Brandung (Martin Walser)
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Brandung (1985) ist ein Roman von Martin Walser (ISBN 3518378740).
[Bearbeiten] Handlung
Wieder steht Helmut Halm, der Protagonist der Novelle Ein fliehendes Pferd, im Mittelpunkt des Geschehens. Diesmal erreicht den Englisch- und Deutschlehrer zu Beginn der großen Ferien ein Anruf eines ehemaligen Studienkollegen mit der Bitte, stellvertretend für einen ausgefallenen Wissenschaftler einen Lehrauftrag an der Collegestufe der Universität von Los Angeles zu übernehmen. Je länger sich Halm, der zunächst abgewehrt hat, die Sache überlegt, desto deutlicher wird ihm, dass er weder den stellvertretenden Schulleiter, der ihn sich als Opfer seiner Attacken ausgesucht zu haben scheint, noch die Spanische Fliege, die ewig beleidigte Schulsekretärin, länger ertragen kann und Rainer Mersjohanns Bitte unbedingt nachkommen muss. So fliegt er denn mit seiner Frau Sabine und der Tochter Lena, die eben erst eine gescheiterte Beziehung hinter sich hat, nach Kalifornien, während der alte Spaniel Otto in Deutschland bleiben muss. Die erste Begegnung mit den Wogen des Ozeans nimmt beinahe ein böses Ende; Halm wird von der Brandung zu Boden geschleudert und seine grotesken Leiden in den nächsten Tagen nehmen sein Dasein als alter Mann vorweg... Mersjohann, den er Sabine als schmale, biegsame Apostelfigur geschildert hat, ist auch nicht wiederzuerkennen - ein freundlicher Alkoholiker, dessen Frau sich innerlich von ihm getrennt hat und dessen Sohn verschwunden ist. Die Halms machen Bekanntschaft mit dem Campusleben und seinen diversen illustren Gestalten. Sabine muss jedoch bald nach Stuttgart zurückkehren, da kurz nach dem Tod ihrer Mutter nun auch ihr Vater im Sterben liegt. Helmut, der Fünfundfünfzigjährige, geht schnell auf die Avancen der "schönen Dummen" ein, einer Studentin aus seinem Konversationskurs. Diese Fran, vielleicht die Typischste von allen, ein All-American-Girl mit, wie böse Zungen zusammenfassen, Porsche und Papa-Praxis in Pacific Heights, lässt ihn zwar ebensowenig physisch näherkommen wie vor Jahren eine andere Schülerin in Deutschland - dieses Abenteuer hat er längst erzählend und gestehend mit Sabine aufgearbeitet -, beschäftigt ihn aber intensiv. Während Europa im grauen Nebel versinkt und zum Kontinent der Agonien wird - am Schluss des Buches sind nicht nur die Schwiegereltern und der Schulleiter, sondern auch der Hund (nahezu) tot -, kleidet sich Helmut unter der strahlenden Sonne Kaliforniens neu ein, entdeckt das Joggen und die gesunde Ernährungsweise für sich und arbeitet an einem Vortrag (über Heinrich Heines Laura und Asra, welche sterben, wenn sie lieben...), der ihm nicht nur ein Extrahonorar einbringen, sondern auch das Mädchen aus dem Konversationskurs beeindrucken soll. Doch als er auf dem Podium steht, muss er feststellen, dass Fran nicht im Publikum ist. Sie hat den Termin offenbar gar nicht zur Kenntnis genommen. Bedrückt von dieser Erkenntnis und angeschlagen von einem Vormittag in der Hitze, bricht Halm in einem Anfall von Kreislaufschwäche zusammen. Körperlich noch mehr lädiert wird er bei einer Abschiedsfeier, die Fran vor seiner Heimkehr nach Europa ausrichtet - beim Tanzen stürzen die beiden so unglücklich, dass Halm eine Gesichtsverletzung, die genäht werden muss, erleidet, Fran sich einen Knöchel bricht. Äußerlich also übel zugerichtet, kehrt er nach Europa zurück - zurück in sein von der Verwandtschaft, die auf das Kapital aus ist, bedrohtes altes Haus, zurück zu den alten Möbeln, die man einst lieblos zusammengekauft hat, um nach einem Vierteljahrhundert festzustellen, dass eine Änderung sich nun auch nicht mehr lohnt, zurück zu den Kollegen, zurück zu Sabine. Rainer Mersjohann weilt inzwischen auch nicht mehr unter den Lebenden, und kaum ist Halm wieder zu Hause, erreicht ihn Post aus Amerika: Fran, deren Krücken sich im Auto verkeilt haben und sie so auf dem Sitz festgehalten haben, ist in ihrem Wagen gestorben, der in die Brandung des Ozeans gestürzt ist. In einer Ringkomposition greift Walser am Schluss des Romans den ersten Satz wieder auf und lässt Helmut Sabine von seinen Erlebnissen zu berichten beginnen.
Wie schon in der Novelle Ein fliehendes Pferd wird in diesem Roman dem Element Wasser die Aufgabe übertragen, für Klärung und "Richtigstellung" der äußeren Verhältnisse zu sorgen.