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Germanischer Tierstil

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Runenstein mit germanischem Tierstil im Park der Universität von Uppsala
Runenstein mit germanischem Tierstil im Park der Universität von Uppsala

Der Ausdruck Germanischer Tierstil oder Tierstil bezeichnet in der Stilgeschichte und der Archäologie eine Stilrichtung des Frühmittelalters. Charakteristisch für diese Stilrichtung ist die Darstellung in sich verflochtener Tiere.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Beschreibung

Der Germanische Tierstil entwickelte sich in Nordeuropa und Skandinavien als sogenannte Nordische Tierornamentik aus spätrömischen Verzierungsformen. Er bildete bald eigenständige Muster und breitete sich rasch über ganz Mitteleuropa aus. Charakteristisch sind stilisierte Darstellungen von Schlangen, Drachen, Ebern, Wölfen und Vögeln wie Adler und Raben. Seltener sind Pferde- und Menschendarstellungen.

[Bearbeiten] Stilrichtungen

Der Tierstil bildete im Laufe der Zeit verschiedene Stilrichtungen aus, die der schwedische Archäologe Bernhard Salin 1904 in Tierstil I und Tierstil II kategorisierte:

[Bearbeiten] Nydamstil

Der Nydamstil entstand in Skandinavien ab der ersten Hälfte des 5. Jh. bis zweite Hälfte des 5. Jh. Er entwickelte sich vermutlich unter starkem Einfluss der provinzialrömischen Metallkunst (vor allem Gürtelbeschläge). Während die Flächen mit floralem und geometrischem Dekor verziert sind (Ranken, Palmetten, Mäander, etc.), befinden sich am Rand Tierfiguren.

[Bearbeiten] Tierstil I

Der Tierstil I entsteht in der 2. Hälfte des 5. Jh. vermutlich in Skandinavien, verbreitet sich jedoch rasch nach Mitteleuropa (Rheinland und Süddeutschland) sowie England. Hier sind die Tiere, zunächst Vierfüßler und See-Wesen, naturalistisch dargestellt und von einander klar separiert. Die Tiere sind meist, wie bei den spätrömischen Kerbschnittverzierungen, in kauernder Haltung an den Rändern der verzierten Objekte angeordnet. Im Gegensatz zum Nydam-Stil finden sich die Tiere nun auf den Flächen und sind das dominierende Element. Zudem werden die Tiere durch Umrandungen hervorgehoben. In der zweiten Hälfte des 5. Jh. verschwinden die See-Wesen völlig und die vierbeinigen Tiere dominieren.

Man unterteilt den Tierstil I in die A, B, C und D-Phase.

  • A: Übergangsstil zwischen Nydam- und reinem Tierstil.
  • B: Die Tierkörper werden mittels querlaufender Striche herausgehoben (vor allem in Ostskandinavien und Pannonien/Ungarn verbreitet).
  • C und D: Verbänderung. Die Tierkörper werden mit mehreren parallelen Bändern dargestellt. In Phase D werden diese ineinander verschlungen. Vorkommen vor allem in Süd- und Westskandinavien und Süddeutschland (Alemannen).

Die Phasen B, C und D stellen keine chronologischen Phasen dar, sondern kommen gleichzeitig vor, manchmal sogar auf einem Gegenstand. Tierstil I wird spätestens im letzten Drittel des 6. Jh. vom Tierstil II abgelöst.

[Bearbeiten] Flechtbandornament

Verzierungen aus komplex verflochtenen Bändern und Linien. Diese Ornamentik kam etwa zur gleichen Zeit wie der Tierstil I aus dem Orient nach Mitteleuropa.

[Bearbeiten] Tierstil II

Ab ca. 570 n. Chr. bis ca. Mitte 8. Jahrhundert.

Die Entstehung von Tierstil II ist bis heute noch nicht mit Sicherheit geklärt. Galt früher, dass der Tierstil II eine Verschmelzung des Tierstil I aus dem Norden und der Flechtbandornamentik aus dem Süden sei (vor allem bei den Langobarden in Italien), so ist man sich heute nicht mehr so sicher, wobei eine gegenseitige Beeinflussung und jeweilige Übernahme am wahrscheinlichsten erscheinen. Die rasche Ausbreitung des Tierstils II von Skandinavien, England bis Deutschland und Italien und die starken Ähnlichkeiten der Bildmotive über den ganzen Raum um 600 sprechen für einen intensiven Kontakt vermutlich wandernder Handwerker.

Klar ist auch nicht, wo der Tierstil II zuerst ausgebildet wurde. Eine Verbänderung und Verschlingung gibt es schon z. T. im Tierstil I (Phase D), so dass es manchmal sogar schwierig ist zu unterscheiden, ob eine Darstellung noch Tierstil I oder schon Stil II ist.

Es bestehen, wie beim Tierstil I, z. T. erhebliche Unterschiede in der Qualität der Ausführung (z. T. verstanden wohl einige Handwerker nicht mehr die Motive bei Anfertigung ihrer Kopie). Unterschieden werden muss zwischen reiner Tierornamentik, bei der die Tiere im Vordergrund der Abbildung stehen und der Tierkörper klar mit Kopf, Körper und Füßen dargestellt ist, und Flechtbandmotiven, bei der lediglich Tierköpfe angesetzt wurden (vor allem im Laufe des 7. Jh. auf dem europäischen Festland).

Die Tierdarstellungen werden völlig dem Flechtbandmuster untergeordnet. Die Tiere werden sehr stark abstrahiert und sind nur noch schwer als solche zu erkennen. Gleichzeitig sind die einzelnen Tierdarstellungen komplex ineinander verschlungen und verflochten.

[Bearbeiten] Symbolik

Den Abbildungen und Motive, welche im Tierstil I und II verwendet werden, spricht man eine magische Bedeutung als „Heilsbilder“ zu. Motive wie die „Maske zwischen den Tieren“ waren schon im Römischen Reich bekannt (Gott/Heros? mit begleitenden heraldischen Tieren), ohne dass klar ist, welche Bedeutung diese Bilder und Motive hatten. Diskutiert wird eine unheilabwehrende (apotrophäische) Wirkung. Ähnlich wie bei den nordischen Brakteaten muss mit einer „germanischen Uminterpretation“ gerechnet werden, bei dem der Sinngehalt der germanischen Götter- und Mythenwelt angepasst wurde. Weiterhin könnten einzelne Tiere wie Pferd, Wolf, Adler und Eber germanische Götter oder Totem-Tiere repräsentieren (vgl. germanische Personennamen mit Bezug zu Tieren wie z. B. Eber-hard (Stark wie ein Eber); Wolf-gang = Wolfs-gänger, Wolfskrieger usw.); Arnold (althochdeutsch arn- -> Adler -wald -> Walter, Herrscher). Letztendlich könnte es sich bei den Verzierungen (besonders beim Tierstil II) um eine Art „Heraldik“ und Erkennungsabzeichen gehandelt haben, mit denen sich bestimmte Gruppen (Gefolgschaften um einen mächtigen Anführer/Häuptling/König) identifizierten und ihre Verbundenheit demonstrierten.

Alle diese Deutungen sind aber spekulativ.

[Bearbeiten] Weitere Stilrichtungen

In der Wikingerzeit entwickelten sich in Nordeuropa weitere eigenständige Stilrichtungen:

  • Osebergstil vom 8. bis 9. Jahrhundert (besonders erstes bis drittes Viertel des 9. Jhs.: berühmtes Frauengrab in Oseberg im norwegischen Vestfold. Kleinwüchsige Tiere sind zu flächendeckenden Mustern zusammengestellt, die Verwendung von Schlaufen ist abgeschwächt, das plastische Relief hat mehrere Ebenen, so dass neue Licht- und Schattenwirkungen entstehen).
  • Borrestil vom 9. bis 10. Jahrhundert (besonders 850/875 – 925/950 Grabfund von Borre in Vestfold, Norwegen. Dichte, spiegelsymmetrische Motive, besonders Kreis und Quadrat, was zum Beispiel bei den Flechtbändern zum Ausdruck kommt, die die charakteristischen Ringketten und Brezelknoten bilden).
  • Bredalstil im 9. Jahrhundert, der erste eigene wikingerzeitliche Kunststil
  • Jellingestil in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts (Jelling in Jütland. Ein einziges Motiv: band- und s-förmige Tiere).
  • Mammenstil im 11. Jahrhundert (970/971 Prunkaxt von Mammen in Dänemark. Neu ist die Darstellung einzeln stehender Motive).
  • Ringerikestil vom 10. bis 11. Jahrhundert (besonders in Dänemark)
  • Urnesstil vom 11. bis 12. Jahrhundert (Letzte ‚nordische’ Stilphase – bezeichnet nach den Fragmenten der ersten Kirche von Urnes in Sogn, Norwegen. Extrem stilisierte Vierbeiner, bandförmige Tiere und Schlangen. Der geflügelte Drache tritt zum ersten Mal in Skandinavien auf, möglicherweise nach angelsächsischen Vorbildern. Prinzip: offene Achterschlaufen und ein System aus mehreren Schlaufen, die ineinander greifen, nur zwei Linienstärken, Köpfe und Füße zu langschmalen Enden vereinfacht).

[Bearbeiten] Literatur

  • Günther Haseloff: Kunststile des frühen Mittelalters - Völkerwanderungs- und Merowingerzeit; dargest. an Funden des Württembergischen Landesmuseums Stuttgart Hrsg. vom Württembergischen Landesmuseum Stuttgart, 1979
  • Hans Hollaender: Kunst des fruehen Mittelalters, Pawlak, Herrsching 1981, ISBN 3-88199-040-2
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