Landesstreik
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Der Landesstreik war ein Generalstreik, der vom 11. bis zum 14. November 1918 in der Schweiz stattfand. Es beteiligten sich gegen 400'000 Arbeiter und Gewerkschafter.
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[Bearbeiten] Vorgeschichte
Der Erste Weltkrieg verursachte auch in der Schweiz Elend und brachte soziale Ungerechtigkeiten. Daraus entstanden revolutionäre Unruhen. Noch während des Krieges fanden in der Schweiz internationale Sozialistenkongresse statt und die Sozialisten und Kommunisten verfolgten mit grossem Interesse die revolutionären Entwicklungen in Russland.
Infolge der militärischen Dienstzeit, Arbeitslosigkeit und Armut lebte 1918 ein Sechstel der Schweizer Bevölkerung unter dem Existenzminimum. Es gab eine starke Teuerung – die Preise verdoppelten sich während der Kriegsjahre, ohne dass die Löhne anstiegen. Und auch die eidgenössische Kriegssteuer (die heutige Bundessteuer), die eingeführt wurde, um die hohen Bundesausgaben zu finanzieren, trug das Ihre bei. Auf der anderen Seite gab es Kriegsprofiteure, die sich alles leisten konnten.
Aus diesen Missständen bildete sich um die Sozialisten und Arbeiterschaft das Oltener Aktionskomitee und wartete mit revolutionären Forderungen auf:
- Neuwahl des Nationalrates nach dem Proporzsystem
- Frauenstimmrecht
- Einführung einer Arbeitspflicht
- 48-Stunden-Woche
- Reorganisation der Armee zu einem Volksheer
- Ausbau der Lebensmittelversorgung
- Alters- und Invalidenversicherung
- Verstaatlichung von Import und Export
- Tilgung der Staatsschulden durch die Besitzenden
[Bearbeiten] Streikaufruf
Der Bundesrat reagierte auf diese Forderungen mit militärischen Drohungen. Das Aktionskomitee rief am 7. November 1918 zu einem Proteststreik auf, der am Samstag, 9. November, in 19 Industriezentren ruhig verlief. Die Arbeiterunion in Zürich setzte den Streik fort, und darauf kam es am 10. November zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Militär. Nun musste sich das Oltner Komitee entscheiden, ob es sich den Zürcher Arbeitern anschliessen möchte oder sich lieber ihnen distanzierte und so ihren Einfluss verlor. Das Komitee entschied sich für das erstere und rief für Dienstag, 12. November, zu einem unbefristeten, landesweiten Generalstreik auf.
[Bearbeiten] Streikablauf
Am 11. November organisierten Arbeitnehmer und Sozialisten lokale Streiks und Blockaden. Schliesslich beteiligten sich gegen 400'000 Arbeitnehmer an den Bestreikungen ihrer Betriebe. Fabriken, öffentliche Verwaltung, Eisenbahnen und Zeitungsdruckereien standen in den meisten Orten der Schweiz still. Der Bundesrat berief die Bundesversammlung zu einer ausserordentlichen Session ein und forderte den sofortigen Streikabbruch. General Ulrich Wille liess unter Führung von Divisionär Emil Sonderegger Zürich, Bern und weitere Zentren militärisch besetzen. Auch die Eisenbahn wurde militarisiert (durch Soldaten betrieben).
Zum Einsatz kamen vor allem Angehörige von Bauernregimentern, etwa aus dem Emmental. An verschiedenen Orten kam es zu kleineren Zusammenstössen, teilweise aber auch zu Toten (Grenchen). Weit mehr Opfer forderte freilich unter den Soldaten die Spanische Grippe, die damals gerade grassierte. Die in den Kriegsjahren wohlhabend gewordene Bauernschaft hatte im Zusammenhang mit dem Landesstreik einen hohen Blutzoll zu entrichten.
Bald wurde sichtbar, dass die Streikparole nicht über die organisierten Arbeiter und Angestellten hinaus zu wirken vermochte, und das Komitee erkannte die Ausweglosigkeit der Aktion. Darauf befahl es nach drei Tagen den Abbruch des Streiks. Er endete mit einer klaren politischen Niederlage des revolutionären Flügels innerhalb der Sozialdemokratie.
[Bearbeiten] Folgen
In einem öffentlichen Verfahren wurde die Verantwortung für den Landesstreik abgeklärt und die Hauptakteure des Oltner Komitees erhielten Gefängnisstrafen von 4 Wochen bis 6 Monaten Dauer. Das mit diesen in Verbindung gestandene russische Botschaftspersonal wurde ausgewiesen.
Die Forderungen der Sozialdemokraten wurden auch nach ihrer Niederlage ernst genommen. Der Streik zeigte seine Auswirkungen und im Oktober 1919 wurde bei den Nationalratswahlen vom Majorzsystem zum Proporzsystem gewechselt. Auch die meisten anderen Forderungen wurden in der Zwischenzeit demokratisch verwirklicht.