Reichensteuer

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Grenzsteuersätze der Einkommensteuertarife 2004–2007, „Reichensteuer“ ab 2007 (blau)

Der Begriff Reichensteuer (auch Millionärssteuer oder Neidsteuer) ist eine in der nach der Bundestagswahl 2005 geführten Reformdiskussion um das deutsche Steuerrecht bekannt gewordene, häufig auch populistisch verwendete Wortschöpfung.

Die als „Reichensteuer“ bezeichnete Erhöhung der Einkommensteuer für besonders hohe Einkommen wurde im Koalitionsvertrag vom 11. November 2005 zwischen CDU, CSU und SPD vereinbart.^[1] Am 29. Juni 2006 beschloss der Deutsche Bundestag die Einführung der „Reichensteuer“ mit den Stimmen der SPD und CDU gegen die Stimmen der FDP, der Grünen und der Linkspartei.^[2] Sie wurde mit dem „Steueränderungsgesetz 2007“ vom 19. Juli 2006 eingeführt und gilt ab dem 1. Januar 2007.^[3]

[Bearbeiten] Ausgestaltung

Ab 250.000 für Ledige bzw. 500.000 Euro für Verheirate wird der Spitzensteuersatz auf 45 % angehoben. Zusätzlich wurde ein Entlastungsbetrag eingeführt, der die tarifäre Anhebung für die Gewinneinkünfte wieder rückgängig machen soll. Dieser Entlastungsbetrag wird für den Zeitraum 1. Januar 2007 bis zum 1. Januar 2008 gewährt. Die begrenzte Anwendung des Entlastungsbetrages wurde damit begründet, dass zum 1. Januar 2008 eine Unternehmenssteuerreform in Kraft treten solle.

Erzielt ein Steuerpflichtiger nur Überschusseinkünfte, so ergibt sich obiger Verlauf des Grenzsteuersatzes; werden sowohl Gewinn- als auch Überschusseinkünfte erzielt, so hängt der Grenzsteuersatz vom Verhältnis dieser beiden Größen ab.

[Bearbeiten] Historischer Kontext

Der Spitzensatz der Einkommensteuer lag zwischen 1975 und 1989 mit 56 % deutlich höher als heute; auch in den Jahren davor und von 1990 bis 1999 lag er noch bei 53 %. In den Jahren 2000 bis 2005 wurde eine schrittweise Senkung des Spitzensteuersatzes auf 42  durchgeführt; die erneute Erhöhung um 3 Prozentpunkte ist in einer längerfristigen Perspektive somit von vergleichsweise geringem Umfang.^[4]

[Bearbeiten] Politische Diskussion

Die mögliche Erhebung einer „Reichensteuer“ löste – auch wegen des populistischen Begriffs – eine erhebliche politische Diskussion aus, die allerdings innerhalb der Regierungskoalition auf beiden Seiten vor allem „ideologisch motiviert“ sei.^[5]

Hauptsächlich wurde kritisiert, dass es sich – so Gustav Horn, Leiter des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung – lediglich um „symbolische Politik“^[6] handle, die letztlich nur geringe Auswirkungen habe und „niemandem hilft“.^[7] Entsprechend konstatierte der Wirtschaftwissenschaftler Rudolf Hickel, dass die Reichensteuer einen reinen Placebo-Effekt habe, „eine generelle, aber zeitlich begrenzte Erhöhung des Steuerspitzensatzes auf 45 Prozent wäre effektiver gewesen.“^[8]

Der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Peter Ramsauer, bezeichnete die „Reichensteuer“ als „ökonomisch unsinnige Neidsteuer“.^[9] Ähnlich argumentierte der Präsident des Bundes der Steuerzahler, Karl Heinz Däke, der bei der Umsetzung der Reichensteuer erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken sieht.^[10]

Vizekanzler Franz Müntefering befürwortete dagegen für weite Teile seiner Partei die „Reichensteuer“, es sei gut zu vertreten, dass diejenigen, „die ganz oben sind, ein Stückchen mehr an Steuern bezahlen müssen.“^[11] Der stellvertretende Vorsitzende des CDU-Arbeitnehmerflügels, Gerald Weiß, sagte, dass Belastungsgerechtigkeit gebraucht werde: „Jeder soll tragen müssen, was er tragen kann.“^[12]

Einen offenen Brief – initiiert durch den Reeder Peter Krämer – versahen prominente Unterzeichner mit der Überschrift „Die Reichensteuer ist lächerlich“ und forderten eine konsequente Besteuerung der Reichen.^[13]

Neben der politischen Diskussion über den Zweck der Reichensteuer wurde zudem aus ökonomischer Sicht untersucht, inwieweit das geforderte politische Ziel, eine differenzierte Behandlung der Gewinn- und Überschusseinkünfte, überhaupt erreicht werden konnte. Die Untersuchung kam zu dem Ergebnis, dass es sich bei den Gesetzesänderungen um „kein stimmiges Modell“ handle, das „ungewollte Effekte“ hervorrufe.^[14]

[Bearbeiten] Parallele Diskussion in Österreich

Auch in Österreich gab es eine öffentliche Debatte um eine vergleichbare Regelung. SPÖ, Grüne und FPÖ ließen Sympathien für eine „Reichensteuer“ erkennen,^[15] Finanzminister Grasser wies die Vorschläge allerdings als „für Österreich bedeutungslos“ zurück.^[16]

[Bearbeiten] Quellen

1. ↑ Vgl. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD vom 11. November 2005, in: bundesregierung.de, S. 68.
2. ↑ Vgl. Steueränderungsgesetz 2007 verabschiedet, in: bundestag.de.
3. ↑ Vgl. Jahressteuergesetz 2007.
4. ↑ http://www.abgabenrechner.de/TarifgeschichteoF.pdf Tarifgeschichte der Einkommensteuer
5. ↑ Vgl. Schuler, Katharina: Streit um ein Symbol, in: zeit.de vom 26. April 2006.
6. ↑ Vgl. Merz mosert über Merkel, in: zdf.de vom 13. November 2005.
7. ↑ Vgl. Otto, Wolfgang: Kommentar Reichensteuer: Symbol-Politik, die keinem hilft, in: tagesschau.de vom 2. Mai 2006.
8. ↑ Vgl. Wirtschaftsweise warnen, in: n-tv.de vom 13. November 2005.
9. ↑ Vgl. Verfassungskonformität der Reichensteuer allgemein bezweifelt, in: faz.net vom 3. Mai 2006.
10. ↑ Vgl. Verfassungsklage gegen Reichensteuer?, in: heute.de vom 7. Mai 2006.
11. ↑ Vgl. Reichensteuer bringt weniger Geld als erhofft, in: sueddeutsche.de vom 7. Mai 2006.
12. ↑ Vgl. Ran an die Reichen, in: faz.net vom 7. November 2005.
13. ↑ Die Reichensteuer ist lächerlich, Volltext.
14. ↑ Vgl. Reichensteuer trifft die Falschen, in: ftd.de vom 21. September 2006.
15. ↑ Vgl. Aktion 50 plus, in: orf.at vom 14. November 2005.
16. ↑ Vgl. Grasser: Keine "Reichensteuer" in Österreich, in: oe1.orf.at vom 14. November 2005.

Wiktionary: Reichensteuer – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme und Übersetzungen