Der Spiegel im Spiegel
aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Der Spiegel im Spiegel - Ein Labyrinth ist eine surrealistische Geschichtensammlung von Michael Ende von 1983.
Ende schrieb die 30 Kurzgeschichten für seinen Vater Edgar Ende, dessen 18 surrealistische Zeichnungen, die dem Buch beigefügt sind, seine Erzählungen stark beeinflussten. Alle Geschichten haben eigene Hauptfiguren, beziehen sich jedoch sehr lose und assoziativ aufeinander, in dem z.B. Zitate oder Themen unvermutet in einem Nebensatz wieder aufgegriffen werden. Keine der Erzählungen trägt einen eigenen Titel. Auf eine numerische Ordnung wurde verzichtet, genauso wie auf ein Inhaltsverzeichnis.
[Bearbeiten] Themen und Motive
Allen gemeinsam ist der düstere Charakter von Alpträumen und das Thema der Sinnlosigkeit. Besonders markant sind die ewig gleichen Gesten, Tätigkeiten oder Gedanken, denen die Personen unterworfen sind, ob es sich um das sinnlose Patroullieren zweier Soldaten handelt, um das Zusammenraffen in Fülle vorhandenen Geldes, den Gang durch die Wüste in der Mitte des Zimmers oder das Lernen auf eine nicht mehr stattfindende Prüfung. In dieser Atmosphäre erscheinen Figuren, die um die Sinnlosigkeit eines Streites, einer Sitzung oder einer wundersamen Geldvermehrung wissen, doch den oft genug furchtbaren Lauf der Dinge nicht aufhalten oder ändern können und von ihm mitgerissen werden oder selber zum Opfer des unabänderlichen Laufs der Dinge werden.
Ein weiteres wichtiges Element ist die Darstellung von oftmals sinnlos erscheinender brutaler körperlicher Gewalt, die das Buch deutlich von Endes Kinderbüchern distanziert.
Motto der Geschichtensammlung ist die Losung: "Was spiegelt sich in einem Spiegel, der sich in einem Spiegel spiegelt?". Auf diese Frage gibt Ende im gesamten Buch keine logische Antwort. Das liegt vor allem daran, dass der Leser sich mit kausalen Zusammenhängen und argumentativer Logik in diesem Werk verlieren wird - dies ist eine mögliche Bedeutung des Untertitels "Ein Labyrinth".
Deutlich in Endes Werk herauszuhören ist die Kritik an einer unmenschlichen Gesellschaft. Drastisch wird dies in der Geschichte um die Verhandlung um das Leben eines ungeborenen Kindes deutlich, in der zwei Anwälte erbittert darum streiten, ob es einem menschlichen Wesen aufgrund seines eventuellen späteren Verhaltens erlaubt sein soll zu leben oder nicht. Der in derselben Verhandlung anwesende Schutzengel ist der einzige, welcher der Argumentation massiv entgegenwirkt. Sein imposantes Eingreifen zeigt jedoch keinen Erfolg. Der Richter selbst ist es schließlich, welcher die Menschwerdung des Ungeborenen verhindert.
Die vergebliche Sehnsucht nach Freiheit ist es, welche die meisten eigenständigen Individuen der Geschichten auszeichnet. Am klarsten dargestellt wird dieses Motiv durch den ewig in seinem Labyrinth gefangenen Hor, der sein monotones Leben als einziger aus eigener Sichtweise schildert. Auch die Geschichte des Jünglings, der sich "unter der kundigen Anleitung seines Vaters ein Paar Schwingen erträumt" hatte, beschreibt den aussichtslosen Aufbruchsversuch aus der ummauerten Stadt. Die speziell für ihn ausgesuchte Aufgabe, die der Jüngling gestellt bekommt, besteht darin, mit einem Netz bekleidet durch die Stadt zu ziehen. Durch die vielen Gegenstände, die ihm als Beigabe in das Netz geflochten werden, ist er schließlich zu schwer für seinen Flug.
Die Rolle der Liebe ist in zwei Erzählungen Grundthema. Die erste handelt von einem Hochzeitspaar, dass in der Wüste in der Mitte des Zimmers den kürzesten Weg zum Partner sucht; während der endlos scheinenden Wanderung altern beide vom Jugendalter bis zur Vergreisung, so dass der eine den anderen immer erst erreicht, wenn einer beider Partner schon fast am Ende des Lebens angelangt ist, während der andere noch in der Blüte seiner Jahre steht und ungeduldig dem Treffen entgegengeht. Die Erzählung begleitet dabei den Bräutigam, der am Anfang seiner Reise einer Greisin aus Mitleid einige Blumen zuwirft, während ihm am Ende seiner Reise dasselbe mit seiner jungen Braut passiert, als er längst gealtert ist. Die begleitende Gestalt kommentiert dazu, dass beide glücklich sein könnten, sich noch zu treffen, weil das nicht der Regelfall sei.
Die zweite Erzählung schildert kurz und drastisch den Ablauf eines Familienlebens in monotonen Zyklen, die ohne Anzeichen gegenseitiger Sympathie zwischen den Partnern beschrieben wird. Die Uhr schlägt die Stunden, der Mann geht in den Stall und schlachtet eine Kuh, die Mutter sitzt auf dem Küchentisch und gebiert ein Kind, das zu den anderen Kindern gesteckt wird, der Mann geht in den Stall und betrinkt sich. Auf diese Art geht das Leben weiter, bis der Mann irrtümlicherweise dem Leben seiner Frau ein Ende setzt. Die älteste Tochter nimmt ihren Platz ein, im Flur erscheint ein fremder Mann, der Zyklus läuft weiter.
Die Suche nach Sinn zeigt sich am deutlichsten in der Geschichte von dem Volk, das auf der Suche nach einem verlorengegangenen Wort ruhelos durch die Welt streift. Ohne das fehlende Wort, erklären sie einer fragenden Frau, ging der Sinn des Gesangs, der die Welt zusammenhielt, verloren. Er war nicht mehr vollständig. Seit dieser Erkenntnis begann die Suche nach dem verlorengegangenen Wort.
Insgesamt bietet "Der Spiegel im Spiegel" ein surrealistisches, verstörendes und düsteres Traumbild ohne Anfang und Ende. Durch alle Abschnitte zieht sich der Gedanke der Sehnsucht nach Auswegen aus den bisherigen Verhältnissen, dem Labyrinth, das sich für jede Figur anders gestaltet.
[Bearbeiten] Rezeption
"Der Spiegel im Spiegel" wurde in 13 Sprachen übersetzt und als Hörbuch verarbeitet. Ebenso schrieb Arvo Pärt eine Komposition für Klavier und Violine zu diesem Thema.