Jungbullenfall
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Mit Jungbullenfall wird in der deutschen Rechtswissenschaft ein klassisches Fallbeispiel bezeichnet. Es basiert auf einem Urteil des Bundesgerichtshofes vom 11. Januar 1971 (Fundstelle BGHZ 55, 176; Az. VIII ZR 261/69). Das Urteil behandelt das Zusammentreffen des Eigentumserwerbs durch Verarbeitung einer Sache (§ 946 BGB mit den Regeln des gutgläubigen Erwerbs vom Nichtberechtigten nach §§ 932 ff. BGB und den Ansprüchen aus ungerechtfertigter Bereicherung, §§ 812 ff. BGB).
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Sachverhalt
Ein Dieb stahl dem klagenden Landwirt zwei Jungbullen und verkaufte sie für 1701 DM an einen Wurstfabrikanten, der davon ausging, dass der Dieb Eigentümer der Tiere war. Der Wurstfabrikant verwertete die Tiere in seiner Fleischwarenfabrik. Die Vorinstanzen haben den Wurstfabrikanten antragsgemäß verurteilt, an den Landwirt 1701 DM Wertersatz zu zahlen. Mit der zugelassenen Revision beim BGH erstrebt der Wurstfabrikant Klageabweisung. Der Landwirt beantragt, die Revision zurückzuweisen.
[Bearbeiten] Zusammenfassung des Urteils
Zunächst stellt der BGH fest, dass der Fabrikant durch den Erwerb der Tiere nicht Eigentümer werden konnte, weil es sich um Diebesbeute handelte. An gestohlenen Sachen kann man nach § 935 Abs. 1 BGB kein Eigentum erwerben, auch wenn man (gutgläubig) nichts von dem Diebstahl weiß.
Der Fabrikant wurde aber gemäß § 950 BGB zu dem Zeitpunkt Eigentümer, als er nach Schlachtung der Tiere das Fleisch in seinem Betrieb verarbeiten ließ. Der Landwirt hat mithin das Eigentum an den Tieren „infolge der Vorschrift“ des § 950 BGB eingebüßt. Der Landwirt fordert deshalb von dem Fabrikanten Ersatz für den Eigentumsverlust. Nach § 951 Abs. 1 Satz 1 BGB kann er deshalb „Vergütung in Geld nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung verlangen“. Dabei handelt es sich nach Auffassung des BGH um eine Rechtsgrundverweisung, deshalb hat der Landwirt einen solchen bereicherungsrechtlichen Anspruch nur, wenn auch die allgemeinen Voraussetzungen eines Bereicherungsanspruchs vorliegen. Dazu müsste insbesondere der Fabrikant das Eigentum an dem Fleisch im Verhältnis zum Landwirt ohne rechtfertigenden Grund erlangt haben.
Einen solchen rechtfertigenden Grund könnte man in dem Vertrag mit dem Dieb suchen. Die Gutglaubensregeln der §§ 932 ff. BGB regeln den Interessenkonflikt, der entsteht, wenn ein Nichtberechtigter im eigenen Namen eine fremde Sache an einen gutgläubigen Dritten veräußert, und zwar zugunsten des Dritten für den Fall, dass die Sache dem Eigentümer nicht abhanden gekommen ist. In diesem Fall wird der Dritte gemäß §§ 932 ff. BGB Eigentümer und darf das Eigentum behalten, ohne dem früheren Eigentümer ausgleichungspflichtig zu sein. Der Vertrag des Nichtberechtigten mit dem Dritten ist in diesem Fall der die Vermögensverschiebung rechtfertigende Grund. Hier ist die Sache dem Landwirt jedoch durch Diebstahl abhanden gekommen. In diesem Fall löst das Gesetz den Interessenkonflikt zugunsten des Eigentümers, der sein Eigentum nicht verliert. Der Vertrag mit dem Dieb rechtfertigt hier also nicht den Eigentumsverlust des Landwirts.
Ändert sich an dieser Situation etwas, weil durch Verarbeitung oder Vermischung nach §§ 946 bis 948, 950 BGB das Eigentum später dennoch auf den gutgläubigen Dritten, hier den Fabrikanten, übergeht, wird dadurch nicht etwa der Vertrag mit dem Dieb rückwirkend zum rechtfertigenden Grund.
Der Eigentumserwerb des Dritten beruht nicht auf diesem Veräußerungsgeschäft, dem im Gegenteil § 935 BGB jede Rechtswirksamkeit abspricht, sondern allein auf den §§ 946 ff. BGB. Damit hat der Fabrikant das Eigentum ohne einen rechtfertigenden Grund erlangt, so dass die Voraussetzungen von §§ 951, 812 vorliegen.
Auch für den Umfang dieses Bereicherungsanspruchs gilt das gleiche wie für Bereicherungsansprüche bei unberechtigtem Verbrauch oder unberechtigter Veräußerung durch den Besitzer. In diesen Fällen kann nach gefestigter Rechtsprechung (BGHZ 9,333; 14,7; NJW 1970,2059) der aus § 812 oder § 816 BGB in Anspruch genommene frühere Besitzer die für den Erwerb der Sache einem Dritten erbrachte Leistung nicht gemäß § 818 BGB in Ansatz bringen. Denn der Bereicherungsanspruch ist an die Stelle des Herausgabeanspruchs nach § 985 BGB getreten. Diesem gegenüber könnte der Besitzer sich nicht auf die einem Dritten erbrachte Leistung berufen. Deshalb kann er es auch nicht gegenüber dem Bereicherungsanspruch
Der Landwirt kann also Ersatz für den Wert der Tiere nach §§ 951, 812 Abs. 1 Satz 1, 2. Alternative BGB verlangen.
[Bearbeiten] Aus den Gründen
- Amtlicher Leitsatz: „Wer eine gestohlene Sache gutgläubig kauft und sie so verarbeitet, daß er gemäß § 950 BGB Eigentümer der neuen Sache wird, schuldet dem Eigentümer der gestohlenen Sache eine Vergütung in Geld gemäß § 951 Abs. 1 Satz 1, ohne den an den Dieb gezahlten Kaufpreis anrechnen zu dürfen.“
[Bearbeiten] Weblinks
Siehe auch: Liste der Fallbeispiele in der Rechtswissenschaft.
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