Benutzer:Schoenborn, Paul Gerhard
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Vor sechzig Jahren
Am 5. Januar 1944 fand man frühmorgens in einem Straßengraben bei Silkeborg die Leiche eines dänischen Pastors. Es war Kaj Munk aus Vedersø. Am Abend zuvor hatte ihn SS-Leute in seinem Pfarrhaus an der Nordseeküste verhaftet, abtransportiert und unterwegs kaltblütig erschossen. Es war ein von Hitler und Himmler angeordneter Terrorschlag gegen den dänischen Widerstand. Ein Spezialkommando der SS musste dafür eigens aus Berlin anreisen.
Die Nachricht verbreitete sich noch am gleichen Tag über das ganze Land. Mittags bereits informierte der schwedische Rundfunk seine Hörer über den Mord. Im Königlichen Theater Kopenhagen unterbrach der Dichter Kjeld Abell die Aufführung und teilte Zuschauern und Schauspielern das Entsetzliche mit. Die Fahnen wehten im ganzen Land auf Halbmast. Die Beerdigung wurde zu einer politischen Demonstration: Mehrere tausend Menschen, darunter Bischof Scharling von Ribe und mehr als fünfzig Amtsbrüder in Amtstracht gaben Kaj Munk das letzte Geleit. Spontan sangen sie am Ende des Gottesdienstes "Ein feste Burg ist unser Gott ... "
Freunde setzten später auf der Rabenhöhe bei Holstebro einen Gedenkstein mit der Inschrift "Kaj Munk starb am 4. Januar 1944 für sein Vaterland. Einige müssen sich opfern, damit andere leben können". Am Rand der Reichsstraße 15 steht bei Hørbylunde Bakke, 4 Kilometer westlich vor Silkeborg, ein großes archaisches Kreuz aus Granit - ohne Inschrift, ohne Namen oder Jahreszahl. Aber jeder Däne weiß: An dieser Stelle wurde Kaj Munk erschossen. Stets stehen Blumen davor. Das Volk kennt seine Heiligen.
Warum wurde Kaj Munk ermordet? Noch am 5. Dezember 1943 hatte er im Kopenhagener Dom gepredigt. Er durfte die Kanzel eigentlich nicht betreten. Aber Munk wagte es trotzdem. Öffentlich drohte er wegen der Judenverfolgung mit Aufruhr: im Lande: "Wenn man hier im Lande mit der Verfolgung einer gewissen Gruppe unserer Landsleute anfängt, nur um ihrer Abstammung willen, dann ist es christliche Pflicht der Kirche zu rufen: 'Das ist gegen das Grundgesetz im Reiche Christi, die Barmherzigkeit, und das ist verabscheuungswürdig für jedes freie nordische Denken.' Geschieht das noch einmal, dann wollen wir mit Gottes Hilfe versuchen, das Volk zum Aufruhr zu bringen."
Genau einen Monat beseitigte man ihn - die Symbolfigur des dänischen Widerstands.
Wer war Kaj Munk? Geboren wurde er am 13. Januar 1898 in Maribo. Sein Vater war Gerber. Die Eltern starben, als er noch sehr jung war. Verwandte, Kleinbauern auf der Insel Lolland, adoptierten ihn. Schon als junger Mensch verfasste er beachtliche Texte: Balladen, Gedichtzyklen, Dramen. Zwanzig Jahre lang, von 1924 bis zu seiner Ermordung 1944, wirkte er als Pfarrer in Vedersø an der jütländischen Nordseeküste. Zugleich wurde er ein gefeierter Dramatiker und der Erneuerer des skandinavischen Theaters. 1938 wurden Schauspiele von Kaj Munk gleichzeitig auf elf skandinavischen Bühnen aufgeführt. (Texte in www.kajmunk.dk und: Kaj Munk, Schauspiele, LIT-Verlag, Münster 2003, ISBN 3-89781-039-5)
Zwei Schauspiele besonders begründeten seinen Ruhm: "Das Wort" heißt das eine. Es spielt unter den Bauern eines jütländischen Dorfes und handelt vom unfassbaren, frühen Sterben, vom Glauben an das Wunder der Auferweckung, von Vernunft und Wahnsinn. Das andere Theaterstück, "Er sitzt am Schmelztiegel", hat die Verfolgung der Juden in Hitlerdeutschland zum Thema und rechnet mit dem vergeblichen Versuch einiger deutscher Gelehrter ab, den Juden Jesus zum Arier zu machen.
Bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs sahen mehr als 160.000 Zuschauer dieses Schauspiel und hörten, was darin ein deutscher Theologe einem nationalsozialistischen Minister vorhält: "Ein Jude hat meinen deutschen Mund gelehrt, jeden Morgen und jeden Abend zu beten: 'Vergib uns unsere Schuld, wie wir vergeben unseren Schuldigern.' Geben Sie den Juden Lebensrecht in unserem Volk. Denn die Menschenrechte anderen Menschen wegnehmen heißt, sich selbst zum Verbrecher zu machen."
Kaj Munk wurde in den dreißiger Jahren auch zum viel gelesenen Kolumnisten der großen dänischen Tageszeitungen. In elf Jahren veröffentlichte er mehr als 600 (!) Artikel zu allen möglichen Themen aus Kirche, Kultur und Politik. Den Parlamentarismus in seiner Ausprägung nach dem Ersten Weltkrieg lehnte er entschieden ab. Er war deswegen in Dänemark durchaus umstritten.
Seine anfängliche Sympathie für die Mussolini und Hitler schlugen ins Gegenteil um, als er deren skrupellose Eroberungspolitik durchschaute. Besonders Hitlers unmenschliche Behandlung der Juden in Deutschland empörte ihn zutiefst.
Nach der Besetzung Dänemarks am 9. April 1940 wurde Kaj Munk zur Symbolfigur des Widerstands. Die Kollaboration vieler seiner Landleute lehnte er scharf ab. Seine Waffe war das Wort.. So schrieb er "Niels Ebbesen" über den "dänischen Wilhelm Tell", der im Mittelalter einen deutschen Aggressor getötet hatte. Die dänische Untergrundbewegung verbreitete das Freiheitsdrama in Tausenden von Exemplaren.
Auch in Munks - trotz Zensur in Zeitungen und in Buchform veröffentlichten (!) -Predigten aus diesen Jahren finden sich viele Aufrufe zum Widerstand. Dass er sich durch sein offenes Wort in Lebensgefahr brachte, war ihm wohl bewusst. Aber er wollte und konnte die Wahrheit nicht verschweigen.
"Die Kirche ist der Ort, wo das Unrecht in den Bann getan, die Lüge entlarvt, die giftige Bosheit angeprangert werden muss - der Ort, wo Barmherzigkeit geübt werden soll als Quelle des Lebens, als Herzschlag der Menschheit."
Zum Gedenken an den 60. Jahrestag der Ermordung Kaj Munks überträgt das Fernsehen (DR 1) in der Sylvesternacht 2004 einen Gottesdienst aus Vedersø. Die Liturgie hält Mogens Munk, der jüngste Sohn, die Ansprache der dänische Außenminister Per Stig Møller, der zwei wichtige Bücher über Kaj Munk verfasst hat.
Paul Gerhard Schoenborn, Dellbusch 298, D-42279 Wuppertal
Stand 3. März 2004