Kerbholz
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Ein Kerbholz, oder Zählholz, ist eine frühe Zählliste, wobei für jeden einzelnen Vorgang mit dem Messer eine Kerbe in ein dafür geeignetes, längs gespaltenes Holz geschnitten wurde (sogar Knochen wurden wohl schon in der Altsteinzeit – vor 30.000 Jahren – verwendet). Je eine Hälfte wurde dann meist vom Gläubiger und Handelspartner aufbewahrt. Es war somit ein fälschungssicheres Zahlungsmittel, ähnlich Geld, zur Deckung von u.a. Steuerschuld.
An einem bestimmten Termin (Zahltag) wurde das Kerbholz präsentiert, mit dem Gegenstück verglichen und zur Zahlung aufgefordert.
[Bearbeiten] Traditionelle Verwendung
- Rechnungen
- Schulden aus einem Handel
- Steuerquittungen ("exchequer tallies")
- Fangmenge (z. B. Hering) der Fischer-Gemeinschaften (z. B. auf Hiddensee)
- getrunkene Biere im Gasthaus
- gewonnene oder verlorene Geldstücke beim Kartenspiel
- gekaufte Brote beim Bäcker
[Bearbeiten] Kulturgeschichte
Von dieser Zähl- und Buchhaltungstechnik leitet sich die noch heute gebräuchliche Redewendung "etwas auf dem Kerbholz haben" her. Sie bedeutet im eigentlichen Sinne "Schulden haben" und übertragen soviel wie "sich schuldig gemacht haben".
In England war es bis ins 19. Jahrhundert üblich Steuerquittungen in Form von Kerbhölzern ("exchequer tallies") auszustellen. Im Jahr 1834 wurde dieses altertümliche Verfahren durch eine Steuerreform schließlich abgeschafft. Eine gewaltige Zahl von Kerbhölzern war nun überflüssig geworden und am 16. Oktober 1834 entschloss man sich fahrlässigerweise diese im Hof des Parlamentsgebäudes (Westminster-Palast) zu verbrennen, welches daraufhin selbst von den Flammen des riesigen Feuers erfasst wurde und größtenteils abbrannte. Sechs Jahre später (1840) begann man mit dem Bau des neuen Parlamentsgebäudes, des uns heute bekannten Palace of Westminster mit dem berühmten Big Ben.
Siehe auch: Kerbstock · Knotenschnur · Ogham
[Bearbeiten] Literaturhinweise
- Michael Chatfield: 'Tally Stick', in: The History of Accounting. An International Encyclopedia, hg. v. Michael Chatfield, Richard Vangermeersch, New York u. London 1996 (Garland reference library of the humanities 1573), S. 575.
- Thomas Frenz: Kerbholz. In: Lexikon des gesamten Buchwesens, 2. Aufl., IV 201
- Axel Grandell: Karvstocken. En förbisedd kulturbärare, with an Engl. summary, Ekenäs 1982.
- Hilary Jenkinson: Medieval Tallies, Public and Private, in: Archaeologica or Miscellaneous Tracts 74 (1924), S. 289-351.
- Ludolf Kuchenbuch: Kerbhölzer in Alteuropa - zwischen Dorfschmiede und Schatzamt, in: The Man of Many Devices, Who Wandered Full Many Ways. Festschrift in Honor of János M. Bak. hg. v. Balázs Nagy u. Marcell Sebök, Budapest 1999, S. 303-325.