Hyperstimulationssyndrom
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Unter dem Begriff des ovariellen Hyperstimulationssyndroms (OHSS) versteht man eine iatrogen ausgelöste Komplikation im Rahmen einer In-vitro-Fertilisations-Behandlung. Das klinische Bild ist je nach Schweregrad sehr unterschiedlich; während bei rund 30% aller Frauen, die sich einer IVF Behandlung unterziehen eine leichte Form von OHSS auftritt, betrifft die schwere Form des OHSS (sOHSS) nur 0,5-5% aller IVF-Patientinnen. Hervorgerufen wird das Syndrom durch die exogene Zufuhr von Gonadotropinen, welche die Follikel stimulieren, beziehungsweise die Ovulation herbeiführen sollen.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Klassifikation
Es gibt verschiedene Möglichkeiten das OHSS zu klassifizieren. Hier werden jene Varianten vorgestellt, die sich in der Fachwelt am stärksten durchgesetzt haben:
[Bearbeiten] Klassifikation nach Golan
Die Einteilung nach Golan unterteilt das OHSS in drei verschiedene Schweregrade, welche sich an der Symptomatik orientieren
Grad | Symptomatik |
---|---|
Mild |
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Mäßig |
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Schwer |
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[Bearbeiten] Klassifikation nach Navot
Die Einteilung nach Navot wird hauptsächlich verwendet um die schwere Form des OHSS (sOHSS) von der lebensbedrohlichen Abzugrenzen
Parameter | schweres OHSS | lebensbedrohliches OHSS |
---|---|---|
Durchmesser der Ovarien | variabel vergrößert | variabel vergrößert |
Aszites | massiv, mit/ohne Hydrothorax | Spannungsaszites, mit/ohne Hydrothorax |
Hämatokrit | >45% <55% | >55% |
Gesamtleukozytenzahl | >15000/mm³; <35000mm³ | >35000mm³ |
Kreatinin | 90 - 140mmol/l | >140mmol/l |
Kreatininclearance | >50 ml/min | <50ml/min |
Oligurie (Urin <500ml/d) | evtl. vorhanden | vorhanden |
Leberfunktionsstörung | vorhanden | vorhanden |
Anasarka | vorhanden | vorhanden |
Nierenversagen | nein | ja |
thromboembolische Ereignisse | nein | ja |
acute respiratory distress syndrome (ARDS) | nein | ja |
[Bearbeiten] Klassifikation nach Rizk und Aboulghar
Diese Einteilung unterscheidet sich von den früheren Schemata in einigen Aspekten. So wurde die milde Form des OHSS ausgelassen, da sie bei vielen Patientinnen während der Stimulationsphase auftritt und keine besondere Therapie erfordert. Beim sOHSS wird in drei verschiedene Arten (A, B und C) eingeteilt.
Form | Symptomatik |
---|---|
moderate Form | Unwohlsein und leichte Schmerzen, Nausea, Gefühl des gebläht-seins, Ultraschall-Nachweis von Aszites und vergrößerten Ovarien, normale Blutwerte |
schwere Form |
Dyspnoe, Oligurie, Nausea, Emesis, Diarrhoe, abdominelle Schmerzen, klinischer Nachweis von Aszites, merkliche Spannung des Abdomens und Hydrothorax, Ultraschall zeigt vergrößerte Ovarien und deutlichen Aszites, normales biochemisches Profil
Grad A plus massiver Spannungsaszites, ausgesprochen stark vergrößerte Ovarien, starke Dyspnoe und Oligurie, erhöhter Hämatokrit, angestiegenes Serumkreatinin und Leberfunktionsstörung
Komplikationen wie ARDS, Nierenversagen oder Venenthrombosen |
[Bearbeiten] Risikofaktoren
In diversen Studien wurde ein Zusammenhang zwischen dem Auftreten eines OHSS und einem jungen (< 35a) Lebensalter aufgezeigt. Als eine mögliche Erklärung dafür gilt die Tatsache, dass die Ovarien von jungen Frauen eine höhere Dichte an Gonadotropinrezeptoren aufweisen und demnach stärker auf eine exogene Gabe von Gonadotropinen reagieren. Eine weitere Erklärung für das gehäufte Auftreten von OHSS bei jungen Frauen liefert der Umstand, dass diese Gruppe, im Gegensatz zu älteren, noch über eine größere Anzahl an rekrutierbaren Follikeln verfügen, die eine gute ovarielle Reserve darstellen.
Es steht zur Diskussion, ob ein niedriger Body-Mass-Index (BMI <20) ebenfalls als Risikofaktor gilt. Führt man exogen Hormone zu, wie dies bei einem IVF-Zyklus der Fall ist, haben Frauen mit niedrigem BMI ein großes ovarielles Potenzial, da in ihren Eierstöcken viele Follikeln vorhanden sind, die noch nie gesprungen sind und dann unter Umständen auf die Hormongabe überreagieren, also ein OHSS entwickeln.
Das Vorhandensein eines polyzystischen Ovarsyndroms (PCO) wirkt sich ebenfalls negativ auf die Inzidenz eines OHSS aus. Das PCO-Syndrom steht für ein Krankheitsbild, das durch Zyklusstörungen (Amennorhoe, Oligoovulation), Hirsutismus und Hyperandrogenämie definiert wird. Weiters wird das PCO-Syndrom noch mit endokrinologischen Störungen, wie zum Beispiel Insulin-Resistenz assoziiert. Bei bis zu 63% der, von schwerem OHSS betroffenen Frauen werden polyzystische Ovarien diagnostiziert.
Ausserdem tritt OHSS weit häufiger bei Frauen auf, die die folgenden klinischen bzw. sonographischen Parameter aufweisen:
- Hohe Konzentration an Östradiol im Serum
- Rasch ansteigender Östradiolspiegel
- große und zahlreiche Follikel
- hCG-Stimulation in der Lutealphase
- bei, durch IVF-Behandlung eingetretene Schwangerschaft
- Stimulationsprotokolle, die GnRH-Agonisten verwenden
[Bearbeiten] Pathophysiologie
Die Pathophysiologie des Syndroms ist weitgehend unbekannt. Die klinischen Auswirkungen werden jedoch hauptsächlich der gesteigerten Kapillarpermeabilität zugeschrieben. Diese bewirkt einen Shift der intravaskulären Flüssigkeit in den Extrazellularraum (EZR). Die Abnahme des intravaskulären Volumens führt zu Hypalbuminämie und erhöhter Blutviskosität (Hämatokrit > 45% bei sOHSS, >55% bei lebensbedrohlichem OHSS), aus welcher dann sowohl eine erhöhte Thrombosegefahr als auch eine verminderte renale Perfusion, die zu Oligurie und letztlich auch Nierenversagen führen kann, resultieren. Die im EZR angereicherten Proteine erhöhen ebendort den onkotischen Druck, es bildet sich Aszites - gegebenenfalls auch ein Pleura- oder Perikarderguss -, ein Ungleichgewicht der Elektrolyte und in besonders gravierenden Fällen auch ein Hydrothorax. Wie oben bereits erwähnt, kann es in Fällen eines lebensbedrohlichen OHSS auch zu Spannungsaszites kommen, der in der Regel mit einem Nierenversagen einhergeht.
Die mögliche Verwicklung des ovariellen Renin-Angiotensin-Systems in die Pathophysiologie des OHSS ist ebenfalls häufig Gegenstand der Diskussion und wird wie folgt erklärt: In den Theka Zellen des menschlichen Ovars wird Prorenin (PR) und freies Renin (R) synthetisiert. HMG und hCG führen zu Renin-Aktivität in der Follikelflüssigkeit und stimulieren die ovarielle PR Produktion. In der Follikelflüssigkeit von Frauen, die sich einer kontrollierten ovariellen Hyperstimulation unterziehen, findet sich außerdem noch das Angiotensin-Converting-Enzym (ACE), Angiotensin I und Angiotensin II. Letzteres besitzt die Fähigkeit die Gefäßwandpermeabilität zu regulieren. Studien ergaben eine Korrelation zwischen der Konzentration von freiem Renin im Serum und dem Schweregrad von OHSS. Weiters wurde in einem Modell an Hasen eine Verringerung der OHSS Symptomatik durch eine ACE-Blockade gezeigt; dennoch kann mit der Wirkweise des ovariellen Renin-Angiotensin-System nicht die gesamte Pathophysiologie des Hyperstimulationssyndroms schlüssig erklärt werden.
Ebenfalls wurden Cytokine, Prostaglandine, Histamin und der vascular endothelial growth factor (VEGF) schon auf ihre mögliche Funktion als Mediatoren in der Entstehung eines OHSS untersucht19,1. Dabei wurde von allen untersuchten Regulatoren dem VEGF bereits in mehreren Studien die bedeutendste Rolle in der Pathophysiologie des OHSS zugeschrieben. Der VEGF korreliert nicht nur mit dem Auftreten von OHSS sondern sogar direkt mit dem Grad der Erkrankung. Er besitzt die Fähigkeit die Permeabilität von Endothelzellen zu erhöhen, woraus sich eine Flüssigkeitsverschiebung aus dem intravaskulären Raum in den EZR ergibt.
[Bearbeiten] Prävention
Das ovarielle Hyperstimulationssyndrom tritt nach der Ovulation beziehungsweise Punktion auf und ist nicht kausal, sondern lediglich symptomorientiert zu behandeln. Die Möglichkeit zur Vermeidung eines OHSS ist also nur in der Follikel stimulierenden Phase gegeben. Somit gilt es vor allem die Risikofaktoren zu erkennen um eventuell Präventivmaßnahmen setzen zu können. Bei Risikopatientinnen sollte mit niedrigen Dosierungen von hMG begonnen werden und nur geringfügige Erhöhungen der Dosen erfolgen.
Wird ein E2-Wert über 3000 pg/ml gemessen, kann man durch so genanntes Coasting versuchen, den Zyklus vor dem Abbruch zu retten, wobei die Follikel bereits einen Durchmesser von 15 bis 18 mm erreicht haben sollten. Beim Coasting wird die Stimulation ausgesetzt und unter fortgeführter Down Regulation abgewartet bis der E2-Wert unter 3000pg/ml fällt.
[Bearbeiten] Therapie
Geringgradige Formen von OHSS können zumeist ambulant behandelt werden:
- Blutabnahme und Status
- Flüssigkeitszufuhr (Elektrolytgetränke)
- Gewichtskontrolle
- kein hCG als Lutealsupport, sondern z.B. Duphaston 10mg 2x1, Progesteron 0.4 Supp 1x1
- Überstellung zur IVF-Ambulanz
Mittelgradige bis hin zur lebensbedrohlicher Form des OHSS müssen stationär behandelt werden:
- Bettruhe
- Gewichtskontrolle (möglicher Aszites)
- Bauchumfangmessung
- tägliche Flüssigkeitsbilanz
- tägliche Gabe von Lovenox
- Medikation für Lutealphasensupport
- 2x1000ml NaCl i.v. (täglich)
- Bei Hämatokrit <40%: 2x20mg Lasix / Tag
- Bei Hämatokrit >41%: Lasixperfusor mit Dosierung 2mg/h 40mg Lasix ad 50ml-Perfusor; 2ml/h)
- Bei Hämatokrit >46%: 2x250ml Mannit 20%ig / Tag
- Aszitespunktion
[Bearbeiten] Literatur
- Golan A, Ron-El R, Herman A, Weinraub Z, Soffer Y, Caspi E.: "Ovarian hyperstimulation syndrome: an update syndrome Obstet Gynecol Surv." 1989
- Navot D, Bergh PA, Laufer N.: "Ovarian hyperstimulation syndrome in novel reproductive technologies: prevention and treatment" 1992
- Rizk B, Aboulghar M.: "Classification, pathophysiology and management of ovarian hyperstimulation syndrome."
- In "Brindsen, P.(Hrsg) In-vitro fertilization and assisted reproduction."
- The Parthenon Publishing Group, New York, London