Anticholinerges Syndrom
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Anticholinerges Syndrom ist ein krankhafter Zustand des vegetativen Nervensystems, bei dem der Nervus vagus (Parasympathikus) in seiner bremsenden und dämpfenden Funktion weitgehend ausgeschaltet wurde.
Meist tritt das Syndrom im Rahmen von Vergiftungen mit Atropin bzw. Hyoscyamin, Antidepressiva, Neuroleptika, Antihistaminika oder nach Einnahme von giftigen Pflanzen aus der Familie der Nachtschattengewächse (Tollkirsche, Bilsenkraut, Stechapfel, Engelstrompete) auf.
Entgegen oft gehörten behauptungen wirken die Inhaltsstoffe des Fliegenpilz und des Pantherpilz (nämlich Ibotensäure und Muscimol) nicht antichlonerg und verursachen daher kein anticholinerges Syndrom.
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[Bearbeiten] Pathophysiologie
Der cholinerge Neurotransmitter Acetylcholin ist zerebral an verschiedenen Funktionen beteiligt, hierzu gehört unter Anderem das Bewusstsein. Wird dieser Effekt durch anticholinerge Substanzen, wie beispielsweise die oben genannten, antagonisiert führt dies zu einer Reihe neurologischer Symptome. Dieser antagonistische Effekt wird durch eine kompetitive Verdrängung vom Acetylcholinrezeptor erzielt.
[Bearbeiten] Einteilung
Man unterscheidet ein peripheres und ein zentrales anticholinerges Syndrom. In der Praxis treten meist sowohl zentrale als auch periphere Symptome auf. Beim zentralen anticholinergen Syndrom gibt es zwei Verlaufsformen:
- ruhige Form mit Schläfrigkeit bis zum Koma,
- erregte Form mit Unruhezuständen, Halluzinationen
Wichtig ist eine Einteilung nach dem Schweregrad:
- Schwere Form
- Tachykardie über 150 / min
- Koma mit Beatmungspflichtigkeit
- Extreme Unruhe und Agitiertheit
[Bearbeiten] Symptome
Man unterscheidet periphere von zentralen Symptomen. Zentrale Symptome sind diejenigen, die das Zentrale Nervensystem (Gehirn) betreffen. Es können zwei Verlaufsformen unterscheiden werden.
1. Delirante Form mit
- Angst, Unruhe
- Verwirrtheit, Desorientiertheit
- visuelle oder auditive Halluzinationen
- Bewegungsstörungen (Myoklonien, Dysarthrie)
- Krampfanfälle
2. Somnolente Form
- verzögertes Erwachen nach der Narkose
- Schläfrigkeit (Somnolenz) bis hin zum Koma
- im Extremfall bis hin zum Atemstillstand
Bei beiden Verlaufsformen können die folgenden peripheren Symptome auftreten:
- trockene, heiße, gerötete Haut durch
- Verminderte Schweißproduktion
- Fieber (Hyperthermie)
- weite Pupillen (Mydriasis)
- Störungen der Akkommodation, das heißt im Wesentlichen verschwommenes Sehen
- Mundtrockenheit, Durst durch
- Verminderte Speichelproduktion
- verminderte tracheobronchiale Sekretion
- Schluckstörungen
- Herzrhythmusstörungen
- zu schneller Puls (Tachykardie)
- Supraventrikuläre Extrasystolen
- Selten (bei hoher Dosis) AV-Überleitungsstörungen
- Magen-Darm Atonie
- Harnverhaltung (durch Blasenatonie)
[Bearbeiten] Therapie
Patienten mit einem anticholinergen Syndrom müssen auf einer Intensivstation überwacht werden. Bei Unruhe und Halluzinationen ist eine Fixierung notwendig. Es wird das Gegenmittel Physostigmin verabreicht. Manchmal wird versucht durch eine forcierte Diurese eine schnellere Ausscheidung aus dem Körper zu erreichen. Magenspülungen werden nur in Ausnahmefällen empfohlen, da die Aspirationsgefahr den Nutzen überwiegt und ist beim bewußtseinseingetrübten Patienten ohne künstliche Beatmmung (Intubation) kontraindiziert. Eine besondere Rolle in der Therapie spielt die Aktivkohle, die als Adsorbens verabreicht wird, um die Giftaufnahme aus dem Verdauungstrakt zu verhindern.