Atombindung
aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Die Atombindung (auch Elektronenpaarbindung, homöopolare Bindung oder kovalente Bindung) ist eine chemische Bindung und als solche bei chemischen Stoffen für den festen Zusammenhalt von Atomen in Verbindungen verantwortlich. Durch die Atombindung entstehen entweder molekulare Stoffe (Beispiele: Sauerstoff O2, Kohlenstoffdioxid CO2, Nickeltetracarbonyl Ni(CO)4) oder Atomgitter (Beispiel: Diamant CDiamant, Siliciumdioxid SiO2), die elektrisch neutral oder geladen sein können (Molekülionen, Ionenteilstruktur) (Beispiel: Ammonium NH4+, Chlorat ClO3−, Silikate SiaObn− (häufig polymer)).
Atombindungen bilden sich vor allem zwischen den Atomen von Nichtmetallen aus. Ist die Elektronegativität von zwei Bindungspartnern gleich, wie es bei Elementmolekülen stets der Fall ist, entsteht eine unpolare, auch homöopolar genannte, Atombindung. Unterscheiden sich die Bindungspartner in ihrer Elektronegativität, wird eine polare, auch heteropolar genannte, Atombindung entstehen. Bei sehr großer Elektronegativitätsdifferenz kann die Beschreibung über das Ionenbindungsmodell (elektrovalente Bindung) sinnvoller sein.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Eigenschaften
Charakteristische Eigenschaften von Molekülen mit Atombindung:
- Niedriger Schmelz- und Siedepunkt
- Nichtleiter
- Gemeinsam genutzte Elektronenpaare
[Bearbeiten] Donator-Akzeptor-Prinzip
Nach Walter Kosel (1915) und Gilbert Newton Lewis (1916) sind die Elementatome bestrebt, durch chemische Bindung die im Periodensystem nächst gelegene Edelgas-Konfiguration zu erreichen, indem sie die entsprechende Zahl an Elektronen abgeben (Metalle), aufnehmen (Nichtmetalle) oder miteinander teilen. In vielen Fällen erreichen die Atome so ein Elektronenoktett, das ist eine Valenzschale, die vier Elektronenpaare enthält, also mit acht Elektronen besetzt ist. Die Oktettregel gilt für die meisten isolierbaren Verbindungen der Elemente der zweiten Periode. Auf die überwiegende Anzahl der Verbindungen von Hauptgruppenelementen aus höheren Perioden ist sie ebenfalls anwendbar, doch nur dann durchgängig, wenn zusätzlich zu Zweizentrenbindungen auch Mehrzentrenbindungen formuliert werden (siehe Oktettregel - Mehrzentrenbindung).
Da für Wasserstoff das nächstgelegene Edelgas das Helium ist, dieses aber als einziges Edelgas nur 2 Elektronen hat, ist für den Wasserstoff schon mit zwei Elektronen die Edelgasregel erfüllt. Doch auch Wassersstoff bildet Verbindungen, in denen mehr als die geforderten zwei Elektronen ein H-Atom umgeben, beispielsweise das Hydrogendifluorid-Ion [HF2]− und einige andere Spezies mit starken Wasserstoffbrückenbindungen.
Da (elektronegative), elektronenreiche Nichtmetall-Atome tendenziell eher Elektronenakzeptoren sind, schließen sie sich häufig so zusammen, dass sich ihre Valenzelektronen gegenseitig zu einem Oktett (im Falle des Wasserstoffs zu einem Duett) ergänzen. Allerdings findet man auch gerade bei den Nichtmetallen Verbindungen, die das Oktett (formal) überschreiten, vor allem viele Fluoride der 5., 6. und 7. Hauptgruppe. Umgekehrt sind es die elektropositiven, elektronenarmen Metallatome, die häufig Elektronenmangelverbindungen bilden. Typische Beispiele hierfür sind die Borwasserstoffe (Borane). Hier wird das Oktett (formal) unterschritten. Beides, die Oktett-Überschreitung wie die Oktett-Unterschreitung ist aber in vielen Fällen durch Formulierung von Mehrzentrenbindungen wieder korrigierbar.
[Bearbeiten] Bindende Elektronenpaare aus Valenzelektronen
Beispiel: formale Bindungsbildung bei Chlorwasserstoff
Ein Nichtmetallatom kann so viele bindende Elektronenpaarungen ausbilden, wie es einsame Valenzelektronen hat. Dabei sind auch Doppelbindungen und Dreifachbindungen möglich.
Beispiele:
Sauerstoff | Kohlenstoffdioxid | Stickstoff |
---|---|---|
[Bearbeiten] Bindende Elektronenpaare aus nichtbindenden Valenzelektronenpaaren
Diese Art der Ausbildung kovalenter Bindungen tritt bei den Wasserstoffbrückenbindungen und bei der koordinativen Bindung in Komplexverbindungen auf.
Beispiele:
Wasserstoffbrückenbindungen im Wasser | Bildung der koordinativen Bindung im Ammonium-Kation | Bildung der koordinativen Bindung im Diammin-Silber-I-Komplex |
---|---|---|
[Bearbeiten] Elektrostatische Anziehung
Die Entstehung der elektrostatischen Anziehung in der Atombindung lässt sich mit Hilfe des Atommodells von Ernest Rutherford veranschaulichen: Bei weit voneinander entfernten Atomen überwiegt die Anziehungskraft zwischen den Kernen und den Elektronenhüllen des jeweils anderen Bindungspartners. In sehr großer Nähe überwiegen die Abstoßungskräfte zwischen den Hüllen und Kernen. Abstoßung und Anziehung sind bei einem bestimmten Abstand der Bindungspartner voneinander im Gleichgewicht. Dieser Abstand ist kleiner als die Summe der Radien der beiden Atome. Das bedeutet, dass sich die Elektronenhüllen gegenseitig teilweise durchdringen müssen. Diese erhöhte negative Ladungsdichte zwischen den beiden Atomkernen zieht diese jeweils an. (Beispiel: der Atomradius des Jodatoms beträgt 2,15 · 10−10 m, der Abstand der beiden Atom-Mittelpunkte im Jodmolekül I2 beträgt nur 2,66 · 10−10 m.
[Bearbeiten] Geometrie
[Bearbeiten] Räumliche Ausrichtung
Die Atombindung in Atomgittern, Molekülen oder Komplexen weist so in definierte Raumrichtungen, die in der räumlichen Struktur der Atomorbitale begründet sind. Bei Teilchen, die mehr als zwei Bindungspartner aufweisen, lassen sich damit spezifische Bindungswinkel nachweisen. Aus der Kenntnis der Anzahl der bindenden und nichtbindenden Elektronenpaare lassen sich diese Bindungswinkel mit Hilfe des (didaktischen) Elektronenwolkenmodells ermitteln:
Eine Elektronenwolke kann einzelne Elektronen (bei Radikalen), nichtbindende Elektronenpaare, Einfach-, Zweifach- oder Dreifachbindungen enthalten. Die Bindungswinkel ergeben sich aus der Anordnung dieser Kugelwolken mit möglichst großem Abstand voneinander:
Beispiel | Blausäure HCN | Kohlensäure H2CO3 | Ammoniak NH3 |
---|---|---|---|
Anzahl der Kugelwolken | 2 | 3 | 4 |
Bindungswinkel | 180° | 120° | 109°(Tetraederwinkel) |
Abbildung |
Die Bindungswinkel sind idealisierte Werte. In realen Molekülen können starke Abweichungen auftreten: Beispiele:
- Der tatsächliche Bindungswinkel im Wassermolekül beträgt nicht 109° sondern 104° auf Grund der abstoßenden Wirkung der nichtbindenden Elektronenpaare auf die bindenden. Siehe dazu chemische Struktur.
- Liegt in einem Molekül Delokalisation der π-Elektronen vor, entspricht der Bindungswinkel nicht den Werten, die sich aus den mesomeren Grenzstrukturen ermitteln lassen. So ist der CNC-Bindungswinkel der Peptidbindung nicht 109°, wie er sich aus Grenzstruktur 1 ergeben würde, sondern 122°, wie er sich eher aus Grenzstruktur 2 ergibt. Der CCN-Bindungswinkel beträgt 116°.
[Bearbeiten] Bindungslänge
Die Atomabstände in Molekülen und Komplexen mit kovalenter Bindung können durch Analyse der Rotationsspektren ermittelt werden. Hier hängt die Bindungslänge zunächst von der Größe der gebundenen Atom ab: Je größer ihr Radius, desto größer ist ihr Abstand. Beispiel: Vergleich der Halogen-Wasserstoff-Verbindungen
H–F | H–Cl | H–Br | H–I |
92 pm | 128 pm | 141 pm | 160 pm |
Bei Bindungen zwischen gleichartigen Atomen lässt sich erkennen, dass ihr Abstand auch von der Zahl der bindenden Elektronenpaare abhängt: Je mehr bindende Elektronenpaare vorhanden sind, desto größer ist ihre Anziehung auf die Atomkerne, desto kürzer ist der Bindungsabstand.
C–C | C=C | C≡C |
---|---|---|
154 pm | 134 pm | 120 pm |
N–N | N=N | N≡N |
146 pm | 125 pm | 110 pm |
Eine Delokalisation wirkt sich bei Mehrfachbindungen verlängernd auf den Atomabstand aus, da dadurch die negative Ladung zwischen den Bindungspartnern verringert wird. Einfachbindungen werden durch Delokalisation verkürzt.
Beispiele:
- Der Kohlenstoff-Stickstoff-Abstand in der Peptidbindung (siehe Abbildung oben) liegt mit 133 pm zwischen einer C–N-Einfachbindung mit 147 pm und einer C=N-Doppelbindung mit 130 pm. Durch Vergleich der gemessenen Bindungslängen mit den auf Grund der mesomeren Grenzstrukturen theoretisch erwarteten Bindungslängen lässt sich der Grad der Delokalisation abschätzen.
- Im Graphit beträgt der C–C-Abstand innerhalb einer Schicht des Schichtengitters 142 pm und liegt damit zwischen einer Einfach- und einer Doppelbindung. (Zwischen den Schichten beträgt der Abstand 335 pm. Dies deutet auf eine schwache Wechselwirkung hin.)
[Bearbeiten] Bindungsenergie
intramolekulare Bindungskräfte
Die Bindungsenthalpie der Atombindung ist durch die Enthalpieänderung bei der Dissoziation von Molekülen in ihre Atome in der Gasphase definiert. Sie hängt, wie die Bindungslänge (siehe oben), sowohl von der Größe der gebundenen Atome als auch von der Zahl der bindenden Elektronenpaare ab: Je größer der Radius der Bindungspartner, desto größer ist ihr Abstand und desto kleiner ist die Bindungsenergie. Bei Bindungen zwischen gleichartigen Atomen lässt sich erkennen, dass ihr Abstand auch von der Zahl der bindenden Elektronenpaare abhängt:
Beispiel:
Bindungsinkrement | Bindungslänge in pm | Bindungsenthalpie in kJ/mol |
---|---|---|
F–F | 142 | 159 |
Cl–Cl | 199 | 242 |
Br–Br | 228 | 193 |
I–I | 267 | 151 |
C–H | 108 | 413 |
C–F | 138 | 489 |
C–Cl | 177 | 339 |
C–Br | 228 | 285 |
C–C | 154 | 348 |
C=C | 134 | 614 |
C≡C | 120 | 839 |
Für delokalisierte Atombindungen gilt entsprechend, dass sie energieärmer als eine Mehrfachbindung, aber energiereicher als eine Einfachbindung sind. So beträgt die (C–C)-Bindungsenthalpie im Benzol oder anderen Aromaten 147 kJ/mol, ein Wert genau zwischen (C–C) und (C=C)-Bindung.
[Bearbeiten] Molekülorbitale
Kompliziertere, wellenmechanische Vorstellungen vom Atombau erklären die Atombindung dadurch, dass sich Atome mit einfach besetzten Orbitalen einander nähern und durch Überlappung der unvollständig besetzten Atomorbitale ein vollständig besetztes Molekülorbital bilden. Das bindende Molekülorbital (sozusagen der Raum der größten Aufenthaltswahrscheinlichkeit des gemeinsamen Elektronenpaars) besitzt dabei ein niedrigeres Energieniveau als die beiden Atomorbitale vor der Knüpfung der Atombindung. Näheres dazu siehe bei Molekülorbital.
[Bearbeiten] Polare Atombindung
Hauptartikel: Polare Atombindung
Unterscheiden sich die Bindungspartner in der Elektronegativität, ist die Elektronendichte im Molekülorbital nicht gleichmäßig verteilt. Ihr Schwerpunkt ist in Richtung des elektronegativeren Partners verschoben, da das Atom mit der größeren Elektronegativität die Elektronen näher zu sich heran zieht. Dadurch erhält dieser Bereich der Bindung eine negative Partialladung, durch δ− symbolisiert. Das andere Ende der Bindung verarmt entsprechend an negativer Ladungsdichte, es erhält eine positive Partialladung, δ+.
Beispiel: H–O-Bindung Elektronegativitäten (EN): EN(H) = 2,20, EN(O) = 3,44. Damit liegt der negative Ladungsschwerpunkt näher beim Sauerstoff:
δ+ | δ− | |
H | – | O |
Man nennt solche Atombindungen polare Bindungen, da Pole mit unterschiedlichen Teilladungen entstehen.
Bei sehr großen Bindungspolaritäten kann es sinnvoller sein, anstelle des Modells der (polaren) kovalenten Bindung zum Ionenbindungsmodell zu wechseln, da dieses auf wesentlich einfacheren physikalischen Gesetzmäßigkeiten (klassische Elektrostatik anstelle von Quantenmechanik) beruht und so Voraussagen von vielen Eigenschaften erheblich erleichtert. Zum Beispiel lässt sich die thermodynamische Stabilität eines Salzes über einen rein elektrostatischen Ansatz der Gitterenergien erheblich einfacher berechnen und mit makroskopischen Eigenschaften, wie Schmelzpunkten, Siedepunkten, oder Löslichkeiten in Beziehung setzen. Allerdings gibt es Eigenschaften, die sich prinzipiell nicht mit rein elektrostatischen Modellen begreifen, geschweige denn quantifizieren lassen. Dazu gehört unter anderem die Farbigkeit oder die elektronische Leitfähigkeit. Farbigkeit meint hier nicht nur Farbigkeit im sichtbaren Bereich des elektromagnetischen Spektrums, sondern auch im Ultravioletten und Infraroten. Hierzu muss man die Elektronenstruktur der Substanz sehr genau kennen, und die lässt sich nur mit quantenmechanisch begründeten Modellen (Orbitaltheorie, Bändermodell) abschätzen oder berechnen.
Die häufig zitierte Faustregel, dass ab einer bestimmten Elektronegativitätsdifferenz (Delta-EN) z. B. 1,7 eine ionische Verbindung vorliegt, sollte eher so gelesen werden, dass es in manchen Fällen sinnvoll ist, die Verbindung ionisch zu beschreiben. Die EN-Differenz ist aber nicht das einzige Kriterium. Auch Größe und Größenverhältnis der beteiligten Atome sowie die Koordinationszahlen spielen dabei eine Rolle.
So ist beispielsweise Fluorwasserstoff trotz der großen EN-Differenz von 1,8 ein polar kovalent gebundenes Molekül - die Verbindung ist bei Raumtemperatur ein Gas - während Lithiumhydrid LiH und Magnesiumhydrid MgH2 trotz der wesentlich geringeren EN-Differenzen von ca. 1,2 bzw. 0,8 salzartige Verbindungen sind, die sich gut ionisch beschreiben lassen. LiH weist z. B. eine Kochsalz(NaCl)-Struktur auf.
Polare Bindungen können dazu führen, dass das gesamtes Molekül polar ist: Man sagt dann, das Molekül besitzt ein Dipolmoment oder es liegt ein Dipol-Molekül vor. Ob ein Molekül ein (messbares) Dipolmoment besitzt hängt aber nicht nur von der Polarität der Bindungen sondern auch vom Molekülbau ab. Die Dipolmomente verschiedener Bindungen im Molekül beeinflussen sich gegenseitig und müssen vektoriell addiert werden, um das Gesamt-Dipolmoment abzuschätzen.
Beispiele:
- Wasser H2O hat ein größeres Dipolmoment als Fluorwasserstoff HF, obwohl aufgrund der größeren EN-Differenz das Dipolmoment der O–H-Bindung kleiner als das der H–F-Bindung ist. Die Ursache liegt darin, dass bei der Addition der O–H-Bindungsdipole wegen des Bindungswinkels von ca. 105° ein größerer Dipolmoment entsteht.
- Kohlendioxid CO2 hat ein Gesamtdipolmoment von Null, da die Bindungsdipole entgegengesetzt ausgerichtet sind und sich die Dipolmomente gegenseitig aufheben.