Neckar-Enz-Stellung
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Die Neckar-Enz-Stellung war eine Bunkerlinie in Baden-Württemberg.
Sie sollte bei einem Angriff von Westen her den Gegner abwehren und ihm den Weg nach Osten, also nach Berlin, versperren. Sie war 1934/35 erbaut worden und diente auch zur Erprobung neuer Bunkertypen, die später ebenfalls am Westwall und teilweise am Atlantikwall errichtet wurden. Die Neckar-Enz-Stellung galt in den frühen Jahren des NS-Regimes im Deutschen Reich als die wichtigste und stärkste Bunkerlinie Europas. Strittig ist, ob die französische Maginot-Linie diesen Titel nicht eher verdiente.
Aus heutiger Sicht erscheint es, als sei die Neckar-Enz-Stellung willkürlich, also ohne direkte Verbindung zum Umfeld erbaut worden. Doch in den 1930er Jahren litt Deutschland noch unter dem Vertrag von Versailles. Dieser verbot Deutschland militärische Verbände, also auch Bunkeranlagen, in Westdeutschland zu stationieren oder zu errichten. Zu Beginn seiner Herrschaft wollte Hitler keinen Konflikt mit den Alliierten riskieren. Denn hätte er zu diesem Zeitpunkt Bunkeranlagen an der deutsch-französischen Grenze errichten lassen, so wäre er das große Risiko einer militärischen Auseinandersetzung eingegangen, aus der die noch junge und schwache Wehrmacht sicher als Verlierer hervorgegangen wäre. 1934 verfügte das deutsche Heer nur über den leichten Panzerkampfwagen I, der den alliierten Panzern in keiner Weise gewachsen war.
Als 1937 mit dem Bau des Westwalls begonnen wurde, rückte die Neckar-Enz-Stellung immer weiter in den Schatten des „großen Bruders“, wie es unter Angehörigen der Wehrmacht hieß. Bei Kriegbeginn im September 1939 wurde die Bunkerlinie vom Oberkomando der Wehrmacht bereits als absolut kriegsunwichtig angesehen. Geplante oder im Gange befindliche Arbeiten wurden eingestellt. Die wenigen Soldaten, die die Bunker betriebsbereit hielten, wurden bis Januar 1942 komplett abgezogen, Waffen und sonstiges Gerät wurde demontiert und zum West-oder Atlantikwall transportiert und dort wieder eingebaut.
Fast vier Jahre lang wurden die Bunker nicht militärisch genutzt. Doch bei Bombenangriffen suchten immer wieder tausende Zivilisten der Region Schutz in den Bunkern (Bis März 1943 war dies ein Verbrechen und konnte mit Zuchthaus bestraft werden, eine Maßnahme, die jedoch nie angewendet worden war. Danach wurde es gesetzlich erlaubt). Es wurden einige Bunker wieder mit Maschinen zur Luft- und Wasserversorgung der Insassen ausgestattet und mit Personal besetzt. Schießscharten wurden mit Metallplatten verschlossen, um ein Eindringen von Splittern oder Geschossen zu verhindern. In einigen Bunkern befanden sich bei Luftangriffen bis zu 300 Menschen. Sie besetzten nicht nur die gesamten Räume der Anlagen, sondern auch Treppen und Toiletten, in denen teilweise schlechteste hygienische Zustände herrschten. Viele Bewohner der umliegenden Dörfer hatten sich bereits auf die Bombennächte eingestellt und legten in den Bunkern Nahrungsmittel und private Gegenstände für den Notfall bereit.
Als 1945 die Front näher rückte, versuchte das Oberkomando des deutschen Westheeres, die Bunkeranlagen wieder einsatzbereit zu machen. Zahlreiche davon waren in einem äußerst schlechten Zustand: Viele Bunker waren mit Wasser vollgelaufen, wiesen schwere Beschädigungen durch alliierte Fliegerbomben auf oder waren vollkommen marode, sodass sie kaum noch militärisch genutzt werden konnten. Halterungen für schwere Geschütz, die in die Wände eingelassen worden waren, litten unter Rostschäden und mussten ausgetauscht werden. Diesem schlechten Zustand lag nicht nur die jahrelange Verwahrlosung der Anlagen, sondern auch der ständigen Materialmangel beim Bau zugrunde. Der verwendete Beton war mit allen erdenklichen Stoffen „gestreckt“ worden. Steine, Holz und sogar Gips- Pulver wurde dem Baustoff beigemischt, um das Volumen zu erhöhen. Doch im Endeffekt schwächte es die Anlagen, sodass viele schon durch kleinkaliberige Waffen stark beschädigt werden konnten. Der Beton war zu diesem Zeitpunkt sogar dünner als jener, der später im Krieg am Atlantikwall verbaut wurde.
Zwar konnten einige Anlagen noch mit Waffen bestückt werden, doch über 80 % aller Bunker blieben stark unterbesetzt oder waren gänzlich ohne Besatzung und fielen nach nur kurzen Kämpfen in alliierte Hände. Von den geplanten Mannschaften von etwa 17.000 Mann waren gerade einmal 8.400 angetreten, die meisten davon schlecht ausgebildete Volkssturm- und HJ-Angehörige. Viele waren verwundet oder litten an Krankheiten. Der Kampfwert der Truppe war sehr gering. Auch die Moral und Einsatzbereitschaft war äußerst zweifelhaft: Fast 1.000 Fahnenflüchtige meldete das Oberkomando im Westen schon vor Beginn der Kämpfe um die Neckar-Enz-Stellung.
Unter den Truppen die zur Verteidigung der Neckar-Enz-Stellung eingesetzt werden sollten, befanden sich auch zwei sogenannte "Magenkranken-Bataillone", die aus insgesamt 630 Soldaten aller Altersklassen bestanden. Alle Angehörigen dieser Trupps litten an diversen Magenkrankheiten, die im Normalfall die Befreiung von der Wehrpflicht bedeutet hätten.
Der Kampf an der Neckar-Enz-Stellung hatte keine Auswirkung auf die Offensive der Alliierten, da diese die Linie einfach am Nord- und am Südende umgingen und dann von allen Seiten aufrollten.
Kurz nach dem Ende der größeren Kampfhandlungen, als nur noch örtlich geschossen wurde, übergab ein deutscher Oberleutnant mehrere Bunker kampflos den US-Amerikanern. Diese fanden in den vier Anlagen über 1.600 Zivilisten, die sich hierher geflüchtet hatten. Einige hatten schon einige Male den Bunker gewechselt, aus Angst, die Amerikaner könnten sie versehendlich beschießen. Gerade als der deutsche Offizier die Verteidigungsstellungen übergeben hatte, wollten US-Soldaten einen der Bunker mit Handgranaten niederkämpfen. Denn unter den Zivilisten hatte sich auch ein HJ-Soldat befunden, der die Amerikaner mit seiner MP durch eine Schießscharte beschossen hatte. Der Soldat war gerade 16 Jahre alt und war als Melder in einen Trupp Zivilisten geraten, die ihn in den Bunker gezogen hatten. Er war Sekunden später von einigen Anwesenden überwältigt und entwaffnet worden.