Liber Extra
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Der Liber Extra (Dekretalen Gregors IX.) ist eine große Dekretalensammlung von Papst Gregor IX. (Codex Gregorianus, 1234).
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[Bearbeiten] Verfasser
Verfasser ist Kardinal Raymund von Peñaforte (früherer Magister von Bologna) im Auftrag Gregors IX. (1227–1241). Peñaforte wurde 1230 mit dieser Arbeit betraut und vollendete sie innerhalb von vier Jahren. Am 5. September 1234 wurde sie mit der Bulle Rex Pacificus als offizielle Gesetzessammlung promulgiert und den Universitäten von Bologna und Paris zugesandt. Der Liber Extra musste verfasst werden, weil die Quinque Compilationes Antiquae weder vollständig noch frei von Fehlern und Irrtümern waren. Zudem existierten zahlreiche andere Sammlungen.
[Bearbeiten] Bearbeitungsmethode von Peñaforte
Peñaforte sichtete das in den Quinque Compilationes Antiquae enthaltene Material und ordnete es neu, wobei Widersprüche durch Interpolationen und Korrekturen beseitigt wurden und überflüssige oder nutzlose Teile wegfielen, um sie dem geltenden Recht anzupassen. Die Tatbestände ließ er weg, was aber zu Konfusionen führte (jene Stücke der aufgenommenen Texte, die er für überflüssig hielt, ließ er weg und kennzeichnete dies mit den Worten et infra). In späteren Ausgaben wurden sie aber wieder von Le Conte eingefügt, indem die Compilationes Antiquae konsultiert wurden.
Jedes Kapitel hat eine eigene Überschrift (inscriptio), welche die Herkunft angibt und eine erst später beigefügte Inhaltsangabe (summarium).
[Bearbeiten] Inhalt
Aus den alten Kompilationen wurden 383 Dekretalen ausgelassen. Dafür wurden 7 Dekretalen des Papstes Innozenz III. sowie 195 Dekretalen Gregors IX. eingefügt. Er erließ auch neue Dekretalen zum Zwecke der Klärung und Verbesserung des Rechts. Die Arbeit ist in 5 Bücher eingeteilt und nach Titeln geordnet, d. h. während der Aufbau systematisch ist, sind die einzelnen Quellenstellen (Kapitel) chronologisch, beginnend mit den ältesten Texten, geordnet.
[Bearbeiten] Bedeutung
Der Liber Extra war für die Entwicklung des kanonischen Rechts von überragender Bedeutung. Er gilt nach dem Decretum Gratiani als bis dahin bedeutendste Sammlung päpstlicher Dekretalen. Er trat an die Stelle der alten fünf Kompilationen und erhielt Gesetzeskraft, und zwar als ein einheitliches Gesetzbuch. Die darin enthaltenen Quellen, gleichgültig aus welcher Zeit sie stammten und in welcher Form (abgeändert oder original) oder ob sie echte oder ursprünglich gefälschte Quellen waren oder bloß Partikularrecht ausdrückten, wurden zum universalen Recht der Kirche. Wegen seiner großen Verbreitung in ganz Europa wirkte der Liber Extra normativ auf das Rechtsverständnis späterer Generationen.
[Bearbeiten] Das Verhältnis zu anderen Rechtsquellen
- Alle allgemeinen Gesetze, die dieser Kompilation entgegenstanden, wurden außer Kraft gesetzt.
- Alle allgemeinen Gesetze, die nach der Verfassung des Gratianischen Dekrets erflossen waren und nicht in die neue Sammlung aufgenommen wurden, waren abgeschafft, auch wenn sie nicht den Grundsätzen der neuen Kompilation entgegenstanden.
- Die im Gratianischen Dekret enthaltenen oder darin nicht enthaltenen älteren Normen waren nicht abgeschafft, sofern sie nicht den Bestimmungen der neuen Kompilation entgegenstanden.
- Partikularrecht, gleichgültig aus welcher Zeit stammend, war nicht abgeschafft, sofern es nicht gegen allgemeine Normen der neuen Kompilation verstieß.
[Bearbeiten] Rechtsverbindlichkeit
Von den einzelnen Kapiteln hat nur der dispositive (normschaffende) Teil Rechtsverbindlichkeit. Die Rechtsverbindlichkeit erstreckt sich aber nur auf den Quellentext, wie er sich in der neuen Kompilation findet, ohne Rücksicht auf historischen Ursprung oder Wortlaut in anderen Sammlungen (alle Teile des Liber Extra wurden gleichzeitig promulgiert, so dass es keinen zeitlichen Vorrang der Dekretale vor einer anderen gab). Die Titelrubriken haben Verbindlichkeit, sofern sie vollständig oder sinngemäß einen Rechtssatz ausdrücken. Summarien und Inskriptionen hatten keine Gesetzeskraft.
Die von Peñaforte eingeführten Kapitelüberschriften, die sich auf den erzählenden Teil der Quellentexte beziehen, sind ohne Gesetzeskraft. Die Kompilation war in dem Sinne ausschließlich, dass sie alles entgegenstehende universale Recht aufhob und für das geltende, nach dem Dekret Gratians erlassene universale Recht keine andere formale Quelle zuließ. So hat das Werk weniger den Charakter einer Kompilation als einer Kodifikation (des ius novum), deren Teile gleiche Autorität besassen. Somit ist sie eine offizielle, authetische, einheitliche, universale und ausschließliche Sammlung mit allen Konsequenzen hieraus.
[Bearbeiten] Bezeichnung
Die päpstliche Bulle und Peñaforte sprechen von einer Compilatio. Man nannte sie Codex Gregorianus oder Liber Sextus, im Anschluss an die 5 älteren Kompilationen. Sie wurde auch als Compilatio nova im Gegensatz zur Quinque Compilationes Antiquae bezeichnet. Er wurde auch als Liber Extravagantium bezeichnet. Die allgemeinste Bezeichnung wurde Liber Extra (Liber Decretalium extra Decretum Gratiani vagantium) oder moderner: Dekretalen Gregors IX. Ganz kurz auch nur Extra.
[Bearbeiten] Zitierweise
X.Buch.Titel.Kapitel
z.B. X.3.34.9 steht für das dritte Buch, den 34. Titel (de voto), das 9. Kapitel
[Bearbeiten] Geschichtlich
Sie fand weiteste Verbreitung, wozu ihr amtlicher Charakter wesentlich beitrug. Es finden sich heute noch mehr als 1000 Handschriften. Die erste gedruckte Ausgabe wurde in Strassburg (ca. 1468) gedruckt.
[Bearbeiten] Dekretalisten zum Liber Extra
Bernard von Botone, Tancred, Sinibald von Fiesco (der spätere Papst Innozenz IV.)
[Bearbeiten] Quellen
- Geschichte des Kirchenrechts (neueste Auflage): Willibald Plöchl
- Theologisches Realenzyklopädie: Kirchenrechtsquellen I: Georg May
- Kirchenrecht, 5. Auflage, 1983: Adalbert Erler
- Lehrbuch des Kirchenrechts, I. Band, 6. Aufl., 1951: Eichmann/ Mörsdorf
- Grundzüge des Katholischen Kirchenrechts, 1. Teil, 1924: Johann B. Haring
- Lehrbuch des katholischen Kirchenrechts, I. Band, 1914: Johannes Sägmüller
- Grundriss des Katholischen Kirchenrechts, 1950: Godehard Ebers
- Kirchliche Rechtsgeschichte, 4. Auflage, 1964: Hans Erich Feine