Die Wahlverwandtschaften
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Die Wahlverwandtschaften, Roman von Johann Wolfgang von Goethe. Die Erstausgabe erschien 1809.
Erstmals erwähnt werden Die Wahlverwandtschaften von Goethe am 11. April 1808 in einem Tagebucheintrag. Ende Juli desselben Jahres hatte er eine Fassung mit 18 Kapiteln fertiggestellt. Diese blieb allerdings bis im April des nächsten Jahres unbearbeitet. Am 9. Oktober 1809 lag schließlich der gesamte Roman, zwei Teile mit je 18 Kapiteln, fertig gedruckt vor.
Der Roman ist ein typischer Vertreter der Weimarer Klassik. Goethe greift ein gesellschaftliches Thema auf und verbindet es mit einem naturwissenschaftlichen Gleichnis. Die gesellschaftlichen Zwänge von Sitte und Norm werden den individuellen Empfindungen und Neigungen gegenübergestellt.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Inhalt
Eduard, ein reicher Baron, lebt mit seiner Gattin Charlotte zurückgezogen in einem Schloss, das von einem großen Park umgeben ist. In zweiter Ehe haben die beiden Liebenden von einst endlich zueinander gefunden. Glücklich über ihre neue Lebenssituation widmen sie sich vornehmlich dem Garten und der Parkgestaltung. Diese Idylle wird gestört, als Eduard seinen Freund, den Hauptmann auf das Anwesen einlädt. So lässt auch Charlotte ihre Nichte Ottilie herbeiholen, um ihr Gesellschaft zu leisten. Bald schon fühlt sich Eduard zu Ottilie und Charlotte zum Hauptmann hingezogen. Eines Nachts schleicht Eduard heimlich durchs Schloss und gerät auf der Suche nach Ottilie - "eine sonderbare Verwechslung ging in seiner Seele vor" - ins Schlafgemach seiner Gemahlin. In seiner Vorstellung ist es jedoch Ottilie, die er in den Armen hält, indes Charlotte das Bild des Hauptmanns vorschwebt. Aus dieser Vereinigung geht ein Kind hervor.
Als der Abschied von Ottilie und dem Hauptmann droht, gesteht Eduard Ottilie seine Liebe. Der Hauptmann und Charlotte verständigen sich wortlos, ihrer gemeinsamen Liebe zu entsagen. Eduard hingegen kann seine Gefühle nicht unterdrücken und zieht aus Verzweiflung in den Krieg.
Das Kind, welches gleichermaßen Ottilie und dem Hauptmann, nicht aber seinen leiblichen Eltern ähnelt, befindet sich in der Obhut von Ottilie, als Eduard aus dem Krieg zurückkehrt. Eduard bedrängt sie erneut in unbändiger Art. Ottilie versucht auszuweichen, indem sie in einem Kahn über den See zurückrudert. Beim hastigen Einsteigen kentert das Boot und das Kind ertrinkt. Ottilie verzeiht sich diese Unachtsamkeit nie, zieht sich zurück, spricht und isst nicht mehr, bis sie schließlich an Schwäche stirbt. Eduard ist zum Schluss lebensmüde, stirbt aber eines natürlichen Todes.
[Bearbeiten] Hintergrund
Der (wissenschaftliche) Begriff Wahlverwandtschaften entstammt der Chemie jener Zeit. Gibt man zwei verwandten Stoffen A und B einen dritten Stoff C hinzu, und besitzt dieser eine stärkere Verwandtschaft (Affinität) zu A als A zu B, so verbinden sich A und C wahlverwandtschaftlich.
Eduard ist von der Idee der Wahlverwandtschaften überzeugt und glaubt, sie auf zwischenmenschliche Beziehungen übertragen zu können. Dass dies am Ende nicht gelingt, zeigt die gesellschaftlichen Zwänge, die in jener Zeit vorherrschten. Goethe selbst lebte jahrelang mit Christiane Vulpius in wilder Ehe. Vorbild für die Figur der Ottilie war nach Auffassung einiger Interpreten die 18- Jährige Minna Herzlieb, in die sich Goethe 1807 leidenschaftlich verliebte. Aber auch Züge der Silvie von Ziegesar, Pauline Gotters und Bettina Brentanos (die Goethe schwärmerisch verehrte) dürften in Ottilie enthalten sein.
Die chemischen Wahlverwandtschaften kannte Goethe entweder aus seinen eigenen naturwissenschaftlichen Versuchen oder aus seiner Tätigkeit als Bergbauminister in Weimar. Vorlage für die Parkanlage könnte die Eremitage in Arlesheim gewesen sein. Pläne des um 1785 angelegten englischen Gartens kursierten in Gelehrtenkreisen. Goethe selbst kam allerdings auf keiner seiner Schweizreisen in Arlesheim vorbei.
Neben Erzählung und direkter Rede erfährt der Leser vieles aus Ottiliens Tagebuche Die zunächst scheinbar lose Aneinanderreihung von Gedanken entbehrt dennoch nicht eines übergeordneten Zusammenhanges: So wie den Tauen der britischen Marine ein roter Faden eingewoben ist, "den man nicht herauswinden kann ohne alles aufzulösen", "eben so zieht sich durch Ottiliens Tagebuch ein Faden der Neigung und Anhänglichkeit, der alles verbindet und das Ganze bezeichnet. Dadurch werden diese Bemerkungen, Betrachtungen, ausgezogenen Sinnsprüche und was sonst vorkommen mag, der Schreibenden ganz besonders eigen und für sie von Bedeutung." (II; Kap. 2). Der Erzähler weist den Leser gleichsam darauf hin, dass etliche der Aphorismen wohl kaum von Ottilie selbst stammen können: "Um diese Zeit finden sich in Ottiliens Tagebuch Ereignisse seltner angemerkt, dagegen häufiger auf das Leben bezügliche und vom Leben abgezogene Maximen und Sentenzen. Weil aber die meisten derselben wohl nicht durch ihre eigene Reflexion entstanden sein können; so ist es wahrscheinlich, dass man ihr irgend einen (sic!) Heft mitgeteilt, aus dem sie sich was ihr gemütlich war, ausgeschrieben." (II, Kap. 4)
„Sich mitzuteilen ist Natur; Mitgeteiltes aufzunehmen, wie es gegeben wird, ist Bildung.“ (2. Teil, 4. Kapitel)
- „Niemand ist mehr Sklave, als der sich für frei hält, ohne es zu sein.“ (2. Teil, 5. Kapitel)
- „Es gibt keinen größeren Trost für die Mittelmäßigkeit, als dass das Genie nicht unsterblich sei.“ (2. Teil, 5. Kapitel)
Durch Ottiliens Mund nimmt Goethe teilweise auch die Handlung vorweg. Dass sie am Ende sterben muss, resultiert aus der inneren Notwendigkeit der Romanhandlung. Das Experiment scheitert, weil die Gesellschaft nicht jene Bindungsfreiheit zulässt, die für chemische Wahlverwandtschaften notwendig ist.
[Bearbeiten] Literatur
- Bernhardt, Rüdiger: Johann Wolfgang von Goethe: Die Wahlverwandtschaften. Königs Erläuterungen und Materialien (Bd. 298). Hollfeld: Bange Verlag 2003. ISBN 978-3-8044-1786-1
[Bearbeiten] Ausgaben
- Erstausgabe: J. W.Goethe: Die Wahlverwandtschaften. Ein Roman. 2 Bde. 306 und 340 S., Tübingen: Cotta 1809
- Vollständiger Text als Online-Text beim Project Gutenberg
Wikisource: Die Wahlverwandtschaften – Quellentexte |
[Bearbeiten] Verfilmungen
- Die Wahlverwandtschaften, 1975, DDR
- Les Affinités électives, 1981, Frankreich/Tschechoslowakei/BRD, Regie: Claude Chabrol
- Le Affinità Elettive, 1996, Italien/Frankreich, Regie: Paolo Taviani und Vittorio Taviani