Wandervogel
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Als Wandervogel wird eine in ihren Anfängen 1896 entstandene Bewegung bürgerlicher Jugendlicher und junger Erwachsener bezeichnet, die angeregt durch die Ideale der Romantik vor dem autoritären Druck der Gesellschaft in die Natur flüchteten, um dort mehr nach ihren eigenen Überzeugungen zu leben. Dies war der Beginn der Deutschen Jugendbewegung.
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[Bearbeiten] Geschichte
Karl Fischer war in den 1890er Jahren Schüler des jungen Stenographie-Lehrers Hermann Hoffmann am Gymnasium Steglitz (heute zu Berlin), nahm an Wanderungen teil, die dieser für seine Klasse organisierte und wurde dadurch motiviert, selbst eine Wanderbewegung für Jugendliche ins Leben zu rufen. 1901 gründete er deshalb im Ratskeller des Steglitzer Rathauses den „Wandervogel-Ausschuß für Schülerfahrten e.V.“
Bald nach der Entstehung zerfiel der Wandervogel in verschiedene Gruppen, die jedoch ein Gefühl der Zusammengehörigkeit bewahrten. Die verschiedenen Ortsgruppen organisierten sich in verschiedenen Wandervogelbünden.
Am 11. und 12. Oktober 1913 fand auf dem Hohen Meißner bei Kassel der Erste Freideutsche Jugendtag statt. Dieser war als Protestveranstaltung gegen die patriotischen Veranstaltungen des Kaiserreiches zur Hundertjahrfeier der Völkerschlacht bei Leipzig gedacht. In der Meißner-Formel wurde das Ideal aller Beteiligten in Worten festgelegt. In Zusammenhang mit Kontroversen um 1912-1913 über Sexualität in der Wandervogelbewegung kam es bald nach dem Meißner Jugendtag zu einer "moralischen Panik" und zu öffentlichen Angriffen auf die Jugendbewegung (vgl. John A. Williams, "'Ecstasies of the Young'" in _Central European History_ 2001).
Insbesondere nach dem Ersten Weltkrieg kam es zu einer immer stärkeren Vermischung von Wandervogel und Pfadfindern, aus denen die bündische Jugend hervorging.
In diesem Sinne versteht man den Wandervogel als die erste Phase der deutschen Jugendbewegung, während man die Bündische Jugend als ihre zweite und die Jungenschaft als ihre dritte Phase ansieht.
Während bei der bündischen Jugend (beispielsweise Pfadfinder) auch gesellschaftliches und politisches Engagement immer stärker wurden, lag der Schwerpunkt bei den Wandervögeln auf der Fahrt, dem Naturerleben und einer romantisch verklärten Rückbesinnung auf die als ursprünglich empfundene Volkskultur.
[Bearbeiten] Wirkungsgeschichte
Die stark anwachsende Wandervogelbewegung begann schon bald auf die Gesellschaft zurückzuwirken.
Das heute weltumspannende Jugendherbergswerk und die Reformpädagogik haben zu einem erheblichen Teil ihre Wurzeln in der Wandervogelbewegung.
Nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden viele dieser Gruppierungen neu und existieren bis in die heutigen Tage in verschiedensten, voneinander unabhängigen Gruppierungen. (Siehe dazu die Artikel Jugendbewegung oder Bündische Jugend.)
Ein studentischer Ableger der Wandervogelbewegung ist die 1923 gegründete Deutsche Gildenschaft (siehe Studentenverbindung).
Noch heute ist am alten Rathaus von Steglitz (Berlin) ein Gedenkstein zur Gründung des Wandervogels zu finden.
[Bearbeiten] Etymologie
Die Bezeichnung Wandervogel für die Wanderbewegung wurde 1901 auf Vorschlag von Wolfgang Meyen gewählt. Nach der Auskunft von dessen Vetter Albrecht Meyen (vgl. Idee und Bewegung 56, 2001, S. 53/54) stammt der Begriff aus einem Gedicht Otto Roquettes (1824-1896) aus "Waldmeisters Brautfahrt Ein Rhein- Wein- und Wandermärchen" von 1851, das in der Steglitzer Wandervogel-Gruppe als Lied gesungen wurde. In dem Gedicht wird der Begriff Wandervogel zum ersten Mal auf Personen angewendet:
- Ihr Wandervögel in der Luft,
- im Ätherglanz, im Sonnenduft
- in blauen Himmelswellen,
- euch grüß' ich als Gesellen!
- Ein Wandervogel bin ich auch
- mich trägt ein frischer Lebenshauch,
- und meines Sanges Gabe
- ist meine liebste Habe.
Eine andere Deutung macht die Herkunft von Walt Whitmans Grashalmen (1855) abhängig, dessen Buch XVII den Titel Birds of Passage = Wandervögel trägt. Johannes Schlaf hat dann 1907 in seiner Auswahlübersetzung für Reclam den zweiten Gesang, den Gesang der Pioniere mit Wandervögel überschrieben:
- Alle Pulse dieser Erde
- Fallen ein und schlagen mit uns, schlagen mit des Westen Vormarsch;
- Einzeln und allzusammen; immer vorwärts, alles für uns!
- Pioniere! Pioniere!
Eine dritte Herleitung verweist auf den Grabstein von Kaethe Branco, geb. Helmholtz, in Berlin-Dahlem, dessen Grabinschrift folgendermaßen lautet:
- Wer hat Euch Wandervögeln
- Die Wissenschaft geschenkt,
- Daß Ihr auf Land und Meeren
- Nie falsch die Flügel lenkt?
- Daß ihr die alte Palme
- Im Süden wieder wählt,
- Daß ihr die alten Linden
- Im Norden nicht verfehlt?
[Bearbeiten] Literatur
- Hans Blüher: Wandervogel. Geschichte einer Jugendbewegung. Nachdruck der 2. Auflage von 1913/14. dipa, Frankfurt am Main 1976. ISBN 3-7638-0210-X
- Werner Helwig: Die Blaue Blume des Wandervogels. Überarbeitete Neuausgabe. Deutscher Spurbuchverlag, Baunach 1998. ISBN 3-88778-208-9
- Werner Kindt: Dokumentation der Jugendbewegung. Band II: Die Wandervogelzeit. Quellenschriften zur deutschen Jugendbewegung 1896 bis 1919. Diederichs, Düsseldorf 1968
- Nerohm (Fritz-Martin Schulz): Die letzten Wandervögel. 2. Auflage. Deutscher Spurbuchverlag, Baunach 2002. ISBN 3-88778-197-X
- Marion E. P. de Ras: Körper, Eros und weibliche Kultur. Mädchen im Wandervogel und der Bündischen Jugend 1900 - 1933.. Centaurus, Pfaffenweiler 1988. ISBN 3-89085-286-6
- Sabine Weißler: Fokus Wandervogel. Der Wandervogel in seinen Beziehungen zu den Reformbewegungen vor dem ersten Weltkrieg. Jonas Verlag, Marburg 2001. ISBN 3-89445-290-0
- Gerhard Ziemer, Hans Wolf: Wandervogel und freideutsche Jugend. Voggenreiter Verlag, Bad Godesberg 1961
[Bearbeiten] Siehe auch
- Naturfreunde, Burg Waldeck, Blaue Blume, Horrido
- Jugendsoziologie
- Nerother Wandervogel – Bund zur Errichtung der Rheinischen Jugendburg
- Jugendburg Streitwiesen