Volk ohne Raum (Roman)
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Volk ohne Raum ist ein um 1920 erschienener Roman von Hans Grimm, dessen Titel wegen des Eingangs als Redewendung in die Sprache des Nationalsozialismus heutzutage bekannter ist als es der tatsächlichen Bedeutung und Verbreitung des Romans zukommt.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Inhalt
Die Handlung beginnt ca. 1890:
Der Sohn eines Steinbrucharbeiters aus Meinerzhagen (Sauerland), selbst von Beruf Dachdecker bzw. Zimmermann, gerät beim Anblick der umgebenden Landschaft in Missstimmung darüber, dass alles lohnenswert zu bewirtschaftende Land schon vergeben, von jedem Handwerksberuf schon mehrere Ausüber ortsansässig seien, und der Rest der sich mehrenden Bevölkerung in unterbezahlten und die Gesundheit ruinierenden Arbeitsverhältnissen geknechtet werde, so dass der Tüchtige ohne das Glück einer vererbten Eintragung in die Handwerksrolle oder Grundbuch keine Möglichkeit zum seiner Leistung gemäßen Aufstieg habe.
Zusammen mit einem Freund reift der Plan, in das gerade eben entstehende Ruhrgebiet zu wandern, um dort am Boom der Montanindustrie teilzuhaben. Die Erhabenheit der lodernden Feuer und rauchenden Essen, das Monumentale der Schwerindustrie, beeindruckt den jungen Mann sehr. Nach diversen unerfreulichen Erlebnissen in den damals weit verbreiteten Junggesellenwohnheimen und Zechen in Bochum verfliegen seine Illusionen von einer Arbeitswelt, die Leistung und anständige Gesittung belohnt, sehr rasch. Er nimmt an diversen Treffen der damals als Untergrundorganisation arbeitende Arbeitervereinen teil und wird bei dieser Gelegenheit trotz moralisch tadellosem, mutigem Verhalten auch kurzzeitig verhaftet. Daraus keimt der Entschluss zur Auswanderung in den damaligen Handelsstützpunkt Lüderitzbucht.
In Lüderitzbucht angekommen, trifft er auf das damals aus Buren, deutschen Siedlern, Kaffern und Buschmännern bestehende Völkergemisch in der späteren Kolonie Deutsch-Südwestafrika. Anhand detaillierter Beobachtungen der Handlungsweisen und Moralvorstellungen bildet sich in ihm ein gefestigteres Bild der unterschiedlichen Volkscharakteristika. Er beschließt nach diversen Verwicklungen in Scharmützel, aber auch nach ersten Erfolgen beim freien und unreglementierten Ausleben seiner Begabung und Neigung zum fleißigen Handwerkertum, seine Jugendliebe Melsene nachzuholen.
Das Leben der Siedlerfamilie ist geprägt von herben Rückschlägen, Intrigen, dem Neid der weniger fleißigen, aber eher dort angesiedelten Buren und den Schwierigkeiten, fernab von der väterlichen Scholle seine kulturelle Identität zu wahren, moralisch einwandfrei zu handeln und dennoch Hab und Gut zu schützen und zu mehren. Immer wieder werden Neuanfänge gewagt.
Das letzte Drittel des Buches löst sich immer mehr von einer konkreten und verständlichen, durchgängig erzählten Geschichte, wird zunehmend bildhaft und dreht die Rückschlags- und Neuanfangs-Mühle immer schneller und abstruser.
[Bearbeiten] Stil
Grimm schreibt historisierend, besonders verwendet er Worte und grammatikalische Konstruktionen, die zu Spielzeiten der Handlung längst ungebräuchlich waren; besonders die in den zwanziger jahren schon beinahe vergessenen Dativ-Endungen -e und -en (dem Tale zu, Melsenen ward sonderbar zumute ) werden von ihm exzessiv benutzt. Dennoch ist der Stil an sich nicht altmodisch, da durch den allmählichen Übergang vom sachlichen Bericht zu einer bis ins abstruse reichenden Versatzstück-Reihung das Sisyphosartige am Leben eines tugendhaften Siedlers auf zwei Ebenen dargestellt wird. Grimm primitiven Historismus als Transportmittel einer ideologischen Botschaft vorzuwerfen, greift zu kurz und verkennt die hohe Qualität des Romans.
[Bearbeiten] Gesinnung und Ideologie
Das Menschenbild, welches von den Romanprotagonisten verkörpert wird, ist das des anständigen, gläubigen und fleißigen Handwerkers oder Bauern. Die abhängige Lohnarbeit wird der ehrlichen Wertschöpfung durch Bodenbearbeitung, Tierzucht und Handwerkskunst als erniedrigend und den Menschen trotz gutem Vorsatz zum Tier machend gegenübergestellt, jedoch werden auch Spekulanten, Großindustrielle und Profitgeier als höchst verwerfliche, der Allgemeinheit und dem Fleißigen schadende Personentypen hingestellt. Ebenso wird (in der Ruhrgebietsepisode des Romans) das populistische Radaubrüdertum der politischen Funktionäre und Aktivisten, egal ob Gewerkschafter oder Kaisertreue, als unanständig und anstößig dargestellt.
Zu diskutieren ist, ob das Scheitern dieses Menschentyps im Roman nun dafür steht, dass Grimm selbst nicht mehr an den Fortbestand und Erfolg dieses Ideals glaubt, oder ob der Roman gerade durch das (fremdverschuldete) Dauerscheitern eine Anstachelung zur Nachahmung sein soll.
Die Charakterisierung der Siedlergruppen Südwests enthält zwar aus heutiger Sicht als rassistisch angesehene Ausdrücke und Zuschreibungen (faule Kaffern, niederträchtige Buren, lügender Engländer), jedoch handelt die Hauptfigur stets im Sinne einer friedvollen Verständigung und übt von Respekt geprägten Umgang mit den anderen Bewohnern; regelmäßig scheitern diese Versuche jedoch daran, dass in Momenten der Bedrohung oder des unheilvollen Wirkens skrupelloser Einzelner das friedvolle Miteinander zerbricht und die Grundgesittung der Völker sich dann doch letztendlich Bahn schlägt. Bereinigt um die Wortwahl findet also keine Verurteilung der Volkseigenheiten statt, sondern lediglich eine Einstufung der Charakteristika als den Volkszugehörigen von der Natur anheimgegeben. Dies ist im zeittypischen Kontext als Mainstream zu bewerten und stellt keine Besonderheit oder ideologische Alleinstellung Grimms dar.
[Bearbeiten] Rezeption
Bis in die 50er Jahre hinein wurde Volk ohne Raum auch als Schulliteratur gelesen. Der Idealtypus des fleißigen, unpolitischen, ehrlichen deutschen Handwerkers, der unbeirrt seinen Weg geht und aber doch die Sitten und Gebräuche seiner Vorfahren achtet und bewahrt, war von den 1920er bis weit in die 1960er Jahre hinein deckungsgleich mit dem Selbstbild der Deutschen.
Der Titel jedoch ist durch die veränderte Sinnzuschreibung in der Nazizeit diskreditiert: Man begründete die Gewinnung neuen Siedlungsraums im Osten mit der Volk ohne Raum-These, die davon ausging, dass Deutschland weder Bodenschätze noch Nahrungsmittel für seine Bevölkerung aus sich selbst hervorbringen könne und man daher selbiges durch Gebietserweiterung gewinnen müsse.
