Steinzeitliche Religionen
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Steinzeitliche Religionen sind die ersten Formen religiösen Ausdrucks, von denen archäologische Spuren existieren. Um die religiöse Motivation der Alt- wie auch Jungsteinzeitler zu verstehen, ist die Lebenssituation der Menschen zu beachten.
Die Antworten, die sich Menschen auf die Fragen ihrer Existenz gaben, standen in engem Bezug zu ihrer Lebenswelt. Der enge Zusammenhang von lebensweltlicher Situation und religiösen bzw. mythischen Vorstellungen bilden die Grundlage aller religionswissenschaftlichen Arbeit. Dabei stellen, anders als in der Archäologie, Mythen eine wichtige Zugangskategorie dar [Mahlstedt 2004]. Mythen zeigen die Vorstellungen über den Ursprung, die Entstehung der Welt oder den Zusammenhang zwischen Leben und Tod. Sie enthalten aber immer auch Hinweise auf die Lebensweise, das Weltbild und die religiösen Vorstellungen der Menschen.
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[Bearbeiten] Der Gegensatz von archäologischem und religionswissenschaftlichem Ansatz
Während Archäologen die Vor- und Frühgeschichte wesentlich nach formalen Kriterien und Werkzeugfunden in zeitliche Abschnitte gliedern, unterscheiden Religionswissenschaftler nach Lebensformen. Auf das, in Europa jedenfalls, mobile Leben der Jäger und Sammler folgte das teilmobile, jahreszeitlich geprägte Leben der mesolithischen Jäger und Sammler und der Nomaden. Mit den frühen Bauern entwickelten sich die Lebensformen permanenter Sesshaftigkeit. Die sich wandelnde Lebenssituation formte auch eine jeweils neue und andere physische und metaphysische Wirklichkeit, die ihren Niederschlag so lange in mythischen Erklärungen formulierte und überlieferte, bis die Schrift diese in Heiligen Büchern fixierte.
Die religionswissenschaftliche Forschung kann zeigen, dass Schöpfungsmythen im Kern jeweils eine verlässliche Wirklichkeit beschreiben, die in kommunikativer Weitergabe einen Wahrheit stiftenden Charakter annahmen. Wenn wir also das Grundmuster schriftloser, steinzeitlicher Religionen erkennen wollen, müssen wir uns mit der damaligen Lebenssituation und den Mythen auseinandersetzen, die ihre Wirklichkeit be- oder umschrieben.
[Bearbeiten] Mythen, Bilder und Magie der Altsteinzeit
Die Jäger und Sammler der Altsteinzeit lebten wie die Aborigines Australiens oder die San in der Kalahari und die Inuit im 19. Jahrhundert von der Jagd (auch Fischfang) und dem Sammeln. Es gab weder Vorratshaltung, noch Besitz oder permanente Wohnsitze. Das Leben hing scheinbar davon ab, was das Land – oder der ´Herr der Tiere` ihnen gab. Aus dieser Lebensweise entwickelten die Jäger und Altsteinzeit-menschen eine mythische, existenzielle Beziehung zum Land mit seinen Jagdtieren und den schöpferischen Plätzen. Mit den Tieren waren sie über Totem-Verwandtschaften genauso eng verbunden wie mit allem Lebendigen, (Bäume, Quellen, Berge) das sie umgab. Ihre Welt war angefüllt von magischen, geheimnisvollen Kräften und Schöpfungsenergien, wobei die wichtigsten Jagdtiere zu Symboltieren wurden, obwohl oder gerade weil sie gejagt und getötet wurden und auf diese Weise die Jäger nährten.
In den Mythen aller Jägergesellschaften besitzt der Tod daher auch eine schöpferische Kraft und es entwickelten sich Vorstellung von einem Jenseits, in dem die Verstorbenen zu Ahnen werden und alles Lebendige eine Art metaphysisches Ebenbild hat. Mächtige, Leben oder Verderben spendende Geistwesen wirken dort. Nur Schamanen konnten im Zustand veränderten Bewusstseins mit dieser Anderswelt Kontakt aufnehmen, mit den Ahnen kommunizieren oder mit Hilfe ihrer Geisthelfer geraubte Seelen zurückholen und damit Kranke heilen. Jägergesellschaften kannten viele Seelenteile. Sie umschrieben damit eine schöpferische Kraft, die in allem Lebendigen gedacht wurde. Bis in die frühen Hochkulturen hinein vermittelten diese Vorstellungen einen Einblick in die Welt vielschichtiger Lebenskräfte.
In den altsteinzeitlichen Jägergesellschaften genossen Tiere eine „religiöse“, also mythische Verehrung, die sich in der prähistorischen Ikonographie ihrer Felsbilder oder Höhlenmalereien widerspiegelt. Sie zeugen von der geistigen Auseinandersetzung mit ihrer Welt. Diese Bilder und Zeichen sind keine Illustrationen bestimmter Ereignisse, sondern als Symbole mythischer Wirklichkeit zu lesen. In den Felsbildern offenbaren sich ebenso wie in den Mythen die komplexen Zusammenhänge zwischen dem Mensch und seinem Leben. Geheimnisvolle Kräfte umgaben die Jäger und Sammler, zu denen sie in Trance-Zeremonien Kontakt herzustellen vermochten, um diese gutwillig zu stimmen und sie um Hilfe und Rat zu bitten.
[Bearbeiten] Die zyklische Ordnung jungsteinzeitlicher Religionen
Mit dem Ackerbau und der Vorratshaltung veränderte sich die Lebenssituation der Menschen grundlegend. Auch wenn man zunächst noch für einige Zeit von einer Teilmobilität ausgehen muss, so zeichnet sich doch ab, dass mit dem Aufkommen der Landwirtschaft die neue Nahrungsquelle ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt. Das Leben ist nicht mehr vom Jagdglück abhängig, sondern von der Erde, die zur Ernährerin wird und von der Witterung die zum Feind werden kann. Mythische Bilder von einer Leben gebenden Mutter Erde entstehen, die im Rhythmus des Himmels neues Leben hervorbringt. Die zyklische Wiederkehr des Lebens beruht auf einer schöpferischen Verbindung von Himmel und Erde. Die Erde wird zur nährenden Frau, während der Himmel ihr eine Ordnung gibt, die Tod und Leben zu einem Kreis rundet, in dem Werden und Vergehen eine zyklische Einheit bilden.
Der neolithische Mensch lebt im Zyklus der Jahreszeiten und bleibt abhängig vom Rhythmus des ewigen Werden und Vergehens, das den Vegetationskreislauf charakterisiert. Das zyklische Verständnis von Zeit prägt das frühbäuerliche Weltbild nicht nur in seiner Lebenswelt, sondern auch in der mythischen Ordnung. Das Sein prägt nicht nur das Bewusstsein sondern auch das Unterbewusstsein.
Der Vegetationskreislauf war aber nicht die existenzielle Erfahrung dieser Menschen. Er galt auch schon für die Ordnung der Jäger. Jetzt war aber ein kalendarisches System erforderlich und es fand seine symbolische Entsprechung im Mond, der zyklisch schwindet und wiederkehrt. Auch prähistorische Vegetationsgottheiten, die als sterbende und wieder auferstehende Gottheiten` (Attis, Baal, Marduk, Osiris) verehrt wurden, symbolisierten den Lebenskreislauf, der seine schöpferische Kraft im Tod erneuert. Das Leben läuft immer wieder auf sein Vergehen zu, während es nach seinem Durchgang durch den Tod erneuert wieder heraufsteigt. Leben und Tod bilden eine unausweichliche Einheit. Denn sie bedingen einander.
Diese Erfahrung rhythmischer Wiederkehr des Lebens nach einem schöpferischen Durchgang durch den Tod prägt global die mythischen Bilder aller bäuerlicher Gesellschaften. Mythen sind dabei wie Sprachen, die mit unterschiedlichen Worten das gleiche aussagen. Leben beschränkt sich hier nicht auf die Daseinsspanne eines Individuums, sondern wurde als ein geheimnisvolles Phänomen wahrgenommen, dessen Erhaltung und Würdigung, dessen kultische Verehrung höchste religiöse Bedeutung hatte.
In frühen Kulturen symbolisieren sich die Schöpfungskräfte in Tieren, die den Tod bringen, in Löwen, Adlern, Krokodilen, Leoparden oder Jaguaren. Da diese Raubtiere töten, führten sie in den Tod und werden als Herren des schöpferischen Nicht-Seins gedacht, das die Dynamik des Lebens umreißt. Sie sind Symbole der Lebenswelt, die vom Tod charakterisiert wird. Der Mythos des ägyptischen Korn- und Vegetationsgottes Osiris ist ein besonders gutes Beispiel für die Vorstellung der mächtigen Schöpfungskraft des Todes. Denn der Gott zeugt seinen Nachfolger (Horus) im Tod. Im Mythos muss der Gott wie das Saatkorn erst sterben, bevor er aus dem Nicht-Sein den neuen Keim hervor treiben kann. Osiris manifestiert die Schöpfungskraft des Nicht-Seins.
Dieses zyklische und dynamische Modell der Welt führte zu der erstaunlichen Vorstellung, dass das Leben seinen Ursprung im Tod, vielleicht besser im Nicht-Sein hat. Man kannte keine von außen einwirkenden Schöpfungskräfte, sondern war sich der allem Sein innewohnenden Schöpfungsenergien bewusst, die in rhythmischer Dynamik Lebensformen zur Gestalt bringen und wieder auflösen. Wie auch immer man sich diese geheimnisvollen Wirkungskräfte des Seins vorstellte, sie wurden ehrfürchtig wahrgenommen. Sie personifizierten sich vielerorts zu Gottheiten. Sie konnten, wie im atlantischen Europa, als abstrakte, in jahreszeitlicher Ordnung sich manifestierende Kräfte verehrt werden, oder wie in Amerika im Bild der alles Sein umfassenden Pachamama Verehrung finden.
Die Jungsteinzeit hat ihre Abhängigkeit von der Wiederkehr des Lebens und ihre Ehrfurcht vor dem Tod häufig in großen Steinen, in Stelen oder aufgerichteten Steinblöcken zum Ausdruck gebracht (Megalithkultur). In diesen Steinen konnte sich der geheimnisvolle Zustand der Leblosigkeit und Starre symbolisieren, aus dem sich das Leben in seiner schöpferischen Kraft zyklisch wieder zur Gestalt bringt.
[Bearbeiten] Literatur
- W. H. I. Bleek (1938): Das wahre Gesicht des Buschmannes in seinen Mythen, Basel
- G. Daniel Brinton (1976): Myths of the Americas, Symbolism and Mythology of the Indians of the Americas, New York
- Ferm (Hrsg., 1950): Ancient Religions, Forgotten Religions, New York
- H. Findeisen/ H. Gehrts (1983): Die Schamanen. Jagdhelfer und Ratgeber, Seelenfahrer, Künder und Heiler, München
- Ad. E. Jensen (1951): Mythos und Kult bei den Naturvölkern, Wiesbaden
- Ad. E. Jensen (1966): Die getötete Gottheit. Weltbild einer frühen Kultur, Stuttgart
- B. M. Linke (Hrsg., 2001): Schöpfungsmythologie in den Religionen, Frankfurt
- I. Mahlstedt (2004): Die religiöse Welt der Jungsteinzeit, Darmstadt/Stuttgart
- Makilam (2007): Die Magie kabylischer Frauen und die Einheit einer traditionellen Berbergesellschaft. Bremen: Kleio Humanities. ISBN 978-3-9811211-3-1
- Ch. P. Mountford (1976): Nomads of the Australian Desert, Sydney
- F. Müller (2002); Götter, Gaben - Rituale, Religion in der Frühgeschichte Europas, Mainz
- N. Luhmann (1977): Funktion der Religion, Frankfurt/M.
- I. Paulson (1961): Schutzgeister und Gottheiten des Wildes, (der Jagdtiere und Fische) in Nordeurasien, Stockholm
- F. Schlette & D. Kaufmann (Hrsg.) (1989) Religion und Kult in ur- und frühgeschichtlicher Zeit, Berlin
- G. Stephenson (Hrsg., 1997): Leben und Tod in den Religionen, Darmstadt