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Abstraktionsprinzip - Wikipedia

Abstraktionsprinzip

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Das Abstraktionsprinzip gehört zu den Grundsätzen des deutschen Zivilrechts (Lehre vom Rechtsgeschäft) und resultiert aus einer fehlerhaften Ableitung aus dem römischen Recht. Es hat sich unter dem Einfluss von Savigny im 19. Jahrhundert durchgesetzt und ist seit 1900 im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) verankert.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Grundlage: Das Trennungsprinzip

Das Abstraktionsprinzip beruht auf dem Trennungsprinzip und besagt, dass Kausalgeschäft und abstraktes Geschäft in ihrem rechtlichen Bestand voneinander unabhängig sind. Dieser Grundsatz ist für Laien nicht ohne weiteres verständlich. Daher soll folgendes Beispiel der Erläuterung dienen:

Müller kauft von Friedrich ein Auto. Er bezahlt noch am gleichen Tag. Den Wagen und die Papiere erhält er aber erst eine Woche später.

Der (deutsche) Jurist trennt hier drei Vorgänge: Zunächst haben Müller und Friedrich einen Kaufvertrag gemäß § 433 BGB, das Verpflichtungsgeschäft, geschlossen. Der Kaufvertrag ist ein Kausalgeschäft mit dem Inhalt

Müller und Friedrich sind sich einig, dass Müller das Auto und Friedrich den Kaufpreis bekommen soll (1. Vorgang).

Aber erst als Friedrich dem Müller das Auto mitgegeben hat, hat er durch ein abstraktes Geschäft gemäß § 929 BGB, in Form eines Verfügungsgeschäfts, das Eigentum auf Müller übertragen.

Müller und Friedrich sind sich einig, dass Müller das Eigentum an Friedrichs Auto bekommt (weil Müller aus dem Kaufvertrag einen Anspruch darauf hat - 2. Vorgang).

Müller andererseits erfüllte seine Verpflichtung durch Zahlung, also Übereignung und Übergabe des Geldes sofort.

Müller und Friedrich sind sich einig, dass Friedrich das Eigentum an Müllers Geld in Höhe des Kaufpreises bekommt (weil Friedrich aus dem Kaufvertrag einen Anspruch darauf hat - 3. Vorgang).

[Bearbeiten] Entwicklung

Das Abstraktionsprinzip resultiert aus einer fehlerhaften Analyse von Rechtsgeschäften im römischen Reich. Dort war in Hinblick auf bestimmte Rechtsgeschäfte eine Durchführung auf dem Forum erforderlich. Es wurde daraus geschlossen, daß zur Erreichung der angestrebten rechtlichen Wirkung eben nicht nur eine Vereinbarung erforderlich war, sondern vielmehr ein hiervon losgelöster, abstrakter Akt der Durchführung des Vereinbarten erforderlich war. Ansatzpunkt war das Emanzipationsverfahren, das zum Erwerb der vollständigen römischen Bürgerrechte erforderlich war. Speziell zum Eintritt in bestimmte Staatsämter war es erforderlich freier römischer Bürger zu sein. Dieses war für den jungen Römer regelmäßig nicht vereinbar mit seiner Stellung unter der Gewalt seines Vaters, des Pater Familiae, dessen Existenz alle Mitglieder seiner Familie in deren Freiheit beschränkte, ohne daß durch Erreichung einer bestimmten Altersgrenze eine Art Volljährigkeit und damit Verlassen der väterlichen Herrschaftsgewalt erfolgte. Ein Ausweg bestand in einer Regelung, daß nach dreimaligem Verkauf des Sohnes in fremde Knechtschaft der Vater seiner Herrschaftsgewalt verlustig ging. Zur Erreichung der Emanzipation übertrug der Vater auf dem Forum seinen Sohn in die Knechtschaft eines kooperativen Dritten, regelmäßig eines Freundes der Familie. Dieser entließ den Sohn jeweils unverzüglich aus seinem Dienst. Nach dreifacher Durchführung dieser Farce war der Sohn endgültig frei und berechtigt, Staatsämter zu übernehmen.

Aus diesem Verfahren wurde geschlossen, die Tatsache, daß die drei Beteiligten vereinbart hatten, dem Sohn so die Emanzipation aus der väterlichen Gewalt zu ermöglichen, habe nicht ausgereicht, um die angestrebte Rechtswirkung zu entfalten. Vielmehr sei zusätzlich zu diesem ausschließlich verpflichtenden, nicht jedoch rechtsgestaltenden Vertrag noch ein zusätzlicher Rechtsakt, ein rechtsändernder Vertrag erforderlich um die vorab vereinbarte Wirkung zu erreichen. Dieses habe in der „Durchführung" der vereinbarten Emanzipationshandlung auf dem Forum bestanden.

Tatsächlich stellen derartiges Verfahrensweisen lediglich die Erfüllung von Formvorschriften dar, so wie zum heutigen Zeitpunkt aufgrund bestehender Formvorschriften Willenserklärungen, die zunächst nur mündlich erfolgen, nochmals unter Einhaltung von Erfordernissen wie der Schriftform oder notarieller Beurkundung wiederholt werden müssen. Die vorhergehende formlose Erklärung bewirkt keine Verpflichtung, sondern ist (zumindest grundsätzlich) einfach form- und damit wirkungslos. Das römische Zivilrecht kannte, so wie in den anderen europäischen auf dem römischen Zivilrecht basierenden Gesetzeswerken wie dem Code Civil in Frankreich geregelt, kein Abstraktionsprinzip.

[Bearbeiten] Inhalt des Abstraktionsprinzips

Abstraktionsprinzip
Abstraktionsprinzip

Das Abstraktionsprinzip besagt nun, dass die abstrakten Geschäfte - im Beispielsfall mit Müller und Friedrich also Übereignung des Fahrzeuges und Übereignung des Geldes - auch wirksam sind, wenn das Kausalgeschäft, also der Kaufvertrag, unwirksam ist, weil beide voneinander in ihrem rechtlichen Bestand unabhängig sind. Ein solcher Fall läge beispielsweise vor, wenn Friedrich bei Abschluss des Kaufvertrags wegen absoluter Volltrunkenheit nicht geschäftsfähig gewesen wäre § 105, II BGB Dann ist der Kaufvertrag unwirksam, Müller wird aber trotzdem Eigentümer des Wagens, wenn Friedrich bei der Übereignung wieder geschäftsfähig war. Die Wirksamkeit einer Verfügung hat Vorrang gegenüber dem Erfüllungsanspruch aus einem Schuldverhältnis.

Der Vorteil des Abstraktionsprinzips liegt in der Tatsache, daß der reletiv einfache verfügende (dingliche) Vertrag ohne Rücksicht auf den möglicherweise komplizierten verfplichtenden (schuldrechtlichen) Vertrag wirksam ist und so zwar rechtlich angreifbare aber zunächst wirksame Verhältnisse begründet, an denen die Rechtsgemeinschaft ihr Handeln ohne die Notwendigkeit erheblicher Prüfungen ausrichten kann. Wenn Müller durch abstraktes Geschäft das Eigentum erwirbt, obwohl das zu Grunde liegende Kausalgeschäft (der Kaufvertrag) unwirksam ist, kann er das Auto dennoch ohne Sorgen weiterverkaufen: Er ist schließlich Eigentümer geworden. Falls Müller Schulden hat, könnten seine Gläubiger das Auto pfänden, auch ohne sich Gedanken über den Kaufvertrag machen zu müssen.

Da mit dem abstrakt wirksamen dinglichen Geschäft bei unwirksamem Verpflichtungsgeschäft jedoch keine endgültige Güterzuordnung getroffen werden soll, besteht die Notwendigkeit von Regelungen für den Fall, daß das dingliche Geschäft erfolgt, ohne daß ein wirksames Verpflichtungsgeschäft die (rechtliche) Grundlage hierfür bildet. Hierzu dient das Bereicherungsrecht §§ 812 ff BGB. Das BGB sieht somit eine Möglichkeit vor, die Übergabe des Eigentums rückabzuwickeln. § 812 BGB sagt in diesem Beispiel aus, dass Friedrich das Eigentum am Auto zurückfordern kann, wenn der Grund für das Übereignungsgeschäft (der Kaufvertrag) wegfällt.

Während im alltäglichen Verkehr Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft kaum sichtbar zutage treten, sondern durch konkludentes Handeln erfolgen, ist die formale Trennung beim Kauf und Verkauf von Grundstücken deutlich ausgeprägt: Die Vertragsparteien schließen die erforderlichen Verträge durch Beurkundung vor einem Notar. Dabei erfolgt auch hier zunächst das Verpflichtungsgeschäft, nämlich die Regelung, dass der Verkäufer sein Grundstück an den Käufer verkauft und dafür einen Kaufpreis erhält. Sodann erklären die Vertragsparteien zusätzlich die Auflassung, d.h. sie schließen einen zweiten Vertrag, indem sie Einigkeit darüber bekunden, dass das Eigentum an dem Grundstück vom Verkäufer auf den Käufer übergehen soll. Die Auflassung ist Voraussetzung für den Antrag beim Grundbuchamt auf Eintragung des neuen Eigentümers. Er wird in der Regel erst nach Zahlung des Kaufpreises auf ein privates Treuhandkonto beim Grundbuchamt gestellt. Erst wenn das Grundbuchamt diese Eintragung in das Grundbuch vorgenommen hat, hat der Käufer das Eigentum an dem Grundstück tatsächlich erworben und auch die Verfügungsgeschäfte sind abgeschlossen.

[Bearbeiten] Rechtsvergleichung

In vielen anderen Rechtsordnungen gilt statt des Abstraktionsprinzips das Kausalprinzip.

Das österreichische Recht trennt zwar Verpflichtungsgeschäft (z.B. Kaufvertrag; im deutschen Recht das Kausalgeschäft) und Verfügungsgeschäft (z.B. Übergabe; im deutschen Recht das abstrakte Geschäft) ebenso strikt, erlaubt aber weder ein abstraktes Verpflichtungs- noch ein abstraktes Verfügungsgeschäft. Vielmehr müssen beide jeweils kausal sein: Das Verpflichtungsgeschäft muss in dem Sinne kausal sein, dass es einen Grund hat, der es wirtschaftlich macht. Weiters muss das Verfügungsgeschäft in dem Sinne kausal sein, dass es nur dann wirksam ist, wenn ein gültiges Verpflichtungsgeschäft, ein Titel, besteht (Prinzip der kausalen Tradition). Es ergibt sich also folgendes Schema: Wirtschaftflicher Zweck =Kausalbindung=> Verpflichtungsgeschäft =Kausalbindung=> Verfügungsgeschäft

Das französische Recht kennt keine Unterscheidung zwischen Kausalgeschäft und abstraktem Geschäft: Wer beispielsweise ein Auto kauft, wird (grundsätzlich) mit Abschluss des Kaufvertrages auch Eigentümer.

[Bearbeiten] Kritik am Abstraktionsprinzip

Das Abstraktionsprinzip ist seit seiner Einführung in der juristischen Literatur oft kritisiert worden. Viele Autoren bemängeln, dass ein einheitlicher Lebenssachverhalt in künstliche Teile zerlegt werde. Dies sei für juristische Laien kaum verständlich. Uwe Wesel kritisiert gar, Savigny habe das Abstraktionsprinzip aufgrund fehlerhafter Auslegung historischer Quellen entwickelt, da im römischen Recht kein solches Abstraktionsprinzip bekannt gewesen sei. Im römischen Recht ist die Wirksamkeit der Übereignung abhängig von der Wirksamkeit des Kaufvertrages. [1] War dieser unwirksam, so konnte das Eigentum nicht übergehen und der Verkäufer konnte die Kaufsache mit der rei vindicatio zurückverlangen. Weiterhin führe das Abstraktionsprinzip zu unbilligen Ergebnissen, da es an der Übertragung des Eigentums auch dann festhalte, wenn hierfür kein Grund bestand, der zugrundeliegende Kaufvertrag beispielsweise nichtig ist. Einen Höhepunkt erreichte die Kritik während der Zeit des Nationalsozialismus, als die bestehende Rechtslage aufgrund ihrer Komplexität als „unvölkisch“ abgelehnt und Reformen gefordert wurden.

Das Abstraktionsprinzip ist auch im Rahmen der Vereinheitlichung der Zivilrechtsordnungen innerhalb der Europäischen Union angegriffen worden. Deutschland ist das einzige Mitgliedsland, in dem das Abstraktionsprinzip gilt.

In der DDR wurde das Abstraktionsprinzip durch das Zivilgesetzbuch der Deutschen Demokratischen Republik (ZGB) vom 19. Juni 1975 abgeschafft, welches am 1. Januar 1976 in Kraft trat. Für seit dem 3. Oktober 1990 vorgenommene Rechtsgeschäfte gilt auch in diesem Gebiet wieder das Abstraktionsprinzip des BGB.

Ein Blick auf die Rechtsausübung zeigt, daß weder das Abstraktionsprinzip der Bürgerlichen Gesetzbuches noch das Kausalprinzip zum Beispiel des code cilil wesentliche Vorteile bringt. Es treten letztendlich die gleichen rehtlichen Probleme auf. Die sich aus den rechtlichen Konstruktionen ergebenden Lösungswege sind anders. Eine unterschiedliche Wertigkeit besteht aber wohl nicht.

[Bearbeiten] Weblinks

[Bearbeiten] Quellen

  1. Uwe Wesel, Juristische Weltkunde, 8. Aufl., Frankfurt a. M. 2000, S. 93.
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