Holzstich
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Der Holzstich (begrifflich etwas ungenau auch als Xylografie bezeichnet) ist eine heute nur noch zu künstlerischen Zwecken gebräuchliche Methode des Hochdruckverfahrens, die gegen Ende des 18. Jahrhunderts von Thomas Bewick aus dem Holzschnitt entwickelt wurde.
Mit dem Zeitalter der Aufklärung begann eine Epoche, in der die Nachfrage nach Zeitschriften und Büchern Druckauflagen in bisher unbekannter Höhe erforderlich machte. Für Veröffentlichungen aller Art, besonders aber für populärwissenschaftliche Darstellungen benötigte man preisgünstige, gleichzeitig aber differenzierte, aussagekräftige Illustrationen. Seit zweihundert Jahren hatte der Kupferstich den Holzschnitt als vorherrschende Technik zur Vervielfältigung von Abbildungen abgelöst. Den neuen Anforderungen war er nicht gewachsen - er war aufwendig in der Herstellung, also teuer, und für hohe Auflagen wenig geeignet. Der englische Grafiker und Graveur Thomas Bewick (1753-1828) entwickelte eine verbilligte, leistungsfähige Reproduktionstechnik. Er griff wieder auf das Holz als Material zurück, revolutionierte aber seine Anwendung.
Für den klassischen Holzschnitt wurden meist relativ weiche Obstbaumhölzer verwendet, die wie übliche Bretter in Richtung der Holzfaser gesägt worden waren. Schnitt- und Kerbmesser sowie - für größere Flächen - Stemm- und Hohleisen waren die Werkzeuge, mit denen jene Partien tiefer gelegt wurden, die später nicht drucken sollten. Mit dieser Technik ließen sich kräftige grafische Wirkungen erzielen, nicht aber feine Abstufungen von Hell und Dunkel und detaillierte Bilder in kleinen Formaten – sehr schmale Stege wären im weichen, längs gemaserten Holz weggebrochen.
Bewicks Neuerung bestand darin, dass er Holzplatten verwendete, die quer zum Baumstamm und zur Maserung geschnitten waren, so genanntes Hirn- oder Kernholz von Harthölzern wie Buchsbaum. Als Werkzeuge benutzte er Stichel mit unterschiedlichen, meist V-förmigen Querschnitten. Stichel arbeiteten effektiv - bei jedem Schub ersetzten sie zwei Messerschnitte. Das Hirnholz bot dem Stichel in jeder Richtung den gleichen, gut kontrollierbaren Widerstand – anders als das zuweilen schwer berechenbare Langholz. Vor allem aber erlaubte es Parallel- und Kreuzlinien von bisher im Holzschnitt unerreichbarer Dichte und Präzision und damit die Darstellung feinster Tonabstufungen und Details. Sogar kleinste Elemente konnten nicht mehr ausbrechen, weil sie mit den senkrecht stehenden Fasern fest in der Holzplatte verankert waren.
Bewick selbst schuf meist kleinformatige, künstlerisch-illustrative Abbildungen, an denen die neue Technik zwar ablesbar ist, die aber in der Anmutung auch noch starke Ähnlichkeit mit dem hergebrachten Holzschnitt aufweisen. Mit der Verfeinerung der Methode verlor sich dieser Eindruck. Die Xylographie wurde zur meist verwendeten Reproduktionstechnik für Illustrationen im 19. Jahrhundert. Handwerklich perfekte, gesellschaftlich angesehene und hochbezahlte Facharbeiter sorgten dafür, dass die ständig wachsende Nachfrage nach gedruckten Bildern befriedigt werden konnte. In der zweiten Jahrhunderthälfte wurden sogar Fotografien mit ihren hochdifferenzierten Tonwerten in den Holzstich übertragen. Daneben lieferten Künstler wie Honoré Daumier und Gustave Doré in Frankreich, Ludwig Richter und Adolph Menzel in Deutschland Zeichnungen mit detaillierten Angaben für die Umsetzung in den Holzstich. Gerade Menzel beklagte aber auch die nüchterne Routine, zu der das Handwerk der Xylographen vielfach erstarrt war.
Die für die Wiedergabe von Graustufen im Massendruck erforderliche Rastertechnik war noch nicht erfunden und so mussten Fotografien zu Holzstichen übertragen werden. Das harte Hirnholz gestattete unmittelbare Druckauflagen von 100.000 Stück und mehr. Oft wurde aber der Original-Holzstich gar nicht mehr für den eigentlichen Druck benutzt, sondern nur noch für die Herstellung von Kopien, von denen man dann drucken konnte. Gebräuchlich waren Stereotypien oder Klischees, die verminderte, aber für die meisten Zwecke ausreichende Qualität lieferten oder galvanoplastische Kopien, deren Druckergebnisse vom Original kaum zu unterscheiden waren. Um 1900 setzte sich das fotomechanisch gerasterte Klischee durch. Der Holzstich wurde zuerst in Presseerzeugnissen, später auch in anderen Bereichen verdrängt, hielt sich aber vereinzelt als kommerzielle Anwendung bis weit ins 20. Jahrhundert hinein; noch in den 1960er Jahren war er wegen seiner klaren, bestimmten Darstellungen in manchen Werbekatalogen, Dokumentationen und Fachliteratur zu finden.
Verschiedene Grafiker trugen im 20. Jahrhundert zur künstlerischen Erneuerung des Holzstichs bei. Zu nennen sind hier:
- Wladimir Faworski (1886-1964), zeitweilig Dozent an einer avantgardistischen Schule für Design in Moskau.
- Imre Reiner (1900-1987), Maler, Grafiker und Typograf, der in Frankfurt, Stuttgart, später in London, Paris, New York und Chicago tätig war.
- Karl Rössing (1897-1984), ein gebürtiger Österreicher, der in Essen und Stuttgart lehrte.
- Werner Klemke (1917-1994), Buchkünstler und Hochschullehrer in Berlin.