Klausel (Schlusswendung)
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Eine Klausel (lat./ital. clausula, manchmal auch Kadenz (lat. cadentia, von cadere = fallen)) ist in der Musik eine formelhafte Schlusswendung in mehrstimmigen Liedern oder Instrumentalstücken. Historisch gesehen sind die Bezeichnungen Klausel und Kadenz gleichbedeutend, doch hat man sich, um Missverständnissen vorzubeugen, weitgehend darauf geeinigt, die Schlusswendung einer einzelnen Stimme als Klausel, den Gesamtkomplex eines mehrstimmigen Liedschlusses als Kadenzen zu bezeichnen.
Klauseln sind bestimmte Tonabfolgen in der Mitte oder am Ende eines Musikstückes, die im Laufe der Zeit durch häufige Verwendung zu feststehenden Formeln geworden sind. Diese Standardisierung der Abschlüsse setzte zwischen dem 13. Jahrhundert und dem 15. Jahrhundert ein. Maßgeblich für eine Klausel sind dabei die letzten zwei bis drei Töne einer Stimme, lateinisch als Ultima (die letzte), Paenultima (die fast letzte) und Antepaenultima (vor der fast letzten) bezeichnet.
Zu Beginn der Mehrstimmigkeit in der Vokalmusik in Europa - also im mittleren bis späten Mittelalter - wurden einzig die Quarte, die Quinte und die Oktave als konsonante Intervalle angesehen. Zwar durften sich die einzelnen Stimmen unabhängig voneinander auch in dissonanten Abständen bewegen, doch wichtige Fixtöne wie beispielsweise der Schlusston mussten konsonant gesetzt werden, da nur dies als korrekter Liedschluss erlaubt war. Der Schlussakkord kann aber in den einzelnen Stimmen auf verschiedenen Wegen erreicht werden.
Die wohl früheste Art einer Klausel ist die Konsonanzbildung durch Verschiebung der Melodien zweier Stimmen in entgegengesetzte Richtungen, beispielsweise von der Terz zum Einklang oder zur Quinte oder von der Sexte zur Oktave. Auch durch Parallelverschiebung von Quint-(Oktav-)Akkorden oder Tonwiederholungen in einer Stimme kann der gewünschte Ultima-Akkord erreicht werden. Eine Erweiterung eines zweistimmigen zu einem dreistimmigen Schluss erfolgt meistens durch Quint-, manchmal auch durch Oktavverdoppelungen einer Stimme. Die so genannte Parallelkadenz, also die Schlussbildung durch Verdoppelung eines Sext-Oktav-Gerüstes durch Unterquarten, ist die einzige der dreistimmigen Schlussbildungen, die bis in das 16. Jahrhundert überlebt, da in der Mitte des 14. Jahrhunderts die Intervallfolgen Terz-Einklang bzw. Sexte-Oktave mit dem geänderten Harmonieverständnis und dem häufig beobachtbaren Vorziehen des Sekunde-Intervalls nahezu verpflichtend werden und so viele andere Schlusswendungen allmählich verschwinden. Auch das "Verbot" der parallelen Quint- bzw. Oktavverschiebung trägt zur neuen Vorrangstellung der Parallelkadenz bei.
Später wurde die Parallelkadenz häufig als Doppelleittonkadenz ausgeführt, das heißt, dass hier sowohl die Ober- als auch die Mittelstimme ihre Schlusstöne mit jeweils einem Halbton - dem Leitton - erreichen. Manchmal musste dafür die Paenultima erhöht werden, um den Halbtonanschluss herzustellen. Aus der Doppelleittonkadenz entwickelte sich durch "Zwischenschalten" einer Unterterz zwischen Ultima und Paenultima die sogenannte Unterterzklausel (manchmal auch Landinoklausel, wahrscheinlich in der Annahme, dass Francesco Landino diese Art der Schlusswendung erfunden habe).
Durch die ständige Weiterentwicklung der Musik bilder sich zur zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts ein gewisses Repertoire an drei- und vierstimmigen Klauseln heraus, wobei die Doppelleittonkadenz immer mehr an Bedeutung verliert. Diese Grundauswahl an Klauseln bzw. Kadenzen bleibt bis gegen 1600 bestehen.
Während im Mittelalter die verschiedenen Gesangsstimmen noch alle in der Tenorlage gesungen wurden und auch Stimmüberkreuzungen keine Seltenheit waren, begann man Ende des 15. Jahrhunderts damit, die verschiedenen Stimmen eigenen Stimmlagen zuzuordnen und somit zu "sortieren". Als Hauptstimmen wurden hier der Tenor und der Cantus (auch Discantus, heute Sopran) gewählt, die durch den Contratenor bassus (heute Bass), der sich unterhalb des Tenors befindet, und den Contratenor altus (heute Alt) zwischen Tenor und Cantus ergänzt wurden. Den Stimmlagen wurden anschließend bestimmte Klauseln, die in diesen aufgrund der Stimmführungsregeln des Kontrapunkt besonders häufig auftraten, als "typisch" zugeordnet. So wurde die nach oben gerichtete Sekundbewegung von nun an als Diskantklausel oder Sopranklausel (clausula discantus), die nach unten gerichtete Sekundbewegung als Tenorklausel (formula tenoris) bezeichnet. Die Bassklausel besteht aus einem (auch später weit verbreiteten) Quintfall oder Quartsprung. Der Alt hat als einzige Stimme keine "eigene" Klausel, je nach Stimm- und Melodieführung kann sich für ihn eine Tonwiederholung, ein Terzfall oder auch ein Sekundsprung, also ein zum Sopran parallel verschobener Schluss ergeben.
Diese Zuordnung schloss natürlich die Verwendung anderer Schlusswendung oder auch den Austausch von Klauseln, also die Verwendung einer für eine Stimme spezifischen Klausel in einer anderen Stimme, nicht aus.
Die Klauselbildung war noch lange Zeit bedeutend in der Komposition mehrstimmiger Musikstücke; erst Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die Verwendung von Klauseln und Kadenzen reduziert, bis sie im 20. Jahrhundert in der Atonalität zum Beispiel bei Arnold Schönberg vollständig verschwand.