Gesetzesvorbehalt
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Gesetzesvorbehalt ist die in modernen Verfassungen vorgesehene Möglichkeit, Grundrechte in zulässiger Weise einzuschränken. Die einschränkende Regelung (Vorbehalt) ist damit nicht nur dem Verfassungsgesetzgeber möglich, sondern auch dem einfachen Gesetzgeber. Da dies nur in Form eines Gesetzes geschehen darf und nicht etwa in Form einer Verordnung, eines individuellen Verwaltungsaktes der Exekutive oder eines Urteils der Justiz, handelt es sich zugleich um eine Kompetenzzuweisung, wer diesen Vorbehalt aussprechen kann (→ Vorbehalt des Gesetzes, nicht deckungsgleich).
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[Bearbeiten] Arten
Ein Vorbehalt kann in allgemeiner Form gestaltet sein:
„In diese Rechte darf … eingegriffen werden.“
– Art. 2 II 3 Grundgesetz
Oder in qualifizierter Form:
„Dieses Recht darf … nur für die Fälle eingeschränkt werden, in denen eine ausreichende Lebensgrundlage nicht vorhanden ist und der Allgemeinheit daraus besondere Lasten entstehen würden oder in denen es zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes, zur Bekämpfung von Seuchengefahr, Naturkatastrophen oder besonders schweren Unglücksfällen, zum Schutze der Jugend vor Verwahrlosung oder um strafbaren Handlungen vorzubeugen, erforderlich ist.“
– Art. 11 II Grundgesetz
Ein solches Gesetz kann das Grundrecht unmittelbar einschränken („self-executing“) oder die Verwaltung erst zu Eingriffen ermächtigen (Eingriffsermächtigung).
[Bearbeiten] Entstehung
In einem absolutistischen Staat konnte der Monarch frei wählen, ob er sich zur Ausübung seiner Herrschaft der Form des Gesetzes, der Verordnung oder des Einzelaktes bediente.
Im Zeitalter des Konstitutionalismus, der die Macht des Monarchen durch eine Verfassung beschränken wollte, wurde die Gesetzgebung allein dem Parlament zugewiesen. Damit waren Grundrechte als Bestandteil der Verfassung außerhalb der Reichweite von Monarch und Exekutive. Daraus entstand aber die Frage, wann ein Gesetz notwendig sei und wann die vom Monarchen geleitete Verwaltung selbst tätig werden dürfe. Zur Abgrenzung dieser Zuständigkeitsfrage wurde die Freiheit-und Eigentums-Formel entwickelt: Ein Gesetz (und damit die Mitwirkung der Volksvertreter) ist dann erforderlich, wenn in Eigentum und Freiheit der Bürger eingegriffen werden sollte. Durch die Mitwirkung des Volkes an der Gesetzgebung sah man Eigentums- und Freiheitsrechte der Bürger als ausreichend gesichert an.
[Bearbeiten] Grenzen der Einschränkbarkeit: Schrankenschranken
Allerdings ist der deutsche Gesetzgeber unter dem Grundgesetz nicht mehr frei, Grundrechte durch Gesetze einzuschränken. Die Erfahrungen der nationalsozialistischen Diktatur hatten gezeigt, dass selbst einer demokratischen Mehrheit dauerhafte Machtgrenzen gesetzt werden müssen. Demnach binden die Grundrechte nicht mehr nur Verwaltung und Gerichte, sondern auch den zu ihrer Einschränkung befugten Gesetzgeber (Art. 1 III GG). Dieser ist darüber hinaus an die Verfassung gebunden (Art. 20 III GG). Dies geschieht durch sog. Schrankenschranken: dem Gesetz, das die Grundrechte beschränkt (Schranke), sind selbst Schranken gesetzt (Schrankenschranken). Dazu gehören insbesondere:
- das Zitiergebot: das einzuschränkende Grundrecht muss benannt werden
- die Wesensgehaltsgarantie: das einzuschränkende Grundrecht darf in seinem Kern nicht angetastet werden
- das Verbot des Einzelfallgesetzes
- das Übermaßverbot (Verhältnismäßigkeitsprinzip)
- Zugang zu gerichtlichem Rechtsschutz
- Bindung durch die Grundrechte als unmittelbar geltendes Recht – sie bedürfen ihrerseits nicht einer einfachgesetzlichen Transformation in praktikables Recht, sie sind es
- Schutz- und Achtungsanspruch der Menschenwürde.
Zugleich wurde mit dem Bundesverfassungsgericht ein Organ geschaffen, das die Einhaltung dieser Regelungen effektiv überwachen kann. Verstößt ein einschränkendes Gesetz gegen die Schrankenschranken, ist es verfassungswidrig und damit für nichtig zu erklären. Diesem Konzept des Grundgesetzes mag man ein Defizit an Demokratie vorwerfen. Demgegenüber ergibt sich aber ein erheblicher Gewinn an Rechtsstaatlichkeit.
[Bearbeiten] Verwandte Prinzipien
Eine abgeschwächte Form des Gesetzesvorbehalts ist der Rechtssatzvorbehalt, der kein formelles Parlamentsgesetz, sondern jede Rechtsnorm (Gesetz im materiellen Sinne) ausreichen lässt. So steht etwa die Allgemeine Handlungsfreiheit unter dem Vorbehalt der verfassungsmäßigen Ordnung, kann also auch durch Rechtsverordnung oder Satzung beschränkt werden.
Andere Grundrechte sehen gar keinen Vorbehalt vor (Kunstfreiheit, Religionsfreiheit). Diese Grundrechte sind vorbehaltlos, aber nicht schrankenlos. Es bestehen nämlich Schranken, die in der Natur der Grundrechte angelegt sind: Aus dem Prinzip der Einheit der Verfassung können auch vorbehaltlose Grundrechte durch kollidierendes Verfassungsrecht eingeschränkt werden (verfassungsimmanente Schranken, vgl. Praktische Konkordanz). Nach herrschender Meinung ist auch in solchen Fällen eine gesetzliche Grundlage erforderlich, die zwischen den widerstreitenden Prinzipien abwägt (BVerfGE 108, 282 - Kopftuch). Der Grund für dieses Erfordernis ist nicht etwa ein Gesetzesvorbehalt, der ja gerade fehlt, sondern das weitergehende Prinzip des Vorbehalts des Gesetzes.
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