NYC Nr. 999
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NYC Nr. 999 | |
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Bauart | 2'B n2 |
Länge | ca. 17 m |
Ø Treibrad | 2.184 mm |
Ø vorderes Laufrad | 1.016 mm |
Leistung | ca. 2.200 PSi |
Höchstgeschwindigkeit | 181 km/h (?) |
Kesselüberdruck | 131,5 N/cm² |
Zylinderdurchmesser | 483 mm |
Kolbenhub | 610 mm |
Rostfläche | 2,85 m² |
Verdampfungsheizfläche | 177,5 m² |
Achslast | 187 kN |
Lokreibungslast | 375 kN |
Lokdienstlast | 551 kN |
Die Dampflokomotive Nr. 999 der New York Central & Hudson River Railroad war die erste Lokomotive der Welt und überhaupt das erste von Menschenhand gebaute Fahrzeug, das eine Geschwindigkeit von 100 mph (161 km/h) überschritten hat.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Entstehung
Im Jahr 1891 wurde auf der 702 km langen Strecke zwischen New York City und Buffalo ein neuer Zug eingeführt, der Empire State Express. Um für den Zug zu werben und um die konkurrierende Pennsylvania Railroad zu schlagen, sollte mit dem Zug eine Rekordfahrt durchgeführt werden. Geplant war die Überschreitung der "magischen" 100-mph-Grenze (161 km/h). Diese Geschwindigkeit lag um etwa ein Drittel über der normalen Höchstgeschwindigkeit des Zuges und war mangels Erfahrungen in diesem Geschwindigkeitsbereich ein gewagtes Vorhaben.
Unter der Leitung des Ingenieurs William Buchanan, dem Chefkonstrukteur der New York Central, entstand speziell für diese Rekordfahrt eine besonders schnelle Lokomotive.
[Bearbeiten] Technik
Die Konstruktion der neuen Lokomotive bereitete wenig Probleme, denn sie basierte auf den vorhandenen Lokomotiven der Klasse I. Schon diese galten als sehr schnelle Lokomotiven, und eine von ihnen war zumindest gerüchteweise schon einmal den 100 mph sehr nahe gekommen. Es waren Lokomotiven mit der Achsfolge 2'B ("American"), damals in Amerika die selbstverständliche Bauart für Schnellzuglokomotiven.
Für die Rekordlokomotive wurde der Treibraddurchmesser von 1981 mm auf 2184 mm (86 Zoll) vergrößert – die größten Treibräder, die jemals eine 2'B-Lokomotive erhalten hat – ebenso der Durchmesser der Laufräder von Lokomotive und Tender. Mit diesen Maßnahmen sollten die Drehzahlen und damit die Beanspruchung von Lagern und Triebwerk bei der geplanten hohen Geschwindigkeit reduziert werden. Erstmals wurden nicht nur die Treibräder gebremst, sondern auch die Räder des Drehgestells, um auch bei hohen Geschwindigkeiten eine wirksame Abbremsung zu gewährleisten.
Weil die Zylinderabmessungen gegenüber der Klasse I unverändert blieben, erhöhte Buchanan den Kesseldruck von 12,4 auf 13,1 bar, damit die Zugkraft trotz der größeren Treibräder nicht zu sehr absank.
Der Kessel war in der "Wagon Top"-Bauart ausgeführt, d. h. er wies im Bereich des Stehkessels einen deutlich größeren Durchmesser auf. Die Feuerbüchse war mit einer "Water Table" ausgestattet, eine quer eingebaute, nach vorne geneigte flache Wasserkammer, die die Heizfläche deutlich vergrößerte. Die Steuerung war eine innenliegende Stephenson-Steuerung mit Flachschiebern, wie sie zu dieser Zeit in den USA fast ausnahmslos verwendet wurde.
Der Tender war mit einer Wasserschöpfvorrichtung versehen, mit der während der Fahrt Wasser aus zwischen den Schienen angebrachten Trögen aufgenommen werden konnte (siehe Bild).
[Bearbeiten] Die Rekordfahrt
Im April 1893 wurde die Lokomotive fertiggestellt. Zuerst war die Nummer 1000 vorgesehen, doch man entschied sich schließlich für die einprägsamere Nummer 999. Unter Geheimhaltung, um die Konkurrenz nicht vorzuwarnen, wurden die ersten Testfahrten durchgeführt. Alles verlief zufriedenstellend, so dass man die Geschwindigkeit immer mehr steigerte. Am 9. Mai 1893 wurden die 161 km/h erstmals knapp überschritten.
Am darauffolgenden Tag, dem 10. Mai 1893 fand die offizielle Rekordfahrt statt. Der Zug bestand wie üblich aus vier sechsachsigen Schnellzugwagen, von denen jeder etwa 40 Tonnen wog. Außer den Passagieren befanden sich einige Offizielle an Bord, die die Geschwindigkeit mit Hilfe von Stoppuhren überwachen sollten. Messwagen gab es damals noch nicht.
Die Fahrt führte von der Lokwechselstation Syracuse nach Buffalo, was etwa das letzte Drittel der Gesamtstrecke war. Etwa 60 km vor Buffalo hatte man ein 23 km langes Stück der Strecke besonders sorgfältig hergerichtet und kontrolliert, und die Aufsichtsbehörde hatte die Geschwindigkeitsbegrenzung für diesen Abschnitt aufgehoben. Das Gefälle betrug etwa 3 ‰.
Mit den Stoppuhren wurden auf diesem Abschnitt Zeiten zwischen 31 und 32 Sekunden pro Meile gemessen, letzterer Wert entspricht 112,5 mph (181 km/h), ersterer sogar 116,1 mph oder 187 km/h. Eine Rechnung ergibt, dass die Lokomotive für diese Fahrt eine Leistung von etwa 2200 PS (1600 kW) aufbringen musste, wozu sie aufgrund ihrer Heizfläche nur für kurze Zeit imstande gewesen sein kann.
Mit dieser Leistung blieb die Nr. 999 die schnellste 2'B-Lokomotive aller Zeiten; nur wenige Jahre später entstand die Bauart Atlantic (2'B1), die die American-Lokomotiven vor den schnellsten Zügen verdrängte.
In einer Zeit, in der das Automobil gerade erst erfunden worden war, es noch keine Flugzeuge gab und elektrische Schienenfahrzeuge allenfalls als Straßenbahn- und Nahverkehrstriebwagen existierten, erregte die Schnellfahrt weltweites Aufsehen, und der gewünschte Werbeeffekt übertraf alle Erwartungen. Im Anschluss an die Rekordfahrt wurde die Lokomotive auf der World Columbian Exposition, der Weltausstellung in Chicago ausgestellt und wurde zu einer der bekanntesten Lokomotiven überhaupt. Sogar eine Briefmarke mit einer Abbildung der Nr. 999 wurde herausgegeben.
(siehe auch Geschwindigkeitsweltrekorde für Schienenfahrzeuge)
[Bearbeiten] Betriebseinsatz und Umbauten
Nach dem Ende der Weltausstellung wurde die 999 im normalen Plandienst eingesetzt, hier zeigten sich jedoch Schwächen in der Anfahrzugkraft, welche durch die großen Treibräder bedingt waren. Für leichtere Züge, die sie problemlos in Gang setzen konnte, war die Lokomotive jedoch zu groß und damit unwirtschaftlich.
Bis 1899 wurde die 999 noch vor dem Empire State Express und anderen prominenten Zügen eingesetzt. Dann wurde sie jedoch einem radikalen Umbau unterzogen, indem man sie mit nur 1778 mm messenden Treibrädern versah, was auch einen neuen Rahmen erforderte. Auch die Laufräder wurden auf das übliche Maß von 914 mm verkleinert, und der Kesseldruck wurde auf 12,4 bar reduziert. Der Tender wurde durch ein moderneres Modell ersetzt, und die Klassenbezeichnung wurde von N in C-14 geändert.
1906 erfolgte ein weiterer Umbau, bei dem der Kessel ersetzt wurde. Später wurde das Holzführerhaus durch eines aus Blech ersetzt, und schließlich wurde die Lokomotive bei einer Änderung des Nummernsystems von 999 in 1086 umgezeichnet. In dieser Form lief sie noch bis 1924 auf einer Nebenstrecke in Pennsylvania.
Beinahe wäre die Lokomotive verschrottet worden, doch im letzten Moment erkannte jemand ihre Identität, und die Maschine wurde für ein Museum hergerichtet, wobei sie auch wieder einen alten Tender erhielt. Die Lokomotive selbst konnte jedoch nur noch farblich an das Original angeglichen werden, denn bis auf wenige Einzelteile war von der Rekordlokomotive nichts mehr vorhanden, und die ursprünglichen Proportionen sind wegen der kleineren Räder stark verändert.
Heute steht die Lokomotive im Museum of Science and Industry in Chicago.
[Bearbeiten] Literatur
- Wilhelm Reuter: Rekordlokomotiven. Motorbuch Verlag Stuttgart ISBN 3-87943-582-0