Pillsbury – Lasker, Sankt Petersburg 1896
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Pillsbury – Lasker, Sankt Petersburg 1896 ist eine Schachpartie, die von Harry Nelson Pillsbury gegen Emanuel Lasker in der vierten Runde des Turniers zu Sankt Petersburg 1896 gespielt wurde. Pillsbury hatte zuvor das Weihnachtsturnier in Hastings 1895 gewonnen und galt als einer der besten Schachspieler. Emanuel Lasker, Wilhelm Steinitz, Harry Nelson Pillsbury und Michail Tschigorin wurden zu diesem Turnier eingeladen, um gegeneinander zu spielen. Siegbert Tarrasch musste kurz vorher absagen, da seine Gesundheit ihm Probleme bereitete. Die folgende Partie wurde in der vierten Runde gespielt und bestimmte die Zukunft des Schachs. Pillsburys Sieg würde dazu führen, dass Pillsbury exzellente Chancen hätte, das Turnier zu gewinnen. Falls dies geschähe, müsste Laskers Weltmeistertitel angezweifelt werden und Lasker wäre gezwungen, einen Zweikampf gegen Pillsbury auszutragen.
[Bearbeiten] Partie
1. d2-d4 d7-d5 2. c2-c4 e7-e6 3. Sb1-c3 Sg8-f6 4. Sg1-f3 c7-c5 5. Lf1-g5 cxd4
Als Eröffnung wählten die Kontrahenten die Verbesserte Tarrasch-Verteidigung im abgelehnten Damengambit.
6. Dd1xd4 Sb8-c6 7. Dd4-h4 Lf8-e7 8. O-O-O Dd8-a5
Schwarz hält sich die Möglichkeit der großen Rochade offen.
9. e2-e3 Lc8-d7 10. Kc1-b1?!
Mit 10. Dg3 konnte Weiß den Läufer behalten oder nach 10. ... h6 11. Lf4 Sh5 12. Dg4 Sxf4 13. Dxf4 unter günstigeren Umständen abtauschen.
10. ... h7-h6 11. c4xd5 e6xd5 12. Sf3-d4 O-O
Nachdem die Fesselung aufgehoben ist, muss sich Weiß um den Läufer kümmern. 13. Lf4 ist wegen 13. ... Se4 nicht angängig, also muss er abtauschen.
13. Lg5xf6 Le7xf6 14. Dh4-h5 Sc6xd4 15. e3xd4 Ld7-e6
Schwarz hält die c-Linie offen, um die Türme dort einsetzen zu können. Weiß initiiert nun Gegenspiel am Königsflügel, da passives Abwarten bald verlieren würde.
16. f2-f4 Tf8-c8 17. f4-f5
Nach 17. ... Ld7 18. Dh5-f3 ergäbe sich eine zweischneidige Stellung, aber Lasker will mehr. Er sah ein Turmopfer als Beginn einer „Kombination, auf die jeder Spitzenspieler der heutigen Zeit stolz sein würde“. (Garry Kasparow in der Datenbank zu Fritz 7)
17. ... Tc8xc3!! 18. f5xe6!
Die zäheste Verteidigung. Kasparow hielt hier 18. bxc3 Dxc3 19. Df3 für besser. Schwarz gewinnt jedoch stattdessen einfach mit 18. ... Tc8! 19. Td3 Tc6 20. fxe6 Tb6+ 21. Ka1 Da3! nebst Matt. Lasker und Pillsbury dürften dies gesehen haben.
18. ... Tc3-a3!!
Lasker hat in allen Varianten Vorteil. Die stärkste Verteidigung war nun 19. b2xa3 Db6+! 20. Lf1-b5!! Db6xb5+ 21. Ka1 Dc4! 22. Dg4! Te8! 23. The1! fxe6 24. Te3 Dc2! 25. Txe6 Lxd4+ 26. Dxd4 Txe6 27. Dxd5 Kh7, und Schwarz hat ein vorteilhaftes, aber möglicherweise nicht gewonnenes Endspiel.
19.e6xf7+?
Öffnet unnötig die e-Linie. 19. e7? Te8! würde dasselbe entscheidende Tempo verlieren. Nach 20. bxa3 Db6+ 21. Kc2 (21. Lb5 ändert nicht viel, da der schwarze Turm zu schnell eingreifen kann) 21. ... Tc8+ 22. Kd2 Lxd4!! bricht die Stellung zusammen.
19. ... Tf8xf7 20. b2xa3 Da5-b6+ 21. Lf1-b5 Db6xb5+ 22. Kb1-a1 Tf7-c7?
Lasker gibt hier in Zeitnot den Sieg aus der Hand. Nach 22. ... Dc4 23. Dg4 Te7! wäre Weiß ohne Verteidigung, da 24. The1 an Dc3+ scheitert.
23. Td1-d2 Tc7-c4 24. Th1-d1?
Pillsbury übersieht hier ein nicht leicht zu sehendes Remis. Nötig war der sofortige Gegenangriff 24. Te1! Da5! 25. Te8+ Kh7 26. Df5+ g6 27. Te7+! Lxe7 28. Df7+ Kh8 29. De8+ Kg7 30. Dxe7+ mit Dauerschach. Nun konnte Schwarz mit 24. ... Dc6! gewinnen. Der folgende Fehler führte zu einem „menschlichen Drama“ (Kasparow).
24. ... Tc4-c3? 25. Dh5-f5 Db5-c4
Nun sollte Weiß 26. Kb1! spielen, da dann 26. ... Txa3 an 27. Tc1! scheitert. Danach hätte die Schachgeschichte vermutlich einen anderen Verlauf genommen. Pillsbury hielt jedoch das hohe Tempo, das durch die Zeitnot seines Gegners bedingt wurde, nicht durch.
26. Ka1-b2??
Dieser Zug verdient zwei Fragezeichen, da Pillsbury mit ihm nicht nur die Partie verlor, sondern noch viel mehr (siehe unten). 26. Kb1! hätte zum Remis gereicht.
26. ... Tc3xa3!!
Kasparow schrieb dazu treffend, dass der „Blitz doch zweimal an gleicher Stelle einschlagen“ kann.
27. Df5-e6+ Kg8-h7?
Nach 27. ... Kh8 28. De8+ Kh7 könnte Weiß aufgeben. Dieser Zug lässt jedoch ein Remis zu, das nach 28. Df5+ Kh8 29. Kb1 zu erreichen gewesen wäre. Da 29. ... Lxd4? 30. Df8+ Kh7 31. Dxa3 verliert, muss Schwarz beginnend mit 29. ... Txa2 das Dauerschach erzwingen. Pillsbury bricht jedoch ein.
28. Kb2xa3? Dc4-c3+ 29. Ka3-a4 b7-b5+! 30. Ka4xb5 Dc3-c4+ 31. Kb5-a5 Lf6-d8+ 32. De6-b6 Ld8xb6 matt.
Diese Partie veränderte das Leben beider Spieler. Lasker gewann das Turnier und den Weltmeisterschaftszweikampf gegen Wilhelm Steinitz im gleichen Jahr. Er behielt seinen Weltmeistertitel noch ein weiteres Vierteljahrhundert lang. Pillsbury hingegen verlor fünf der nächsten acht Partien und wurde Dritter hinter Steinitz. Er konnte sich nie vom Trauma dieser Partie erholen, und obwohl er noch schachliche Erfolge feiern konnte, kehrte er nie zu seiner alten Stärke zurück. Acht Jahre später starb er mit 34 Jahren an Syphilis.