Lebensansichten des Katers Murr
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Lebensansichten des Kater Murr nebst fragmentarischer Biographie des Kapellmeisters Johannes Kreisler in zufälligen Makulaturblättern ist ein satirischer Roman von E.T.A. Hoffmann, der in zwei Bänden 1819 und 1821 erschien.
Hoffmanns Kater Murr, dessen Protagonist die im Titel erwähnte Katze ist, ist eine Parodie des Künstler- wie auch des Entwicklungsromanes, die, noch darüber hinausgreifend, zu einem mannigfach gebrochenen satirischen Gesellschaftsroman gelangt. Der Roman enthält schon im Aufbau Anklänge an Wilhelm Meisters Lehrjahre von Goethe, aber auch an Nicolais Leben und Meinungen des Herrn Magisters Sebaldus Nothanker und selbstverständlich an Tiecks Der gestiefelte Kater.
Bereits im Vorwort des Romanes führt sich Hoffmann selbst als Herausgeber ein, der »den Kater Murr persönlich kennengelernt und in ihm einen Mann von angenehm milden Sitten [...]« (9) vorgefunden zu haben angibt. Schon hierin – es folgt ein zweimalig ansetzendes »Vorwort« des Katers, dem noch einmal ein Nachsatz des Herausgebers angehängt ist – kennzeichnet Hoffmann das dann Folgende als Satire: Nicht nur, dass die Aufzeichnungen eines Katers vorliegen und auch einen Herausgeber finden, der Kater wird auch als »Mann« und zudem als einer mit »milden Sitten« über das zu Erwartende hinaus vermenschlicht.
Die so bereits gebotene Verfremdung bleibt jedoch nicht die einzige ihrer Art. Kompositorisches Grundkonzept des Romanes ist es, die Lebensansichten eines Katers mit der Biographie eines Kapellmeisters namens Johannes Kreisler immer wieder zu unterbrechen. Während Murrs Geschichte gerade einmal ein Drittel des Platzes einnimmt, weitet sich diese auf die übrigen zwei Drittel aus. Doch trotz des beanspruchten Platzes bleibt das überaus verwickelte Schicksal des Kapellmeisters nur halbweg durchsichtig, während die von Hybris strotzenden »Lebensansichten« des Katers in ihrer manchmal bis zur Banalität reichenden Einfachheit relativ konsistent dargeboten werden.
Während so die Biographie des Katers als eine Persiflage der bürgerlichen Bildungsidee und des Geniegedankens der Klassik aufbereitet wird, geht der Künstlerroman des Kapellmeisters, der, so die Fiktion, nur zufällig beigebunden wurde, da der Kater auf dessen Blättern seine Berichte verfasste, unter. Lediglich in den beigebundenen Fragmenten enthüllt sich dessen Schicksal als ein gesellschaftliches Scheitern. Am Hofe eines Duodezfürsten, der ebenfalls als Figur schon darin gebrochen erscheint, dass er seine Hofhaltung und seine Apanage nur noch zum Schein aufrecht erhält, gerät Kreisler zwischen zwei Frauen, gerät zwischen Liebe und Leidenschaft, scheitert aber weniger an dieser Antinomie als den gesellschaftlichen Zwängen.
[Bearbeiten] Ausgaben
- E.T.A. Hoffmann, Sämtliche poetischen Werke; hg. v. Hannsludwig Geiger, Bd. 3: Kater Murr, 1963
- Hoffmanns Werke in drei Bänden, hg. v. Gerhard Schneider, Bd. 3: Lebensansichten des Katers Murr; Berlin u. Weimar (Aufbau) 1982 (hiernach zitiert)
- E.T.A. Hoffmann, Sämtliche Werke, 6 Bde., Bd. 5: Lebensansichten des Katers Murr. Werke 1820-1821; Frankfurt am Main (Dt. Klassiker) 1992 (ISBN 3618608950)
- E. T. A. Hoffmann, Lebensansichten des Katers Murr nebst fragmentarischer Biographie des Kapellmeisters Johannes Kreisler in zufälligen Makulaturblättern. Mit 103 Zeichnungen von Josef Hegenbarth. Eugen Diederichs Verlag Düsseldorf-Köln 1968
[Bearbeiten] Literatur
- Stefan Diebitz, Versuch über die integrale Einheit der Lebens-Ansichten des Kater Murr; in: Mitteilungen der E.T.A. Hoffmann-Gesellschaft 31 (1985), 30-39
- Lutz Hermann Görgens, Die Haustiere des Kapellmeisters. Untersuchung zum Phantastischen im literarischen Werk E.T.A. Hoffmanns; Diss, Tübingen 1985, insb. 73-130
- Werner Keil, Erzähltechnische Kunststücke in E.T.A. Hoffmanns Roman Lebens-Ansichten des Katers Murr; in: Mitteilungen der E.T.A. Hoffmann-Gesellschaft 31 (1985), 40-52
- Sarah Kofman, Schreiben wie eine Katze. Zu E.T.A. Hoffmanns »Lebens-Ansichten des Katers Murr«; Graz u.a. 1985
- Heinz Loevenich, Einheit und Symbolik des Kater Murr. Zur Einführung in Hoffmanns Roman; in: Der Deutschunterricht 16 (1964), 72-86
- Hans von Müller, Die Entstehung des Murr-Kreisler Werkes unter Berücksichtigung der sonstigen literarischen Produktion Hoffmanns in den Jahren 1818-1822; in: ders., Gesammelte Aufsätze über E.T.A. Hoffmann, hg. v. Friedrich Schnapp, Hildesheim 1974, 331-380
- Dietrich Raff, Ich-Bewußtsein und Wirklichkeitsauffassung bei E.T.A. Hoffmann. Eine Untersuchung der »Elixiere des Teufels« und des »Kater Murr«; Diss., Tübingen 1971
- Robert S. Rosen, E.T.A. Hoffmanns »Kater Murr«. Aufbauformen und Erzählsituationen; Bonn 1970
- Steven Paul Scher, »Kater Murr« und »Tristram Shandy«. Erzähltechnische Affinitäten bei Hoffmann und Sterne; in: ZfdPh 94 (1976), 24-42
- Ute Späth, Gebrochene Identität. Stilistische Untersuchungen zum Parallelismus in E.T.A. Hoffmanns »Lebens-Ansichten des Katers Murr«; Diss., Göppingen 1970