Schießbefehl
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[Bearbeiten] Schießbefehl an der innerdeutschen Grenze (allgemeiner Sprachgebrauch)
Der Begriff „Schießbefehl“ wird hauptsächlich im Zusammenhang mit Bedingungen und Vorkommnissen an der innerdeutschen Grenze in den Jahren 1961 bis 1989 gebraucht. Er steht für die Anordnung an die Grenzsoldaten, gemäß den Vorschriften für den Schusswaffengebrauch (z. B. für den militärischen Wachdienst) und - verschärfend - in Verbindung mit einer politisch motivierten Befehlslage von der Schusswaffe Gebrauch zu machen, wenn Personen die Grenze der damaligen DDR in Richtung BRD und Berlin (West), überwinden wollten.
[Bearbeiten] Rechtliches
Für den Dienst an der Grenze galt offiziell die Grenzdienstordnung sowie ab dem 1. Mai 1982 das Gesetz über die Staatsgrenze der Deutschen Demokratischen Republik (Grenzgesetz). [1] Die Grenzsoldaten hatten danach die Aufgabe: „Die Staatsgrenze der DDR zu sichern, Grenzverletzungen nicht zuzulassen, sowie die Ausdehnung von Provokationen auf das Hoheitsgebiet der DDR zu verhindern.“ Für den Gebrauch der Schusswaffe galt die „Schusswaffengebrauchsbestimmung“ [2] sowie ab dem 1. Mai 1982 der § 27 Gesetz über die Staatsgrenze der Deutschen Demokratischen Republik (Grenzgesetz). Die Schusswaffe ist danach die äußerste Maßnahme der Gewaltanwendung gegen Personen. Der Gebrauch der Schusswaffe ist nur gerechtfertigt, wenn andere Maßnahmen wie z.B. körperliche Gewalt nicht den gewünschten Erfolg bringen. Vor der Schusswaffenanwendung ist ein Warnruf „Halt, Grenzposten Stehenbleiben!“ abzugeben. Wird der Warnruf nicht befolgt, ist ein Warnschuss in die Luft abzugeben. Wird auch der Warnschuss nicht befolgt, ist ein Warnruf "Halt! Grenzposten, stehenbleiben oder ich schieße!"abzugeben. Wird auch dieser Zuruf nicht befolgt, ist der Grenzverletzer durch einen gezielten Schuss in die Beine der/des Grenzverletzers zu stoppen. Gegen Personen die dem äußeren Eindruck nach im Kindesalter, Jugendliche oder Frauen sind, sind Schusswaffen nicht anzuwenden.
Seit dem 6. Oktober 1961 gab es einen Befehl des damaligen DDR-Verteidigungsministers Armeegeneral Hoffmann, der die Grenztruppen verpflichtete, die Schusswaffe nach Zuruf und Warnschuss sofort scharf anzuwenden und Flüchtende zu vernichten, wenn sie nicht auf andere Weise festzunehmen seien. Seit 1982 wurde der Schießbefehl täglich mündlich an die Grenztruppen ausgegeben: „Grenzverletzer sind festzunehmen oder zu vernichten.“ [3] [4] [5]
Im sogenannten ersten Mauerschützen-Urteil hat jedoch der BGH in der Staatspraxis der DDR bestehende Rechtfertigungsgründe für den Schusswaffengebrauch an der Berliner Mauer und der innerdeutschen Grenze als unvereinbar mit dem Internationalen Pakt über Bürgerliche und Politische Rechte (IPBPR) verworfen [6]. Darüberhinaus stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit Urteil vom 22.März 2001 fest : „...die Anwendung des Schießbefehls an der innerdeutschen Grenze stellt daher einen Verstoß gegen den völkerrechtlichen Schutz des Lebens dar...,das zur Tatzeit von der DDR international anerkannt war (Art. 6 Pakt)...
Das Grenzregime und der ‚Schießbefehl‘ könnten ebenfalls eine Verletzung des Rechts auf Freizügigkeit darstellen. Der von der DDR ratifizierte IPbpR garantiert in Art. 12 Abs. 2 das Recht auf Freizügigkeit, wie auch Art. 2 Abs. 2 des 4. ZP-EMRK. Der Gerichtshof war auch hier der Ansicht, daß die Ausnahmeklauseln, auf die sich die Beschwerdeführer beriefen, nicht einschlägig sind. Er argumentiert, daß das Hindern fast der gesamten Bevölkerung am Verlassen ihres Staates keineswegs notwendig war, um die Sicherheit des Staates oder andere Interessen zu schützen...“
„[...] Schließlich war die Art und Weise, in der die DDR das Ausreiseverbot gegenüber ihren Staatsangehörigen durchsetzte und Verletzungen dieses Verbots bestrafte, unvereinbar mit einem anderen im Pakt garantierten Recht, nämlich dem in Art. 6 garantierten Recht auf Leben, sofern in dieses eingegriffen wurde...So stellt der Gerichtshof fest, dass das Grenzsystem, insbesondere der Schießbefehl, ebenfalls einen Verstoß gegen das im Pakt verankerte Menschenrecht auf Freizügigkeit darstellte.“[7]
[Bearbeiten] Schießbefehl im Polizei- und Militärwesen
Ein Schießbefehl ist der Befehl an Schützen, einen (oder mehrere) Schüsse abzugeben. Hierbei besteht zumindest eine bedingte Feuererlaubnis. Im Militär- oder Polizeieinsatz dient dieser Befehl dazu, den Einsatz im Hinblick auf das Ziel zu koordinieren.
- Beim Militär läuft der Schuss- bzw. Feuerbefehl nach einem mehr oder weniger ähnlichen Schema in allen Armeen der Welt ab:
- Anruf: Hier wird vom Kommandanten eine bestimmte Person oder Waffengruppe bestimmt, zum Beispiel "Rekr. Maier" oder "MG".
- Richtung: Der Kommandant gibt die Schussrichtung an, zum Beispiel "halbrechts" oder einen bestimmten Zielpunkt wie zum Beispiel eine Brücke.
- Entfernung: Der Kommandant gibt die Entfernung in Metern an, zum Beispiel "zwohundert". Bei Angabe eines bestimmten Zielpunktes entfällt die Entfernungsangabe.
- Ziel: Der Kommandant beschreibt das Ziel, zum Beispiel "MG in Stellung".
- Ausführung: Der Kommandant befiehlt die Ausführung meist mit dem Befehl "Feuer!". Befehle wie "Feuern auf meinen Pfiff" sind jedoch ebenso möglich wie der so genannte Feuerüberfall, bei dem der Kommandant von drei herunterzählt und anschließend die angerufenen Soldaten gleichzeitig das Feuer eröffnen. Bei diesem Teil des Befehls kann der Kommandant ebenso Feuerart (zum Beispiel "Einzelfeuer") und Munitionsmenge (zum Beispiel "Halbes Magazin") an; wird die Feuerart nicht angegeben, wählt sie der Soldat selbständig.
Bei leicht auffindbaren und nicht verwechselbaren Zielen, wie zum Beispiel einem Konvoi, können die Angabe von Richtung und Entfernung entfallen.
Mit dem Befehl "Feuer frei!" kann der Kommandant den Feuerkampf den Soldaten überlassen, Bei plötzlichem Feindauftritt gilt ebenfalls Feuer frei.
- Bei Übungen (z.B. auf einem Schießplatz) dient der Schießbefehl in erster Linie der Sicherheit. Der Befehl "Feuer frei" wird erst gegeben, wenn eine Gefährdung von Personen ausgeschlossen ist.
- Bei Polizeieinsätzen ist oft der Schutz des Lebens einzelner Personen das Kriterium, ob und wann ein Schusswaffengebrauch angeordnet oder selbst vom Schützen entschieden wird.
[Bearbeiten] Literatur
- Michael Dullau: Grenzland, Roman, 2. Aufl. 2005 ISBN 3-86611-017-0
- W. Graff: Schüsse an einer anderen deutschen Grenze. Spotless-Verlag, Berlin 1995
[Bearbeiten] Quellen
- ↑ Dienstvorschrift der Grenztruppen der DDR - Grenzdienstordnung
- ↑ Dienstvorschrift der Grenztruppen der DDR - Schusswaffengebrauchsbestimmung
- ↑ Bundeszentrale für politische Bildung mit erläuterndem Video [1]
- ↑ Kontraste vom 3. Juli 1990 "Wer trägt die Schuld? - Schießbefehl und Mauertote", S. 4 und 5
- ↑ Deutschlandradio und Bundeszentrale für politische Bildung Chronik der Mauer [2]
- ↑ Rechtsauffassung des BGH
- ↑ Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
[Bearbeiten] Siehe auch
- Berliner Mauer
- Bernauer Straße
- Eiserner Vorhang, Grenzanlagen der DDR
- Geschichte der DDR
- Republikflucht,
- DDR-Justiz
- Peter Fechter
- Peter Göring