Kleider machen Leute
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In der Novelle Kleider machen Leute von Gottfried Keller aus dem Jahr 1866 geht es um einen armen Schneider, der wegen seines gepflegten Aussehens für einen Grafen gehalten wird und sich in eine angesehene Frau verliebt, die ihm nach seiner Entlarvung trotz des Standesunterschiedes treu bleibt.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Name
Kleider machen Leute ist als Redensart fest im Deutschen verankert. Der Effekt, dass gepflegte Kleidung den Träger einflussreicher, erfolgreicher und wichtiger erscheinen lässt und so zu einer bevorzugten Behandlung durch andere führt, scheint zeitlos und noch heute aktuell zu sein. In seinen Wurzeln geht die Redensart wohl auf den Römischen Rhetoriklehrer Quintilian zurück, der seinen Schülern ans Herz legte: „vestis virum reddit“[1], wörtlich: Die Kleidung macht den Mann'.[2]
[Bearbeiten] Inhaltsangabe
Der Schneider Wenzel Strapinski ist auf dem Weg nach Goldach, weil er wegen des Bankrotts eines Seldwyler Schneidermeisters seine Arbeit verloren hat. Unterwegs begegnet ihm eine Kutsche, welche aussieht wie die eines Grafen. Der Kutscher fragt Wenzel, ob er mitfahren möchte. Er nimmt das Angebot dankbar an. In Goldach angekommen, geht er in das Gasthaus "Zur Waage". Der Gastwirt gibt ihm sein bestes Zimmer, eine warme Mahlzeit und bewirtet ihn, mit dem Besten, was er hat.
Der Kutscher erlaubt sich einen Spaß und verbreitet, der arme Schneider sei Graf Strapinski. Zufälligerweise heißt er Strapinski. Er erwägt, seine wahre Identität preiszugeben, kann sich aber nicht dazu durchringen. In den folgenden Tagen trifft er mit gehobenen Personen des Ortes zusammen und gewinnt in einer Lotterie eine größere Summe Geld. Er wird Nettchen, der Tochter des Amtsrates, vorgestellt, die ihm sehr gefällt. Wenzel beschließt, abzureisen und seine Schulden aus der Ferne zu begleichen, tut es dann aber nicht, da er sich in Nettchen verliebt.
Nettchen verliebt sich auch in Strapinski. Sie beschließen, sich zu verloben. Der Amtsrat ist glücklich, weil Strapinski nicht nur seiner Tochter, sondern als vermeintlicher Graf auch ihm selbst zusagt. Für die Verlobungsfeier und Hochzeitsgeschenke gibt Strapinski sein ganzes gewonnenes Geld aus. Doch während der Feier tauchen plötzlich die Leute aus Seldwyla auf (auf Veranlassung Melchior Böhnis, ein weiterer Verehrer Nettchens) und seine Rolle als Graf fliegt auf. Beschämt entfernt er sich von der Gesellschaft. Nettchen kann die Blicke der Leute nicht mehr aushalten, nimmt Strapinskis Mütze und Handschuhe, springt auf ihre Kutsche und fährt weg. Ohne darüber nachzudenken, fährt sie Strapinski hinterher, weil sie große Angst um ihn hat. Strapinski läuft währenddessen ohne Mütze und Handschuhe durch die kalte Nacht. Als er nicht mehr kann, bleibt er im Schnee liegen. Nettchen findet ihn und befürchtet, dass er erfroren sei. Doch er lebt noch, sie gibt ihm seine Sachen und dann fahren sie gemeinsam in ein benachbartes Bauernhaus. Dort erzählt Strapinski ihr die ganze Wahrheit. Sie gehen gemeinsam nach Seldwyla, wo die Bewohner sich hinter die beiden stellen und verhindern, dass Nettchens Vater sie wieder nach Hause holt. Ein herbeigerufener Anwalt stellt fest, dass Strapinski niemals selbst behauptet hatte, dass er ein Graf sei, sondern nur der Kutscher. Und auch sonst war Strapinski äußerst redlich und hatte keinen schlechten Ruf gehabt, wohin auch immer er auf seinen Fahrten bereits kam.
Noch immer möchte Nettchen Strapinski heiraten. Der Amtsrat möchte ihr die Heirat zwar ausreden, aber sie heiraten dennoch. Da Nettchen bereits achtzehn ist, bekommt sie das Geld, das ihre Mutter ihr vererbt hat. Sie ziehen nach Seldwyla, wo Strapinski ein erfolgreicher Geschäftsmann wird. Sie versöhnen sich bald mit dem Amtsrat und vergrößern mit seiner Hilfe das Vermögen weiter. Nach zehn oder zwölf Jahren jedoch ziehen sie, mit ebenso vielen Kindern, wieder nach Goldach zurück, wo sie ein hohes Ansehen genießen.
[Bearbeiten] Semiotische Leseweise
Besonderes Augenmerk ist auf die unter der Erzähloberfläche verborgene Auseinandersetzung mit Zeichenhaftigkeit (Semiotik = Lehre der Zeichen) zu legen. Keller spielt mit "Sinnbildern" die nicht das aussagen, für das sie stehen (z.B. die Sinnbilder der Häuser oder der Schlitten, Wenzels Verhalten und Kleidung). Es handelt sich um Zeichen oder Allegorien, die fehlgegangen sind. Dem Zeichen fehlt der zugehörige Referent, dem Signifikanten das Signifikat. Bei genauer Leseweise wimmelt der Text geradezu von Hinweisen auf eine solche Interpretation. Dabei wird in Wenzel alles mögliche hineininterpretiert, sein gesamtes Verhalten wird als zeichenhaft angesehen und (fehl-)interpretiert.
Die Frage, die sich immer wieder stellt: Was macht denn nun einen Menschen zum Grafen? Diese Frage nach der Ontologie von sozialen Tatsachen kann mit J. R. Searle folgendermaßen beantwortet werden: durch eine gemeinsame Übereinkunft wird ein (sozialer) Status verliehen. Diese Deutung trifft auch auf arbiträre (= nicht-motivierte) Zeichen zu. Aufgrund von Konventionen werden unsere Zeichen (Schrift, Erröten, Titel, Verlobungsring etc.) bedeutsam.
[Bearbeiten] Literatur
- Poppe, Reiner: Gottfried Keller: Kleider machen Leute. Königs Erläuterungen und Materialien (Bd. 184). Hollfeld: Bange Verlag 2005. ISBN 978-3-8044-1721-2
[Bearbeiten] Weblinks
- Vollständiger Text beim Projekt Gutenberg
- Hörbuch auf librivox (MP3-Format), gelesen von Stefan Schmelz
[Bearbeiten] Quellen
- ↑ Quintilian: Institutio oratoria VIII, 5
- ↑ gottfriedkeller.ch: Kleiner machen Leute, Text nebst Kommentar