Tour de Nesle
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Der Tour de Nesle (Nesleturm, Nigellaturm, frz. auch: T. de Neelles, de Nesles oder Tour Nelle, lat. Tornella Nigellae) war ein runder Turm der alten Pariser Stadtbefestigung aus dem 13. Jahrhundert. Er wurde um 1200 unter der Regentschaft von Philipp II. August als westlichster Punkt der Stadtmauer am linken Seineufer erbaut und 1210 erstmalig als Tornelle de Philippe Hamelin erwähnt (altfranzösisch tornelle = frz. tourelle = dt. kleiner Turm), in Latein tornella Philippi Hamelini supra Sequanam, dt. Philippe-Hamelin-Turm an der Seine), benannt nach dem damaligen Propst der Stadt Paris.
Der Turm war massiv gebaut, hatte einen Durchmesser von ca. 9-10 m, eine Höhe von ca. 25 m (inkl. Treppenturm), besaß 3,5 Stockwerke plus Dachplattform und einen, den Hauptturm um mehrere Meter überragenden Treppenturm. Er diente als Verteidigungs- und Beobachtungsturm, hatte aber zusätzlich eine damals wichtige Funktion: eine starke Eisenkette verlief von ihm aus über die Seine gegenüber zum ähnlich aussehenden Eckturm (Tour du Coin, später Tour du Louvre) zum Schutz der Stadt vor Eindringlingen per Schiff. Eine weitere Sperranlage ähnlicher Bauart befand sich im Osten der Stadt südlich der späteren Bastille mit dem runden Billyturm (Tour de Billy) auf dem rechten Seineufer und einem rechteckigen, mit Eckwarten versehenen Turm (Le Chardonnet, seit dem 14. Jahrhundert la Tournelle) auf dem linken Seineufer. Um 1330 erhielt der Wehrturm den Namen Tour de Nesle nach einem neben ihm errichteten Herrenhaus (Hôtel) gleichen Namens (gegründet von einem Herrn von Nesle(s)), das mit dem Turm über eine Mauer verbunden war. Ein Stadttor namens Porte de Nesle wurde im 16. Jahrhundert nahe dem Turm in die Stadtmauer eingebaut, eine Brücke führte über den Befestigungsgraben. Bereits unter Karl VII. war der Turm in einem desolaten Zustand und wegen der Stadterweiterung auch kein Teil der Stadtbefestigung mehr. Die Schießscharten waren längst zu Fenstern erweitert, Sträucher hatten sich auf seiner Dachplattform angesiedelt. Im 16. Jahrhundert erschien er als schwärzliches Relikt gegenüber dem auf der rechten Seineseite errichteten neuen Louvreflügel. Er wurde oft an privat zu diversen Zwecken vermietet. Heute steht das Institut de France an seiner Stelle. Da er bereits um 1660 auf Befehl Kardinal Mazarins zum Bau dessen Bibliothek abgerissen wurde, ist er nur noch von zeitgenössischen Abbildungen (von Jacques Callot, den Gebrüdern Gabriel, Adam und Nicolas Perelle und Israël Silvestre) bekannt.
1308 kaufte der französische König Philipp IV. der Schöne (* 1268, † 1314) das Hôtel de Nesle von Amaury de Nesle, dessen Sohn Philipp V. schenkte es 1319 seiner Ehefrau Johanna von Burgund, die es in ihrem Testament aus dem Jahr 1325 (sie starb 1330) zum Verkauf bestimmte, um das Geld dem Collège de Bourgogne, einem Teil der Universität Paris, zukommen zu lassen.
[Bearbeiten] Der Skandal um die Tour de Nesle
Der Tour de Nesle spielt die namengebende Rolle in einem Ehebruchsdrama aus dem Jahr 1314, von dem die Kapetinger, die königliche Familie Frankreichs, im Innersten betroffen waren - und das am Ende zum Wechsel auf die Dynastie der Valois führte, was wiederum die Thronansprüche des englischen Königs Eduard III. und damit den Hundertjährigen Krieg auslöste.
König Philipp IV. von Frankreich hatte vier Söhne:
- Ludwig der Zänker (frz. Louis X le Hutin) (* 1289, † 1316), der 1314 als Ludwig X. sein Nachfolger wurde,
- Philipp der Lange (frz. Philippe V le Long) (* 1291, † 1322), der 1316 als Philipp V. den Thron bestieg;
- Karl von La Marche (frz. Charles IV le Bel) (* 1295, † 1328) der 1322 als Karl IV. König von Frankreich wurde.
- Robert (* 1297, † 1308); er starb noch während der Regentschaft seines Vaters.
Ludwig heiratete im Jahr 1305 Margarete von Burgund (* 1290), eine Tochter des Herzogs Robert II. von Burgund und der Agnes von Frankreich, diese wiederum eine Tochter König Ludwigs IX. war. Philipp heiratete 1307 Johanna von Burgund (* wohl 1291), eine Tochter des Pfalzgrafen Otto IV. von Burgund und der Mathilde von Artois, der Erbtochter des Grafen Robert II.. Karl schließlich heiratete 1306 oder 1307 Blanka von Burgund (* 1295), eine Schwester Johannas.
Zwei der drei Prinzessinnen, Margarete und Blanka, waren die Hauptakteure des Dramas, die dritte, Johanna, eine Mitwisserin. Sie wurden im Frühjahr 1314 des Ehebruchs mit den Rittern Philippe und Gautier d'Aunay beschuldigt und Johanna der Komplizenschaft. Sie wurden angeblich "in flagranti" mit ihren Liebhabern entdeckt; die Brüder gestanden unter der Folter, dass die Beziehungen bereits seit drei Jahren bestünden. Die Treffen zwischen Gautier und Margarete sowie Blanka und Philippe sollen im Tour de Nesle oder wohl eher im Hôtel de Nesle stattgefunden haben.
An der Entdeckung des Ehebruchs ist Isabella von Frankreich (* 1292, † 1358), ältere Schwester der drei Könige und selbst seit 1307 als Ehefrau Eduards II. Königin von England - von den Engländern "die Wölfin von Frankreich" genannt - beteiligt. Eine zeitgenössische Chronik berichtet: "Die Königin Isabella von England, Tochter Philipps des Schönen, hatte zwei sehr schöne Börsen. Die eine verschenkte sie an die Frau Ludwigs des Zänkers, die andere an die Frau Karls von La Marche. Sie war sehr erstaunt, beide Börsen einige Zeit danach an den Gürtel der beiden Kavaliere zu sehen. Sie schwieg, berichtete die Tatsache aber dem König, ihrem Vater, der seine Schwiegertöchter überwachen ließ." Wenig später befahl der König die Verhaftung der Beschuldigten.
Philippe und Gautier d’Aunay werden am 19. April 1314 hingerichtet, indem ihnen auf dem Marktplatz von Pontoise bei lebendigem Leib die Haut abgezogen wird, danach werden sie kastriert, enthauptet und schließlich am Galgen zur Schau gestellt. Margarete und Blanka werden nach Château-Gaillard gebracht und dort eingekerkert. Johanna, die alles abstreitet und nicht wegen Mittäterschaft, sondern nur wegen Mitwissenschaft beschuldigt wird, wird in das Kastell von Dourdan gebracht. Der Intervention ihrer Mutter Mathilde von Artois ist es zu verdanken, dass sie später begnadigt wurde und den Platz an der Seite ihres Mannes wieder einnehmen konnte (und ihm 1316 noch einen Sohn gebar). Wenig nachvollziehbar allerdings ist, dass ihr Mann ihr 1319 ausgerechnet das Hôtel de Nesle zum Geschenk machte.
Philipp IV. starb im November des gleichen Jahres, Ludwig bestieg als Ludwig X. den Thron, und Margarete war formal Königin – allerdings nur für ein paar Monate. Am 15. August 1315 wurde sie im Gefängnis erdrosselt aufgefunden, der Überlieferung nach getötet von ihrem Ehemann und mit Hilfe ihrer eigenen Haare. Vier Tage später, am 19. August, heiratete der König in Paris ein zweites Mal.
Karl hingegen forderte die Lösung seiner Ehe, der Papst lehnte ab, da Ehebruch kein Scheidungsgrund war, eine Annullierung kam zudem nicht in Frage, da das Paar eine Tochter hatte, und der Vollzug der Ehe also offensichtlich war.
Blanka hielt sich noch im Château Gaillard auf, als ihr Mann Anfang 1322 König und sie somit Königin wurde, was ein Grund mehr war, ihre Freilassung zu untersagen. Als Karl aber in einem weiteren Versuch doch noch beim Papst die Scheidung durchsetzte, die am 13. Mai 1322 ausgesprochen wurde, wurde Blanka aus dem Gefängnis geholt und ihr "gestattet", sich ins Kloster Maubuisson zurückzuziehen, wo sie 1326 starb.
[Bearbeiten] Literarische Aufarbeitung
Das Drama fand seinen Widerhall sowohl in einer berühmten Ballade François Villons als auch in dem seinerzeit oft aufgeführten Theaterstück La Tour de Nesle von Alexandre Dumas (Vater) aus dem Jahr 1832.
Auch hat der französische Romancier Maurice Druon in seinem historischen Roman Die unseligen Könige (deutsch 1960) eine ausführliche Schilderung der damaligen Ereignisse am französischen Königshof gegeben.