Tobias Mindernickel
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Tobias Mindernickel ist eine Novelle von Thomas Mann aus dem Jahr 1898.
Mindernickel, ein menschenscheuer Mann unbestimmten Alters, verlässt nur selten seine schäbige Wohnung, da er auf der Straße in seinem Viertel sofort von Straßenjungen verspottet wird und die Erwachsenen diesem Treiben keinen Einhalt gebieten. Was diese Gewohnheit eigentlich ausgelöst hat - in anderen Stadtteilen widerfährt ihm solches nicht -, ist unklar, vermutlich jedoch einfach seine scheue und gedrückte Art. Eines Tages fällt einer der Jungen, die ihn immer verfolgen, über seine eigenen Füße, stürzt und schlägt sich die Stirn blutig. Plötzlich ist Tobias wie verwandelt, hilft dem Knaben auf, tröstet ihn und verbindet ihm mit seinem eigenen frischen Taschentuch die Wunde. Der Vorfall spricht sich herum, und eine Zeitlang wird Mindernickel nun in Ruhe gelassen, doch ist dies nicht von langer Dauer. Bald geht wieder alles seinen gewohnten Gang.
Auf einem seiner seltenen Spaziergänge kauft sich Mindernickel spontan einen jungen Jagdhund, den er mit in seine Wohnung nimmt und Esau nennt. Nun hat er, der bislang nur hin und wieder an einem Blumentopf, in dem sich außer Erde nichts befindet, gerochen hat, endlich Gesellschaft und eine Beschäftigung. Aber Esau ist nicht bereit, sich den ganzen Tag nur verhätscheln und auf dem Sofa kraulen zu lassen; er muss seinem Bewegungsdrang nachgeben und flieht mitunter sogar hinaus auf die Gasse, was dann zu einem besonderen Vergnügen für die Nachbarn wird. Mindernickel reagiert auf solche Ausbrüche jugendlicher Lebenslust verbittert.
Eines Tages rennt Esau, als Mindernickel ihm sein Futter zubereiten will, in das ungeschickt gehaltene Messer. Nichts könnte seinen Herrn glücklicher machen: Der Hund kann nicht mehr umhertoben, sondern muss sich pflegen und bedauern lassen.
Doch kaum ist Esau wieder genesen, beginnen die alten Schwierigkeiten wieder. Mindernickel beobachtet vergrämt seinen lebenslustigen jungen Hund, und plötzlich gibt er einem Einfall nach: Er sticht mit dem Messer auf Esau ein, fügt ihm eine tiefe Wunde zu und packt ihn gleich darauf unter bedauernden Reden aufs Sofa, um ihn nun wieder versorgen zu können. Doch er hat zu heftig zugestochen. Das Tier stirbt ihm unter den Händen weg.
Der ursprüngliche Titel lautete "Mitleid". Die Erzählung lässt sich als Parodie der Schopenhauerschen Mitleidsforderung auffassen.