Deutschkatholizismus
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Der Deutschkatholizismus (oder deutschkatholische Bewegung) war eine seit Mitte der 1840er Jahre in den Staaten des Deutschen Bundes für einige Jahre aktive religiös-politische Bewegung, die sich gegen den von ihren Anhängern als starr und reaktionär empfundenen Dogmatismus der althergebrachten christlichen Konfessionen richtete und deren äußerer Anlass der Protest gegen die Ausstellung des sogenannten Heiligen Rocks durch Bischof Arnoldi 1844 in Trier war. Sie war eine zu ihrer Zeit oppositionelle Erscheinung der späten Vormärz-Zeit und geprägt von den Idealen eines sozialen Liberalismus, der die Gründung eines gesamtdeutschen Nationalstaates anstrebte. Nach dem Scheitern der Märzrevolution von 1848/49 war sie zunehmend den Repressionen der konservativen Fürstentümer ausgesetzt. Aus dem Deutschkatholizismus und den ursprünglich protestantischen Lichtfreunden entstand die Freireligiöse Bewegung.
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[Bearbeiten] Historischer Hintergrund der Entstehung des Deutschkatholizismus
Nach der Thronbesteigung von König Friedrich Wilhelms IV. in Preußen änderte sich das Verhältnis von Staat und Kirche. Sichtbarer Ausdruck war die Wallfahrt zum Trierer "Heiligen Rock" von 1844, für die Thron und Altar die Voraussetzung und Organisation dieser Massenbewegung schufen, die eine halbe Million Pilger innerhalb von 50 Tagen in bemerkenswerter Disziplin nach Trier und zum Defilee an dem Exponat vorbei führte.[1]
Der suspendierte schlesische Priester Johannes Ronge protestierte in einem Aufruf öffentlich gegen das "Götzenfest" und wandte sich bei dieser Gelegenheit gegen die "tyrannische Macht der römischen Hierarchie". Ronge gefiel sich in den Augen der Katholiken in der Rolle eines zweiten Martin Luther, fand aber erstaunlichen Widerhall. Die von ihm initiierte Bewegung erklärte die rationalistisch gedeutete Bibel zur einzigen Norm, verwarf das kirchliche Lehramt und den päpstlichen Primat, schaffte Heiligenverehrung, Beichte, Zölibat und die traditionellen Liturgieformen ab und anerkannte lediglich Taufe und Abendmahl als Sakramente. Auch die rationalistische Auffassung der Aufklärung sowie eine antirömische Strömung, Vorbehalte gegen die harte katholische Haltung in der Mischehenpraxis trugen dazu bei, daß der Deutsch-Katholizismus eine zwar kurze, aber anfangs enthusiastische Akzeptanz erfuhr.[1]
[Bearbeiten] Entwicklung deutschkatholischer und christkatholischer Gemeinden
Die Gemeindegründungen waren Ausdruck sozialen Protests, der religiös motiviert und christlich begründet war. Zentren waren die Industrieregionen in Schlesien und Sachsen sowie im Rheinland, die von einer wirtschaftlichen Krise betroffen waren, die 1844 auch zum Weberaufstand in Schlesien führten.[2]. 1847 gab es rund 250 Gemeinden mit etwa 60.000 Mitgliedern, davon einem Drittel ehemaliger Protestanten. Die unteren Mittelschichten stellten die soziale Basis.[1] Die Deutschkatholiken entwickelten auch ein sozialpolitisches Programm, das insbesondere für Arbeiter interessant war. Dazu gehörte die Forderung nach einem öffentlichen Schulwesen, nach Industrie-Unterricht, Zeit für Erholung und Körperpflege, Armenärzte, Armenkassen und Turn- und Badeanstalten. Im Umfeld der freien Gemeinden (auch der Lichtfreunde) entwickelten sich Vereine zur praktischen Lebenshilfe.[3]
Von Anfang an stand Ronge in Kontakt mit prominenten Vertretern des politischen Radikalismus im Vormärz, manchmal verschwammen die Grenzen zwischen religiöser Sekte und politischer Partei. Prominente Angehörige des radikaldemokratischen Flügels der Deutschkatholiken im Großherzogtum Baden waren beispielsweise die revolutionär aktiven Eheleute Amalie und Gustav Struve.[1]
Die deutschkatholischen Gemeinden waren ebenso wie die freiprotestantischen Lichtfreunde vor allem im Zeitraum 1850 bis 1852 Verboten und politischer Verfolgung ausgesetzt, weil sie als politische Strömungen mit liberaldemokratischer, freisinniger Orientierung angesehen wurden. 1850 wurden die Lichtfreunde in Sachsen wegen ihres sozialen Programms und ihrer sozialistischen Ideale in Sachsen verboten, konnten jedoch in den geduldeten Deutschkatholizismus überführt werden. Die am 23. Mai 1850 in Leipzig vorgesehene Gründung einer Religionsgemeinschaft freier Gemeinden wurde von der Polizei behindert, obwohl die Verfassungsrevision vom 31. Januar 1850 die individuelle Bekenntnisfreiheit um die religiöse Vereinigungsfreiheit und die kollektive Bekenntnisfreiheit erweitert wurde. In Preußen wurden bis 1852 20 Gemeinden verboten, zu denen auch die große Königsberger Gemeinde mit etwa 12.000 Mitgliedern zählte. Trotz der Verfolgung durch staatliche Organe und dem Rückzug vieler bürgerliche Mitglieder bestanden 1858 etwa 300 deutschkatholische und etwa 89 freie protestantische Gemeinden.
[Bearbeiten] Entstehung der freireligiösen Bewegung
Aus dem Deutschkatholizismus und den ursprünglich protestantischen Lichtfreunden entstand die Freireligiöse Bewegung. Am 17. Juni 1859 wurde in Gotha der Bund freireligiöser Gemeinden gegründet, der 53 Gemeinden mit 40.000 "Seelen" umfasste und der sich später in Bund freier religiöser Gemeinden Deutschlands umbenannte. Daneben entstanden weitere Zusammenschlüsse freier Gemeinden, so auch der bereits 1845 gegründete Verband der deutschkatholischen und freireligiösen Gemeinden Süddeutschlands, der mehr als andere auch für traditionelle Christen offen blieb. Neben einem Flügel, der eher eine freie Religion propagierte, entstanden auch freireligiöse Gemeinden, die stärker freidenkerisch orientiert waren (Nürnberg, Berlin, Stettin, Leipzig, Chemnitz und Breslau). Die naturalistisch orientierte Breslauer Gemeinde des Predigers Gustav Tschirn war in besonderem Maße am Materialismus und der Religionskritik Ludwig Feuerbachs orientiert. Aus dieser Richtung entstand später die organisierte Freidenkerbewegung, vor allem durch die Gründung des Deutschen Freidenker-Verbandes am 10. April 1881 in Frankfurt am Main. [1][4]
[Bearbeiten] siehe auch
[Bearbeiten] Quellen
- ↑ a b c d e Manfred Botzenhart: Reform, Restauration, Krise, S.133f.
- ↑ Horst Groschopp: Dissidenten, S. 87 ff.
- ↑ Horst Groschopp: Dissidenten, S. 91
- ↑ Horst Groschopp: Dissidenten, S. 93 ff.
[Bearbeiten] Literatur
- Manfred Botzenhart: Reform, Restauration, Krise. Deutschland 1789 - 1847. Frankfurt a. M.: suhrkamp, 1985, S.133f. ISBN 3-518-11252-X
- L.Geis: Quellensammlung freireligiöser Thesen, hrsg. von der Freireligiösen Gemeinde Mainz, 1989
- L.Geis: Freireligiöses Quellenbuch 1844-1926, Bd.1, Eine Sammlung grundlegender Texte über Inhalt und Ziele Freier Religion, Selbstverlag Freireligiöse Gemeinde Mainz, 2006
- Graf, Friedrich Wilhelm: Die Politisierung des religiösen Bewußtseins. Die bürgerlichen Religionsparteien im deutschen Vormärz: Das Beispiel des Deutschkatholizismus. fromann-holzboog, Stuttgart 1978 ISBN 3-7728-0700-3 (Ln.)
- Gervinus, Georg Gottfried: Die Mission der Deutsch-Katholiken. 2. Aufl., Mannheim 1982
- Horst Groschopp: Dissidenten. Freidenkerei und Kultur in Deutschland, Dietz Verlag, Berlin 1997. ISBN 3-320-01936-8
- Friedrich Heyer und Volker Pitzer: Religion ohne Kirche - Die Bewegung der Freireligiösen, Stuttgart: Quell, 1977 ISBN 3-7918-6003-8
- Wolfgang Leesch: Die Geschichte des Deutschkatholizismus in Schlesien (1844-1952) unter besonderer Berücksichtigung seiner politischen Haltung. Neudruck der Ausgabe Breslau 1938, Scienta Verlag, Aaalen 1982 (Breslauer Historische Forschungen, Bd. 8)
- Eckhart Pilick: Lexikon freireligiöser Personen, Rohrbach/Pfalz: Peter Guhl, 1997
- Jun Shimoda: Volksreligiosität und Obrigkeit im neuzeitlichen Deutschland. Wallfahrten oder Deutschkatholizismus. Diss. Univ. Tokyo, Japan, 1999, deutsche Ausgabe, Ozorashac.co. Tokyo 2004
- Helmut Steuerwald: Kritische Geschichte der Religionen und freien Weltanschuungen. Eine Einführung, Angelika Lenz Verlag, Neustadt am Rübenberge 1999. ISBN 3-933037-08-5
- Alexander Stollenwerk: Der Deutschkatholizismus in den preußischen Rheinlanden. Selbstverlag der Gesellschaft für mittelrheinische Kirchengeschichte, Mainz 1971