Hamburger Schule (Popmusik)
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Die Hamburger Schule ist eine lose Musikbewegung, die Ende der 1980er Jahre entstand. Sie knüpfte an Traditionen der NDW an und verband sie mit Elementen von Punk, Grunge und Pop. Sie war (und ist) damit ein wichtiger Teil der deutschen Jugendkultur und brachte ein neues Selbstverständnis für den Gebrauch der deutschen Sprache in der Popmusik mit sich.
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[Bearbeiten] Begriff
Geprägt wurde der Begriff „Hamburger Schule“ von taz- Redakteur Thomas Gross in einem Artikel anlässlich der fast gleichzeitigen Veröffentlichung zweier Alben: Cpt. Kirk &. - Reformhölle und Blumfeld - Ich-Maschine. Die angedeutete Ähnlichkeit zur Frankfurter Schule sollte die Beschäftigung mit Themen beschreiben, für die deutschsprachige Musik bislang nicht bekannt war.
Anfangs rein von Hamburger Bands wie Cpt. Kirk &., Kolossale Jugend, Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs, Die Erde, Blumfeld, Die Goldenen Zitronen oder Huah! getragen, ist die Hamburger Schule nicht einfach ein "Sammelbecken ähnlich klingender Musik". Sie zeichnet sich vor allem durch deutschsprachige Texte aus, die oft hohen intellektuellen Anspruch haben sollen und umfangreich mit Gesellschaftskritik und postmodernen Theorien verbunden sind. Darum war und ist es auch nicht verwunderlich, dass ihr insbesondere von der linksintellektuellen Musikpresse wie etwa der Spex gehuldigt wurde. Im Vordergrund steht aber nicht allein die deutsche Sprache, denn wie schon bei den frühen Punks in Deutschland wurde diese weniger bewusst gewählt, sondern war ganz natürlich als Muttersprache das Medium Ausdruck und Inhalt. Die Homogenität findet sich somit im Hintergrund - in den Einstellungen gegenüber einer „modernen“ Welt – in der Musik – vielleicht auch einer der Gründe, warum vor allem die frühen Bands der Hamburger Schule deren Existenz gerne bestreiten. Die sozialen und insbesondere politischen (einige Bands waren personell verflochten mit den so genannten Wohlfahrtsausschüssen in den 90ern) Verflechtungen und Kooperationen allerdings unterstützten den Bewegungsgedanken wiederum.
[Bearbeiten] Die Anfänge
Ende der 1980er entstand in Hamburg eine deutschsprachige Musikszene, deren Bands aber bis auf „Die Antwort“ keinen Plattenvertrag hatten und nicht veröffentlichten. Erst mit der Gründung des Labels L'age d'or im Oktober 1988 bekam diese Musik ihre Plattform. Dessen Gründer Carol von Rautenkranz und Pascal Fuhlbrügge gaben vielen Bands Verträge und veröffentlichten eine Vielzahl Alben. Großen Anteil an der Hamburger Schule hatte von Beginn an auch Chris von Rautenkranz. Der Bruder von Carol von Rautenkranz produzierte und produziert viele L'age d'or-Bands im bereits legendären Hamburger Tonstudio „Soundgarden“. Ebenfalls großen Einfluss auf das Wirken der Hamburger Schule hatte Alfred Hilsbergs Label What's so funny about?. Hier erschienen beispielsweise die revolutionären ersten Blumfeld-Alben, Die Erde, Cpt. Kirk &. und Mutter, die jedoch in Berlin ansässig sind.
Bald zählte man auch andere deutschsprachige Bands aus anderen Teilen des Landes zur Hamburger Schule. Es entstand zum Beispiel die „Hamburg-Ostwestfalen-Verbindung“: In Bad Salzuflen, Ostwestfalen hatte sich eine eigene Szene deutschsprachiger Musik gebildet, aus der das Label Fast Weltweit entstanden ist. Zu den Gründern gehörten Frank Werner, Frank Spilker (Die Sterne), Michael Girke, Bernadette La Hengst (Die Braut haut ins Auge) und Jochen Distelmeyer (damals „Bienenjäger“, heute Blumfeld). Die Hamburgverbindung entstand durch Bernd Begemann, der, auch aus Bad Salzuflen stammend, als erster nach Hamburg zog um dort die Band „Die Antwort“ zu gründen. Dadurch traten immer wieder Fast-weltweit Bands in Hamburg auf, bis viele der Musiker schließlich selbst nach Hamburg zogen. Weitere Hamburger-Schule-Bands der ersten Generation stammen ebenfalls nicht aus Hamburg, wie Tilman Rossmys Die Regierung aus Essen; oder die Post-Funpunk Band das neue Brot aus Emden.
[Bearbeiten] Aufstieg und Fall
Mitte der 1990er Jahre wurden insbesondere drei Bands sehr erfolgreich: Blumfeld, Die Sterne und Tocotronic. Die Hamburger Schule galt zu dieser Zeit als Inbegriff und Begründer des deutschen Indiepops. Ferner erlangten durch den Erfolg der Hamburger Schule auch viele deutschsprachige Gitarrenbands eine höhere Bekanntheit, deren Ansätze in Musik und Text nicht unbedingt mit der Hamburger Schule zu vergleichen waren. Durch die Etablierung einer landesweiten, deutschsprachigen Indiepopszene verlor der Begriff „Hamburger Schule“ allerdings allmählich an Bedeutung. Aus Anlass des neu entstandenen Trends zu deutschsprachiger Musik, der sogenannten "neuen" neuen deutschen Welle, äußern Tocotronic sich auf ihrer Website wie folgt:
(...) Die Umstände der Popkultur in Deutschland machen ein Debattenstatement von Tocotronic nötig: „Sehr geehrte Damen und Herren, wie schon an anderer Stelle vermerkt, lehnen wir, die Gruppe Tocotronic, Nationalismus, Deutschtümelei und Heimatduseligkeit seit Anbeginn aller Zeiten ab. Umso erstaunter sind wir nun, dass schon zum zweiten Mal in unsrer bewegten Karriere der Versuch unternommen wird, deutsche Musik zu nationalisieren und eine Quote für hiesige Produktionen im Rundfunk einzurichten. Gerechtfertigt wird dies mit zweifelhaften wirtschaftlichen Argumenten. Wohin die Reise geht ist völlig klar: Wir sind wir, auferstanden aus Ruinen und fühlen uns deutsch und sexy und haben es satt uns im eigenen Land ständig marginalisiert zu fühlen, wir werden förmlich überschwemmt von der angloamerikanischen Kulturindustrie, es gibt doch eine coole, heimatverbundene deutsche Musikszene, der geholfen werden muss und pi, pa und po. Wir sagen ganz deutlich, wie so oft in unserem Leben: Wir sind dagegen! Und fragen: Lebt denn der alte Holzmichl noch? Mit herzlichem Gruss, Tocotronic“ (...). PS: Tocotronic lehnten 1995 den Viva-Musikpreis Comet in der Kategorie Jung, Deutsch und auf dem Weg nach oben ab mit der Begründung „Wir sind nicht stolz darauf jung zu sein, wir sind nicht stolz darauf deutsch zu sein, und auf dem Weg nach oben, naja...“
Weitere Künstler, die der Hamburger Schule zugeordnet werden, sind: etwa die Lassie Singers, Milch, Mutter, Rocko Schamoni, Achtung! Kabel oder auch die Moulinettes. Allerdings muss hier festgestellt werden, dass die Bandbreite der musikalischen Inhalte mit der Zeit derart zunahm, dass von einem einheitlichen Musikstil kaum mehr gesprochen werden kann. Interessant ist, dass sich einige Bands der Hamburger Schule vor allem in Österreich und der Schweiz etablieren konnten und deren eigenen Musikstil beeinflusst haben (Gruppen wie Heinz oder Die Aeronauten unterstreichen das). Da einige Bands aus dem musikalischen Umfeld inzwischen teils auch wieder fremdsprachige Texte verwenden, löst sich der Genrebegriff zusehends mehr auf.
[Bearbeiten] Wiederbelebung
Ende der 90er kam es zu einer neuen Welle deutscher Gitarrenmusik mit intellektuellem Anspruch, die für manche Hörer eine Ähnlichkeit zur Hamburger Schule aufwies: Eine neue Generation von Musikern, die sich erkennbar an deren Tradition orientiert und sich eine durch höhere musikalische Homogenität (Gitarrenpop mit Punk-Anleihen) auszeichnet. Zu dieser neuen Generation gehören zum Beispiel Spillsbury, Kettcar, Klee, Erdmöbel, Kajak, Justin Balk, Virginia Jetzt!, Astra Kid, Anajo, Kante, fernlicht, Wir sind Helden, Fotos oder Tomte.
Ein sehr eng mit dieser Musik zusammenstehendes Fanzine ist die Zeitschrift Pittiplatsch3000, die sich zwar nicht ausschließlich, aber mit sehr viel Liebe den unbekannten deutschsprachigen Bands verschrieben hat und mit ihren kleinen aber feinen pOP yOU-Compilations einen schönen Überblick über die unbekannte deutsche Szene gibt.
Im Mittelpunkt stehen bei diesen Bands Themen wie Liebe, Gefühle, Romantik und Poesie, und seltener die ursprüngliche Gesellschaftskritik, daher ist diese Zuordnung vornehmlich formaler Art und entfernt sich eher von der eigentlichen Konzeption der Hamburger Schule. Vielmehr ist die neue Welle deutschsprachiger Gitarrenbands Teil eines Trends, der vom Alternative bis weit in den Mainstream hineinreicht - zu den erfolgreichsten Protagonisten gehören Juli und Silbermond. Die oben genannten Schwerpunkte beeinflussten jedoch wesentlich junge deutsche Literatur der sogenannten Nach-Popliteratur-Ära, so Thees Uhlmann und Jan Drees.
Im September 2002 gründeten Thees Uhlmann von Tomte und Marcus Wiebusch und Reimer Bustorff von Kettcar in Hamburg das Label Grand Hotel van Cleef, das sich wie auch L'age d'or besonders um die regionale Szene verdient macht. Obwohl die Gründung von GHVC vielleicht eine der bedeutenden in diesem Bereich ist gibt es auch viele neue kleine Labels und Bands, die die Szene in der jüngeren Zeit deutlich vorangebracht haben. Ein jährliches Treffen der manchmal scherzhaft als "Trainingsjackenfraktion" benannten Gitarrenpopfans ist das Immergutfestival bei Neustrelitz, nördlich von Berlin.
Kategorien: Musikgenre | Punk | Rock | Kultur (Hamburg)