skepsis Deweys: man muss sich in die Erkenntnis engagieren, aber um ihr Fehlgehen wissen (ND, S. 25).

Alogisches. – Adorno kommt immer wieder auf die Demontage der Logik zurück: das Spiel bleibt notwendiger Bestandteil, auch wenn es clownesk, willkürlich, alotria ist. Dieses Spiel aber als Moment der Wirklichkeit zu begreifen, ist durch die Dialektik einzuholen und aufzugeben. Dies kommt – vielleicht neben den Gedanken zu Auschwitz (ND, S. 354ff) eine der berührendsten Stellen im Buch – im Selbstübersteigen des Gedankens zum Ausdruck: „Worin der Gedanke hinaus ist über das, woran er widerstehend sich bindet, ist seine Freiheit. Sie folgt dem Ausdrucksdrang des Subjekts. Das Bedürfnis, Leiden beredt werden zu lassen, ist Bedingung aller Wahrheit. Denn Leiden ist Objektivität, die auf dem Subjekt lastet; was es als sein Subjektivstes erfährt, sein Ausdruck, ist objektiv vermittelt.“ (ND, S. 29) und etwas weiter sagt Adorno dazu, zirkulär argumentierend: „Ausdruck und Stringenz sind ihr keine dichotomischen Möglichkeiten. Sie bedürfen einander, keines ist ohne das andere. Der Ausdruck wird durchs Denken, an dem er sich abmüht wie Denken an ihm, seiner Zufälligkeit enthoben.“ (ND, S. 29)

Modelle. – Der Begriff, der in das Argument ebenso eingebunden ist wie in den Ausdrucksdrang, wird von beiden überstiegen. Negative Dialektik versucht die Argumente ebenso zu entfalten, wie den Ausdrucksdrang dialektisch einzuholen. Dass sie dabei selbst argumentiert, dass sie dabei selbst einem Ausdrucksdrang folgt, macht ihr die totale Erkenntnis zu einer Utopie. Fragmentierte Erkenntnis ist schließlich das, was der Philosophie noch taugt: „Die Forderung nach Verbindlichkeit ohne System ist die nach Denkmodellen. ... Das Modell trifft das Spezifische und mehr als das Spezifische, ohne es in seinen allgemeineren Oberbegriff zu verflüchtigen. Philosophisch denken ist soviel wie in Modellen denken; negative Dialektik ein Ensemble von Modellanalysen. Philosophie erniedrigte sich erneut zur tröstlichen Affirmation, wenn sie sich und andere darüber betröge, dass sie, womit immer sie ihre Gegenstände in sich selbst bewegt, ihnen auch von außen einflößen muss.“ (ND, S. 39)

Konstellation. – Eines dieser Modelle wird durch den Begriff der Konstellation bezeichnet. In der Konstellation wird nicht durch Abstraktion ein neuer Oberbegriff gebildet, sondern die Begriffe treten in Beziehung zueinander, „zentriert um die Sache selbst“ (ND, S. 164). „Konstellationen allein repräsentieren, von außen, was der Begriff im Innern weggeschnitten hat, das Mehr, das er sein will so sehr, wie er es nicht sein kann. Indem die Begriffe um die zu erkennende Sache sich versammeln, bestimmen sie potentiell deren Inneres, erreichen denkend, was Denken notwendig aus sich ausmerzte.“ (ND, S. 164f)

Essay. – Ein anderes Modell ist der Essay (Adorno: Der Essay als Form): In seiner Entfaltung tauchen alle Elemente der negativen Dialektik wieder auf.

  • Nicht-Identität von Begriffen und Sachen: „Weil die lückenlose Ordnung der Begriffe nicht eins ist mit dem Seienden, zielt [der Essay] nicht auf geschlossenen, deduktiven oder induktiven Aufbau.“ (ebd., S. 17)
  • Gegen den logischen Zwangscharakter: „Damit suspendiert [der Essay] zugleich den traditionellen Begriff von Methode. Der Gedanke hat seine Tiefe danach, wie tief er in die Sache dringt, nicht danach, wie tief er sie auf ein anderes zurückführt. Das wendet der Essay polemisch, indem er behandelt, was nach den Spielregeln für abgeleitet gilt, ohne dessen endgültige Ableitung selber zu verfolgen.“ (S. 18f)
  • Ohne Fundament: „Er fängt nicht mit Adam und Eva an sondern mit dem, worüber er reden will; er sagt, was ihm daran aufgeht, bricht ab, wo er selber am Ende sich fühlt und nicht dort, wo kein Rest mehr bliebe ...“ (S. 10)
  • Spiel: „Anstatt wissenschaftlich etwas zu leisten oder künstlerisch etwas zu schaffen, spiegelt noch seine Anstrengung die Muße des Kindlichen wider, der ohne Skrupel sich entflammt an dem, was andere schon getan haben. Er reflektiert das Geliebte und Gehasste, anstatt den Geist nach dem Modell unbegrenzter Arbeitsmoral als Schöpfung aus dem Nichts vorzustellen. Glück und Spiel sind ihm wesentlich.“ (S. 10)
  • Wechselwirkung: „Der Essay dafür nimmt den antisystematischen Impuls ins eigene Verfahren auf und führt Begriffe umstandslos, »unmittelbar« so ein, wie er sie empfängt. Präzisiert werden sie erst durch ihr Verhältnis zueinander. Dabei jedoch hat er eine Stütze an den Begriffen selber. Denn es ist bloßer Aberglaube der aufbereitenden Wissenschaft, die Begriffe wären an sich unbestimmt, würden bestimmt erst durch ihre Definition.“ (S. 20)
  • Dabei ist das Wie des Ausdrucks (S. 20) – als reflektiert auf den Ausdrucksdrang – ebenso wichtig, wie die teppichhafte Verflechtung der Argumente (S. 21) – als Widerstand gegen die logische Ableitung, die eine Einbahnstraße behauptet. Dieses Ablehnen von Induktion und Deduktion legen das Dritte, die Abduktion, nahe (vgl. auch S. 22).
  • Deshalb wird auch das Vergängliche nicht zu einem Ewigen abstrahiert, sondern im Essay – als Intention - wird das Vergängliche zu verewigen versucht. (S. 18)
  • Indem der Essay auch die Begriffe und Theorien, die sich um einen Gegenstand konstellieren, indem er diese nicht als Erklärung für den Gegenstand nimmt, sondern nur als Hinzielen auf diesen, übt er auch immanente Kritik an geistigen Gebilden: er konfrontiert die Begriffe mit ihrem Zusammenhang und ist insofern Ideologiekritik. (S. 27)

[Bearbeiten] Zusammenfassung

Statt Begriffsbildung betreibt Adorno eine Begriffsdemontage. Begriffe gehen nicht in den Sachen auf. In der Kritik der Begriffe sei auf das Unbegriffliche zu zielen. Die Einbindung der Begriffe in die Argumente und den Ausdruck gehe über diese ebenso hinaus. Die zirkuläre Bewegung entspreche der Konstellation von Begriffen und der Demontage ihres Identitätszwanges ebenso, wie der Demontage des logischen Zwangscharakters. Ihre philosophische Form ist das Modell, bzw. der Essay, die Einsicht in Wirkliches will, über die Logik der Dialektik verbindlich bleibt, durch das Spiel die Freiheit des Ausdruckswillens achtet.

[Bearbeiten] Literaturverzeichnis

  • Adorno, Theodor W.: Negative Dialektik, Frankfurt am Main 1994.
  • Adorno, Theodor W.: Der Essay als Form, in: ders.: Noten zur Literatur, Frankfurt am Main 1994, S. 9-33
  • Menke, Christoph: Die Souveränität der Kunst, Frankfurt am Main 1991

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