Hagestolz
aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Ein Hagestolz ist ein älterer Junggeselle. In der Umgangssprache wird der Begriff darüber hinaus in der Bedeutung Junggeselle aus Überzeugung oder Sonderling – ein Mann, der die Ehe verabscheut – gebraucht (siehe dazu auch Misogamist).
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Etymologisches
Zu dieser umgangssprachlichen, von der ursprünglichen Bedeutung abweichenden Verwendung verführt das Grundwort stolz, das jedoch nichts mit Stolz im Sinne von Hochmut zu tun hat, sondern eine sprachliche Abschleifung des mittelhochdeutschen stalt ist. Dabei handelt es sich um die mittelhochdeutsche Vergangenheitsform des Verbs stellen, stalt, gestalt (vergleiche die Begriffe Anstalt und Gestalt).
Das Bestimmungswort hag bezeichnet ursprünglich einen kleinen, durch eine Hecke umfriedeten und abgetrennten Bereich auf einem Grundstück, sekundär eine Hecke, ein Gebüsch oder auch einen Hain.
Hagestolz - sehr selten auch Hagestolzin oder Hagestolze (das weibliche Pendant) - weist in seiner Bedeutung tief in das altgermanische Rechtsverständnis zurück; eine Entsprechung findet sich beispielsweise in dem altnordischen Begriff hagustalda.
[Bearbeiten] Rechtshistorisches
[Bearbeiten] Das Erstgeburtsrecht und der Hagestolz
Die ursprüngliche Bedeutung liegt im Dunkeln: Die moderne Forschung geht davon aus, dass es wohl nicht Hörige oder Tagelöhner, sondern die beim Erbe leer ausgegangenen jüngeren Brüder - in sehr seltenen Fällen auch die Schwestern - eines freien Hoferben waren: Nach dem sehr rigoros gehandhabten Erstgeburtsrecht in weiten Teilen des heutigen Deutschland waren diese Personen nicht mehr als die Dienstleute ihrer Brüder.
Demnach bezeichnet hagestalt ein kleines, in einem entfernten Winkel eines Grundbesitzes erbautes und mit einer Hecke umfriedetes Anwesen, meist eine Hütte, das der Bewohner vom Hoferben zur Verfügung gestellt bekam. Dieses Gehege war so bescheiden, dass der Inhaber in der Regel keine eigene Familie gründen konnte. Noch bis in die Neuzeit hieß eine solche Junggesellen-Wohnstatt auf einem Gutsbetrieb im Paderborner Land Hagestelle.
Später übertrug sich das Wort auf den Besitzer eines solchen Anwesens und wurde seit dem Hochmittelalter für einen unverheirateten Mann allgemein, noch später speziell für einen Junggesellen jenseits der 50 benutzt.
[Bearbeiten] Das Hagestolzenrecht
Seit dem Ende des Mittelalters galt in einigen Teilen Deutschlands - zum Beispiel in der Oberpfalz und im Odenwald, in Braunschweig und Hannover - das sogenannte Hagestolzenrecht: Wenn ein Eigenmann (Höriger im weitesten Sinne), später auch ein freier Mann, bis zu einem bestimmten Alter ledig blieb, fiel sein Besitz bzw. das, was er erwirtschaftet hatte, nach seinem Tod automatisch an den Leib- oder Grundherrn respektive an den Landes- oder Stadtherrn. Meistens lag die Altersgrenze bei 50, im Odenwald bei erstaunlichen 25 Jahren. Noch das Allgemeine Gesetzbuch für die Preußischen Staaten von 1791 kannte ein Hagestolzenrecht zu Gunsten der Armenkasse. Erst im Allgemeinen Landrecht von 1794 wurde es beseitigt; regional hat es sich noch bis ins 19. Jahrhundert halten können.
[Bearbeiten] Zitat
„Ein alter Hagestolz, alle Gebrechen seines Standes in sich tragend, geizig, eitel, den Jüngling spielend, verliebt, geckenhaft!“
– E. T. A. Hoffmann: Die Serapions-Brüder
[Bearbeiten] Literatur
- W. Stoll, Das Hagestolzenrecht, ein Beitrag zur Geschichte der Testierfreiheit, Diss., Kiel, 1970
- Jürgen Storost, „‚Entschieden ist also wol noch nichts‘. Eine wissenschaftlich-historische Betrachtung zur Etymologie von ‚Hagestolz‘“. In: Beiträge zur Geschichte der Sprachwissenschaft, 5 (1995) 253–268.