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95 Thesen

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Thesentür an der Schlosskirche in der Lutherstadt Wittenberg
Thesentür an der Schlosskirche in der Lutherstadt Wittenberg

Martin Luthers 95 Thesen wurden am 31. Oktober 1517 als Beifügung an einen Brief an den Erzbischof von Mainz und Magdeburg, Albrecht von Brandenburg das erste Mal in Umlauf gebracht. Aufgrund der ausbleibenden Stellungnahme Albrechts von Brandenburg gab Luther die Thesen an einige Bekannte weiter, die sie kurze Zeit später ohne sein Wissen veröffentlichten und damit zum Gegenstand einer öffentlichen Diskussion im gesamten Reich machten.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Überlieferung

Der Thesenanschlag zu Wittenberg vom 31. Oktober 1517 ist erstmalig erwähnt durch Philipp Melanchthon. Da Melanchthon aber erst 1518 nach Wittenberg berufen wurde, ist es höchst unwahrscheinlich, dass er selbst Augenzeuge jenes Ereignisses war, bei dem, so die Legende, Martin Luther seine weltberühmten 95 Thesen eigenhändig an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg genagelt haben soll, die sich nach üblicher Schilderung von dort aus lauffeuerartig in ganz Deutschland verbreiteten und daher als Einleitung der Reformation angesehen werden. Der Absicht Luthers entsprach diese Wirkung nicht. Er war vielmehr überrascht von der ungeheuren Wirkung eines Papiers, das als Disputationsgrundlage dienen sollte. Motiviert wurde Luther zur Abfassung seiner Thesen durch die Lektüre eines Instruktionspapiers für Ablasshändler.

Darstellung des Thesenanschlags in der Speyrer Gedächtniskirche
Darstellung des Thesenanschlags in der Speyrer Gedächtniskirche

[Bearbeiten] Bedeutung

Dieses Ereignis war eines der bedeutendsten in der Frühen Neuzeit mit einer unvorhersehbaren Langzeitwirkung.

Seit dem Frühjahr 1517 erlebte Luther immer häufiger, dass die Wittenberger der Beichte fernblieben, und stattdessen in die auf stiftsmagdeburgischem bzw. anhaltinischem Gebiet liegenden Städte Jüterbog und Zerbst gingen, um sich, aber auch verstorbene Angehörige von Sünden und Sündenstrafen durch den Erwerb von Ablasszetteln freizukaufen. Tatsächlich war der Missbrauch des Ablasses einer der wesentlichen Kritikpunkte Luthers. Die eine Hälfte der Einnahmen des Ablasshandels diente dem Bau des Petersdoms in Rom, während sich der Erzbischof Albrecht (Brandenburg) und der Ablassprediger die andere Hälfte teilten. Der Bischof benötigte zudem die Einkünfte, um seine gegenüber den Fuggern aufgelaufenen Schulden abzuzahlen. Mithin war das ein Angriff auf das gesamte päpstliche Finanzsystem.

Die am 31. Oktober 1517 als Antwort auf die Ablasspredigten Johann Tetzels veröffentlichten Thesen hatten eine eminente Auswirkung auf nahezu alle gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Strukturen; - was Luther selbst kaum vorausgeahnt haben konnte. Diese Wirkung resultiert wohl daher, dass die Reformbedürftigkeit der Kirche und damit der Kirchenverfassung längst augenscheinlich war. Die Veröffentlichung seiner Thesen waren der Funke einer Bewegung für eine Reformation, die sich nur deshalb entfalten konnte, weil die Voraussetzungen hierfür bereits gegeben waren. Was als Diskussionsgrundlage für fachkundige Theologen angedacht war, verselbständigte sich sehr schnell und wurde immer wieder auf Handzetteln nachgedruckt. Statt zur erhofften Diskussion kommt es zunächst zum Ketzerprozeß 1518 und schließlich sogar zum Kirchenbann.

Die Wirkung seiner Gedanken hält indes bis heute an. Die Thesen sind nichts anderes als die Formulierung einer Kritik an den damals herrschenden Zuständen auf der Grundlage der Bibel. Darin gründet sich ihre Wirkung. Den Ablasshandel erklärt Luther in den Thesen für Menschenwerk, weil in der Bibel ein römisch-katholisches Konzept für denselben nicht erklärt ist. Zunächst lässt Luther den Ablass zwar noch für Strafen gelten, die von der Kirche auferlegt wurden; seine Kritik richtet sich aber vor allem gegen die falsche Heilssicherheit, die sich aus einer falschen Handhabung des Ablasses ergab. Auch der Papst wird von seiner Kritik nicht ausgenommen. Die Thesen sind demzufolge der öffentliche Beginn einer Kritik Luthers an der Institution des Papsttums – ein geistiger Sprengsatz, der in den nächsten Jahren und Jahrzehnten erst seine volle Kraft entfalten und letztlich zur Trennung innerhalb der abendländischen Kirche führen sollte.

Seine Kritik fand sicher zunächst nicht viel Gehör in der Katholischen Kirche. Allerdings unterstützte sein Landesherr, Friedrich III. (Sachsen) Luther mit dieser Haltung, weil auch er den Abfluss dieser Gelder, nicht zuletzt aus seinem eigenen Territorium in Richtung Rom, mit Argwohn betrachtete.

[Bearbeiten] Frage nach der Authentizität des Ereignisses

Die Authentizität des Ereignisses als solches ist umstritten. Dass es zumindest ein solches Thesenpapier gibt, ist hingegen zweifelsfrei. Ein Exemplar erging an den Erzbischof Albrecht von Mainz, der zugleich Erzbischof von Magdeburg war, das Bistum, in dem Wittenberg lag, sowie an weitere geistliche Würdenträger des Reiches, als Reaktion auf dessen Instruktionen für den Ablassverkäufer Johannes Tetzel, ohne dass sich hieraus Reaktionen von seiner Seite her ergaben. Zumindest dürfte dieses Papier in einer größeren Anzahl gedruckt worden sein. Ohne dessen Einverständnis wäre eine solche öffentliche Disputation als schwere Provokation aufgefasst worden. Es ist unwahrscheinlich, dass Luther dieses beabsichtigte oder zumindest sich nicht über eine solche mögliche Konsequenz im klaren gewesen wäre.

Das Ereignis selbst wird seit 1961 von Erwin Iserloh in Frage gestellt, der den Thesenanschlag als solchen bestritt. Für die Authentizität des Wittenberger Ereignisses sprach sich der Kirchenhistoriker Heinrich Bornkamm aus, der meinte, dass es damals neben dem Schreiben an den Erzbischof in akademischen Disputationen durchaus den üblichen Gepflogenheiten entsprochen habe, in Wittenberg die Thesen öffentlich anzuschlagen. Auch der Kirchenhistoriker Kurt Aland aus einer jüngeren Generation als Iserloh und Bornkamm stimmte für die Authentizität dieses Ereignisses.

Dies ist durchaus denkbar, weil die Schlosskirche zugleich auch die Wittenberger Universitätskirche war. Tatsächlich diente sie als Auditorium maximum bei Disputationen und Promotionen. Endgültig geklärt ist diese Streitfrage, ob der Thesenanschlag Wahrheit oder Legende ist, bis heute nicht. Es ist nicht so, dass lediglich wie Iserloh die katholische Kirchengeschichtsschreibung die Authentizität des Thesenanschlages anzweifelt. Auch seitens der evangelischen Kirchengeschichtsschreibung beharrt man nicht unbedingt auf dem Beibehalten dieses Diktums. Heute tendiert man generell dazu zu sagen, dass der Thesenanschlag nicht stattgefunden habe, ohne allerdings einstimmig die Authentizität zu verwerfen. Bis zu Luthers Tod im Jahre 1546 ist hiervon nie offiziell die Rede. Melanchthon spricht davon in einem Abstand von nahezu zwanzig Jahren. Es mögen dabei auch Glorifizierungsabsichten eine Rolle gespielt haben. Eine gewisse Form von Glorifizierung stellt indes das Portal der Schlosskirche dar, an dem der Thesentext seither auf das gusseiserne Portal gebracht wurde.

Gerhard Prause (1966) fasst in seinem Buch "Niemand hat Kolumbus ausgelacht - Fälschungen und Lügen der Geschichte richtig gestellt" die Geschichte der 95 Thesen - ihm zufolge waren es zunächst nur 93 - im Kapitel 3 zusammen und versucht eine eigene Interpretation. Demnach gehe der Mythos vom Anschlag der 95 Thesen auf einen Lesefehler des einzigen Zeitzeugen Johann Schneiders aus Eisleben, genannt Agricola, zurück. Man las "me teste" (wie ich bezeugen kann) statt, wie sich später herausstellte "modeste" (in bescheidener Weise). Prause (S. 76): "Jahrhunderte lang war die Forschung also einem ganz simplen Lesefehler erlegen. Die Stelle in jener Wittenberger Handschrift, die man so lange für einen Augenzeugenbericht gehalten hatte, heißt richtig: 'Im Jahre 1517 legte Luther in Wittenberg an der Elbe nach altem Universitätsbrauch gewisse Sätze zur Disputation vor, jedoch in bescheidener Weise und damit ohne jemand beschimpft oder beleidigt haben zu wollen'".

Am 1. Februar 2007 war bei mdr.de folgende weltverändernde Nachricht zu lesen: "Wissenschaftler aus Jena haben offenbar einen neuen Beleg für Martin Luthers Thesenanschlag gefunden. Die "Thüringer Allgemeine" schreibt, in der Bibliothek der Friedrich-Schiller-Universität sei eine Notiz des Luther-Assistenten Georg Rörer gefunden worden. Im Unterschied zu anderen Berichten über den Thesenanschlag stamme sie noch aus Luthers Lebzeiten. Der Thesenanschlag an der Wittenberger Schlosskirche gegen den Ablasshandel gilt als Beginn der Reformation." [1]

Am 19.Februar 2007 fand in der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek (ThULB) die Präsentation jener Notiz statt, die Dr. Martin Treu entdeckt hatte. Georg Röhrer,der zur Zeit des Ereignisses noch in Leipzig und somit auch kein Augenzeuge war, hat handschriftlich am Ende eines Buches geschrieben, dass Luther am Vortag zu Allerheiligen Thesen an den Türen der Kirchen (in Wittenberg) vorgestellt habe. Diese Notiz, um deren genaue Datierung gestritten wurde, sei aber eindeutig älter als die Melanchthons - aus dem Zeitraum 1540-1548. Ob der Thesenanschlag nun stattgefunden hat, befürworten die eine mit Hilfe jener Notiz Röhrers, die anderen bestreiten ihn mit der selben Quelle. Ein Thesenanschlag, so die Befürworter des Ereignisses, sei in dieser Zeit etwas ganz normales gewesen. Der Kirchenhistoriker Volker Leppin wies daraufhin, dass der Thesenanschalg, wenn er denn stattgefunden habe, eben nichts Besonderes gewesen sei und dann somit schwerlich auch ein Epoche machendes Ereignis.

Konsens herrschte zumindest, dass Luther die Thesen nicht eigenhändig an die Türen geschlagen haben muss.

[Bearbeiten] Die 95 Thesen

Ausschnitt aus den 95 Thesen
Ausschnitt aus den 95 Thesen

Die 95 Thesen wurden nicht nur in Papierform überliefert, sondern sie waren auch gestalterisches Motiv insbesondere evangelischer Kirchen.[2]

Am 10. November 1858 wurde die von König Friedrich Wilhelm IV. geschenkte Erztür der Wittenberger Schlosskirche mit Luthers Thesen der Stadt übergeben und eingeweiht. Diese blieb jedoch nicht die einzige Stelle, wo der Text wegen seiner symbolischen Bedeutung in Kirchen verwendet wurde. So ist es beispielsweise auch in der Gedächniskirche in Speyer der Fall.

[Bearbeiten] Anmerkungen und Einzelnachweise

  1. Quelle: http://www.mdr.de
  2. Die Denkmale der Lutherstadt Wittenberg" erschienen im Hermann Böhlau Verlag Weimar 1979 bearbeitet von Fritz Bellmann, Marie Luise Harksen und Roland Werner, mit Beiträgen von Peter Findeisen, Hans Gringmuth Dallmer, Sibylle Harksen und Erhard Voigt LSV 8128 272-140/21/79- E 112/79 Auf Seite 46. Luthers Veröffentlichung seiner 95 Thesen zur Ablaßlehre und Ablaßpraxis am 31. Oktober 1517 hat als erster Schritt auf dem Wege zu Reformen und Reformation einen weltgeschichtlichen Umsturz eingeleitet. Nach Wittenberger Überlieferung schlug Luther die Thesen an der Großen Kirchtür der Schloß- und Universitätskirche an als Herausforderung zu einer der üblichen akademischen Disputationen. Die Tür, im 3. Joch der Nordseite, wurde nach 1760 und 1845—58 stark verändert. Aus der Bauzeit das kräftig profilierte Gewände. Zu beiden Seiten des Scheitelsteins die Jahreszahl „1499”. In den Zwickeln der rechteckigen Umrahmung eine kaum noch lesbare Inschrift in Kapitalen, welche an den Brand von 1760 und die darauf folgende Instandsetzung erinnert. Über dem Portal auf hohen, wappengeschmückten Postamenten die Figuren Kurfürsten Friedrichs des Weisen und Herzog Johanns des Beständigen, nach Entwürfen Friedrich Drakes von Fr. Wilhelm Holbein 1845. Im Bogenfeld Kruzifix in Lavamalerei von August v. Kloeber 1851. Die hölzernen Türflügel, welche den Thesenzettel getragen hatten, verbrannten 1760. Die 1768 erneuerten Türflügel wurden zur Erinnerung an den Thesenanschlag 1858 ersetzt durch bronzene Türflügel mit dem — ehem. vergoldeten — Text der 95 Thesen Luthers und mit musizierenden Knaben auf den Türkämpfern, nach Zeichnungen Ferdinand v. Quasts und Modellen Friedrich Drakes gegossen von Erzgießer Friebel, Berlin. Zur Überlieferung des Thesenanschlags, zur Tür von 1499 und den Veränderungen nach 1760 s. S. 213. Auf Seite 213 steht: Thesentür der Schlosskirche Die Nachricht vom Anschlagen der 95 Thesen Luthers an der Tür der Schloßkirche am Vorabend der all-jährlichen Heiltumsweisung 1517 ist erstmals schriftlich festgehalten von Melanchthon 1547 in der Vorrede zum 2. Band seiner Ausgabe der Werke Luthers. Zu neuerdings vorgebrachten Zweifeln an der Gültigkeit der Überlieferung vgl. Erwin Iserloh: Luther zwischen Reform und Reformation. München 1966. Nach Faber u. a. standen ehemals über der Tür Figuren eines hl. Bischofs, eines hl. Königs und zweier heiliger Frauen, für die Claus Heffner 1501 Lohn erhielt. Zerstört 1760. Um 1765 ersetzt durch 2 Vasen. Über eine damals geplante besondere Auszeichnung der Tür unter Einbeziehung der beiden Nachbarjoche durch einen triumphbogenähnlichen Aufbau und eine Kuppel mit Laterne über den Reformatorengräbern vgl. Entwurf STA Dresden, Schrank L. Fach II, Bl. 16a-c. Nachdem 1760 die Türflügel verbrannt waren, die 1517 die Thesen Luthers getragen hatten, legte Fr. W. Exner 1767 2 Vorschläge für neue Türflügel in zopfigen und in gotisierenden Formen vor (IfD Dresden, M 65a, Bl. 26). Zur langwierigen Planung und Ausführung der Tür von 1844 vgl. Witte, 15, und Ferdinand v. Quast: Die Türen der Schloßkirche zu Wittenberg. In: Christi. Kunstbl. 1859. 49. Erläuterungsbericht v. Quasts zu seinen Entwürfen im DZA Merseburg Rep. 89 H IX Sachsen 5a.

[Bearbeiten] Literatur

  • Kurt Aland: Die Reformatoren: Luther, Melanchthon, Zwingli, Calvin; mit einem Nachwort zur Reformationsgeschichte. 4. neubarb. Aufl. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 1986, ISBN 3-579-05204-7
  • Heinrich Bornkamm: Thesen und Thesenanschlag Luthers: Geschehen und Bedeutung. Töpelmann, Berlin 1967
  • Erwin Iserloh: Luther zwischen Reform und Reformation: der Thesenanschlag fand nicht statt. 3. Auflage. Aschendorff, Münster 1968
  • Gerhard Prause: Niemand hat Kolumbus ausgelacht - Fälschungen und Lügen der Geschichte richtig gestellt. Econ, Düsseldorf 1966, ISBN 3-430-17581-X
  • Manfred Schulze: Thesenanschlag. In: Religion in Geschichte und Gegenwart, Band 8. 4. Auflage. Mohr, Tübingen 2005, S. 357 f., ISBN 3-16-146948-8
  • Die Denkmale der Lutherstadt Wittenberg, bearbeitet von Fritz Bellmann, Marie Luise Harksen und Roland Werner, mit Beiträgen von Peter Findeisen, Hans Gringmuth Dallmer, Sibylle Harksen und Erhard Voigt, Hermann Böhlau Verlag Weimar 1979. LSV 8128 272-140/21/79- E 112/79 Auf Seite 46.


[Bearbeiten] Weblinks

s:
Wikisource
Wikisource: Das lateinische Original auf Wikisource – Quellentexte
s:
Wikisource
Wikisource: Englische Übersetzung der Thesen auf Wikisource – Quellentexte
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