Politikverflechtung
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Politikverflechtung ist ein von Fritz W. Scharpf geprägter politikwissenschaftlicher Begriff zur Beschreibung des Umstands, dass neben den formalen und in der Regel hierarchischen Beziehungen zwischen den föderalen politisch-administrativen Institutionen Bund, Länder und Kommunen informelle Formen der horizontalen (zwischen Ländern oder zwischen Kommunen) und vertikalen Kooperation (zwischen Bund und Ländern) zur Abstimmung von Entscheidungen zu beobachten sind. Gesetze des Bundestages, die aus rechtlichen Gründen der Zustimmung des Bundesrats bedürfen, fördern die Politikverflechtung. Die zunehmende Bedeutung der EU in den Bereichen der deutschen Politikverflechtung wie z.B. wettbewerbsrechtliche Vorgaben, EU-Strukturpolitik und die Mitfinanzierungsangebote, erzeugen eine komplexe Mehrebenenverflechtung. Hier wird auch von der doppelten Politikverflechtung gesprochen.
Die Politikverflechtung äußert sich im politischen System der BRD u.a. in folgender Logik: Während im Bundestag und im Bundesrat Verhandlungen stattfinden, bei denen jeweils die Interessen der Gebietskörperschaften im Gesetzgebungsverfahren im Vordergrund stehen (Länderinteressen und die Unitarisierungsinteressen des Bundes), sind in beiden Kammern zugleich Parteiinteressen und Parteienwettbewerb zu beobachten. Initiativen der Bundesregierung oder der Mehrheitsfraktion im Bundestag werden daher von der Opposition vielfach blockiert, obwohl im Bundesrat explizit nicht nach Parteiinteressen entschieden werden sollte. Populärwissenschaftlich wird diese Blockade häufig fälschlicherweise mit dem Begriff der "Politikverflechtungsfalle" gleichgesetzt.
Das originäre Konzept der Politikverflechtungsfalle deutet jedoch lediglich darauf hin, dass in den gegebenen Verflechtungsstrukturen keine erfolgreiche Politik möglich ist, selbst dann nicht, wenn es sich um solche institutionellen Änderungen handelt, die eine Entflechtung des Mehrebenensystems zur Folge hätte (Benz 2003: 220). Das liegt daran, dass bei einer anstehenden Verfassungsänderung solche Akteure als potenzielle Vetospieler auftreten, die von der Verflechtung profitieren - im deutschen Föderalismus ist dies konkret die Länderebene. Die Politikverflechtungsfalle ist also nicht die Blockade durch Vetospieler in der täglichen Entscheidungsfindung, sondern die Unfähigkeit des politischen Systems, institutionelle Änderungen zur Auflösung dieser Blockaden herbeizuführen.
Unter normativen Gesichtspunkten lassen sich Vor- und Nachteile der Existenz dieser Verflechtungsstruktur ausmachen: Ein Nachteil ist die wenig effiziente Entscheidungsfindung, da aufgrund der häufigen Blockaden eine Status-Quo-Orientierung existiert. Verfechter der Gewaltenteilung wenden hingegen ein, dass die Existenz vieler potenzieller Vetospieler mit einer Stabilität des politischen Systems verbunden sei. Die komplexe Verflechtungsstruktur sorge für "Checks and Balances" gegen leichtfertige Verfassungsänderungen und für Kontinuität einer demokratischen politischen Ordnung.
Arthur Benz nennt einige mögliche Strategien zur Förderung der Entscheidungs- und Innovationsfähigkeit von Politik: "Level shifting", die "Einrichtung von Parallelinstitutionen", "Opting-out-Klauseln" und die Informalisierung der Konfliktregelung in inoffiziellen Expertengremien oder Netzwerken (Benz 2003: 221 f.).
Siehe auch: Föderalismus in Deutschland
[Bearbeiten] Literatur
- Fritz W. Scharpf u.a (Hrsg.): Politikverflechtung, Scriptor Verl., Kronberg/Ts.,
- Bd.1. - Theorie und Empirie des kooperativen Föderalismus in der Bundesrepublik, 1976, ISBN 3-589-20396-X
- Bd.2. - Kritik und Berichte aus der Praxis, 1977, ISBN 3-7610-8202-9
- Bd.3. - Kartellbildung in der allgemeinen Forschungsförderung, 1979, ISBN 3-445-01841-3
- Benz, Arthur (2003): Konstruktive Vetospieler in Mehrebenensystemen, in: Die Reformierbarkeit der Demokratie. Innovationen und Blockaden. Festschrift für Fritz Scharpf. Mayntz, R. und Streeck, W. (Hrsg.). Frankfurt/New York: Campus. S. 205-236