Adivasi
aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Adivasi (Hindi, m., आदिवासी, ādivāsī, wörtl.: erster Bewohner, Ureinwohner) ist die Selbstbezeichnung der indigenen Bevölkerung im Gebiet des heutigen Indien. Das Wort Adivasi bedeutet "erste Menschen" bzw. "erste Siedler". Sie werden oft auch als "tribals" ("Stammesvölker") bezeichnet, insofern sie traditionell in Kleingesellschaften organisiert leben. Sie wurden jedoch im Laufe der Geschichte von den indoeuropäischen Invasoren immer mehr von ihren ursprünglichen Siedlungsgebieten verdrängt und mit ihrem Lebensraum auch großteils um ihre Lebensgrundlage gebracht. Ihr Anteil an der indischen Bevölkerung beträgt ca. 7% (etwa 70.000.000). Der im Jahr 2000 aus dem Bundesstaat Bihar ausgegliederte Bundesstaat Jharkhand beherbergt heute die größte Bevölkerungsgruppe der Adivasi.
Die Adivasi sind keine homogene Bevölkerungsgruppe, sondern fühlen sich bestimmten Gesellschaften (tribes = "Stämme") zugehörig. Die größten Völker sind die Kol und Bhil im Westen, die Gond, Khond, Savara, Gadaba in Zentralindien, Dafla, Naga, Khasi, Garo im Nordosten, Oraon, Munda, Ho, Santal im Osten und die Chenchu, Sholega, Toda, Kota, Irula, Kurumba und Kadar im Süden Indiens. Die in den Dörfern lebenden Adivasi teilen eine Tradition, die von der starken Verbindung zur Natur und zum eigenen Land, einer ganzheitlichen und das gesamte Leben durchdringenden Religion, traditionellen Tänzen, Musik und Festen in der Dorfgemeinschaft getragen wird (traditionelle Musik der Munda, eines Adivasistamms im Nordosten Indiens).
Die meisten Adivasigemeinschaften sind nach wie vor im Ackerbau, Viehhaltung und Handwerk tätig und dies meist nur zur eigenen Versorgung (Subsistenz). Das eigene und oft gemeinschaftlich bewirtschaftete Land bildet daher für die Adivasigemeinschaften die historische Existenzgrundlage.
Zusammen mit den unberührbaren Kasten (Dalits) gehören die Adivasi zu den ärmsten Menschen in Indien. Ca. 10 Millionen Adivasi leben in städtischen Slums, ca. 90 % unter der Armutsgrenze. Als Nicht-Hindus werden sie neben den Dalits in der indischen Gesellschaft trotz gegenteiliger Gesetze (als "scheduled tribes" räumt ihnen die ind. Verfassung Minderheitenrechte ein) nach wie vor als Ausgestoßene benachteiligt. Nach wie vor sind sie Opfer von Ausbeutung und Unterdrückung: Staatsbeamte benachteiligen sie; Großgrundbesitzer und Geldverleiher nutzen Armut und praktische Rechtslosigkeit der Adivasi skrupellos aus; Ureinwohner finden schwerer Arbeit, sind schlechter ausgebildet und besitzen nur selten Land; in Krankenhäusern werden sie abgewiesen etc.
Das anhaltende Wirtschaftswachstum Indiens drängt die Ureinwohner derzeit weiter an den Rand. Im Zuge von Großprojekten, Erschließung von Industriestandorten und Tourismusregionen werden Adivasi beim Bau von Staudämmen, bei der Erschließung von Rohstoffen, Ansiedlung von Schwerindustrie, Straßenbau oder für Natur- und Freizeitparks großflächig umgesiedelt oder gar vertrieben. Die Beteiligung Deutschlands beim Bau der Hüttenwerke in Rourkela ab 1958, bei dem ca. 16.000 Adivasi vertrieben wurden, ist bis heute umstritten. Beim noch andauernden Bau des Sardar Sarovar Staudammes im Narmada-Tal im Bundesstaat Gujarat, bei dem ca. 110.000 Adivasi zwangsumgesiedelt werden und erhebliche Mängel bei der Umsiedlung aufgetreten sind, haben internationale Geldgeber daher ihre Beteiligung unter andauerndem öffentlichem Druck zurückgezogen.
Um die Lebenssituation der Adivasi zu verbessern, wurden von der indischen Regierung zum einen Schutzgesetze erlassen, zum anderen zahlreiche spezifische Programme und Projekte durchgeführt. Doch weder die Gesetze - etwa das Verbot der Übertragung von Adivasi-Land an Nicht-Adivasi, Landreformen, das Verbot der Schuldknechtschaft oder von Alkoholhandel in Adivasi-Gebieten - noch die Programme und Projekte zur Infrastrukturentwicklung, Gesundheitsförderung und Armutsbekämpfung konnten ihre Lage nachhaltig verbessern, denn sie blieben lückenhaft, wurden kaum umgesetzt oder gehen an der Lebenswirklichkeit der Adivasi vorbei.
In den Adivasi-Gebieten arbeiten auch zahlreiche nichtstaatliche Organisationen (NGOs). Sie bieten soziale Dienstleistungen an, engagieren sich u.a. für Bildung, Infrastrukturentwicklung, Bewusstseinsbildung oder Umweltschutz und unterstützen die zunehmend gruppenübergreifenden Allianzen und Organisationen, Frauenorganisationen und Selbsthilfegruppen, in denen die Adivasi selbst für die Verbesserung ihrer Lebensbedingungen kämpfen. Ein sehr erfolgreiches Selbsthilfeprojekt ist ACCORD/AMS in Gudalur/Nilgiris/Südindien. Hier leben die Kattunaickans, Moolakurumba, Bettakurumbas, Irulas und Panniyas.
In vielen von Adivasi bewohnten Regionen, so zum Beispiel im nördlichen Andhra Pradesh, in Südbihar, in Jharkhand und in Assam verfügen maoistische Organisationen, die sogenannten Naxaliten, über einen nicht unbeträchtlichen Rückhalt unter den Adivasi. Dies äußert sich sowohl in der Stimmabgabe für im legalen Rahmen agierende Parteien wie die CPI(ML) Liberation, deren Mitglied Jayanta Rongpi den Wahlkreis Karbi Anglong/Assam von 1991 bis 2004 in der Lok Sabha vertrat, als auch in der Mitgliedschaft in von Maoisten aufgebauten Massenorganisationen und der Unterstützung von naxalitischen Guerillagruppen wie der CPI(Maoist).
Als Gegenpol zu den Maoisten engagiert sich seit 20 Jahren die Menschenrechtsorganisation Samata in den Eastern Ghats Gebirgzügen in Andhra Pradesh und im südlichen Orissa. Das Projekt unterstützt die Adivasi vor allem in Rechtsfragen und beim Aufbau von Infrastruktur.
[Bearbeiten] Weblinks
- Adivasi-Koordination in Deutschland e.V.
- Informationen von Uwe Skoda bei suedasien.info
- ACCORD/AMS (indische NGO und Adivasi-Selbsthilfeorganisation)
- Gesetzlich gefördert, sozial benachteiligt: Adivasi in Indien
- Vertrieben und verarmt - Indiens Urbevölkerung (Gesellschaft für bedrohte Völker)
- Adivasi-Fotos von Rainer Hörig: http://www.rainerhoerig.com/parch.htm
[Bearbeiten] Literatur
(kleine Auswahl, bitte weitere hinzufügen)
- Helmuth Borutta: Revolution für das Recht. Daud Birsa Munda und das Land der Adivasi
- Hans Escher: Adivasi-Kampagne: Aktionsleitfaden: Eine Arbeitshilfe für Multiplikatoren der entwicklungspolitischen Bildungsarbeit
- Ratnaker Bhengra, C.R. Bijoy and Shimreichon Luithui, The Adivasis of India, London 1999
- Sanjoy Hazarika, Strangers of the Mist. Tales of War and Peace from India’s Northeast, New Delhi, Penguin books, 1994 [Monographie über die Stammesbevölkerung in Nordost-Indien]
- Rainer Hörig: Selbst die Götter haben sie uns geraubt: Indiens Adivasi kämpfen ums Überleben
- Madhusree Mukerjee, The Land of Naked People : Encounters with Stone Age Islanders, New Delhi, Penguin books, 2003 [Monographie über die Situation der Naturvölker auf den Andamanen]
- Thomas Methfessel: Noch fließen Shivas Tränen ... 1988 [Am Beispiel eines Dorfes und des Narmada-Staudamms werden die sozialen Folgen der Umsiedlung von Adivasi aufgezeigt]
- Sarini in Zusammenarbeit mit Adivasi-Organisationen in Indien (Hg.), Stimmen der Adivasis. "In unseren Träumen sehen wir unser Land", 2001
- Thekaekara, Mari Marcel (2001): Das doppelte Auge. Wie Adivasi und Deutsche ihren Blick schärfen und neue Welten entdecken. Ein Reisebericht, Laufersweiler Verlag