Erzählzeit
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Erzählzeit bezeichnet in der Literaturwissenschaft die Zeitspanne, die ein Leser für die Lektüre eines Textes, zum Sehen eines Films, Hören eines Hörspiels (oder vergleichbaren Vorgängen) braucht. Bei Texten wird die Erzählzeit entweder in Durchschnittszeiten für die Lektüre oder in Seiten bzw. Wörtern angegeben. Bei einem Film oder Hörspiel entspricht die Erzählzeit der Länge des Films, bei Dramen der Länge der Aufführung.
Im Gegensatz zur Erzählzeit steht die erzählte Zeit, das ist jener Zeitraum, über die sich die Geschichte inhaltlich erstreckt.
Das Verhältnis zwischen Erzählzeit und erzählter Zeit wird als Erzählgeschwindigkeit oder Erzähltempo bezeichnet. Dabei ergeben sich aus der Beziehung zwischen Erzählzeit und erzählter Zeit folgende, mögliche Erzählgeschwindigkeiten:
1.Zeitdeckung; Erzählzeit und erzählte Zeit sind annähernd gleich, decken sich also (z.B. im szenischen Erzählen)
2.Zeitdehnung; Erzählzeit ist länger als erzählte Zeit (z.B. bei der Wiedergabe von Bewussteinsströmen)
3.Zeitraffung; Erzählzeit ist kürzer als erzählte Zeit, "unwichtige" Zeitabschnitte werde also gekürzt bzw. ganz weggelassen (z.B. in Berichten, Chroniken etc.)
Ein extremes Beispiel für Zeitdehnung ist James Joyces Ulysses, dessen erzählte Zeit sich nur über einen Tag erstreckt (nämlich den 16. Juni 1904), diesen jedoch über knapp tausend Seiten dehnt und wegen seiner Komplexität sehr viel Zeit für die Lektüre erfordert. Umgekehrtes Beispiel (also Zeitraffung) ist Thomas Manns Roman Buddenbrooks, der in einer kürzeren Erzählzeit eine erzählte Zeit wiedergibt, die sich über mehrere Generationen erstreckt.
Es gibt in dem besagten Verhältnis auch besondere Phänomene, deren wichtigste folgende sind:
- Ellipse: Auslassung, Zeitsprung
- Analepse: Rückblende, Zeitsprung in die Vergangenheit
- Prolepse: Vorausschau, Zeitsprung in die Zukunft
- Anachronie: eine Geschichte wird nicht in der Reihenfolge erzählt, in der die Ereignisse zeitlich geschehen
Siehe auch: Erzähltheorie – Zeit